„Historisch einzigartiger Rückgang“

Die Statistik zeigt: Jugendkriminalität hat entgegen der Meinung vieler in der Region deutlich abgenommen

Die Jugend von heute. Zockt am Handy und prügelt sich. Zu allen Zeiten schimpften Alte über Junge, und einige Vorfälle in letzter Zeit werfen tatsächlich kein gutes Bild auf einige junge Zeitgenossen. Der andere Teil der Wahrheit: Jugendkriminalität geht zurück, und zwar deutlich.

„Historisch einzigartiger Rückgang“

Von Andrea Wüstholz

LEUTENBACH/BERGLEN. Zuerst die schlechten Nachrichten: Jugendliche haben am Mittwoch in Leutenbach einen 14-Jährigen niedergeschlagen und so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus behandelt werden musste. Der Vorfall hat sich laut Polizei auf dem Schulgelände in der Theodor-Heuss-Straße abgespielt. Gegen 20.40 Uhr war es dort zunächst zu einem Streit und dann zu einer „handfesten Auseinandersetzung“ gekommen, wie die Polizei mitteilt. Demnach wurde der 14-Jährige „wohl von mehreren gleichzeitig niedergeschlagen“; nach ersten Informationen waren es mindestens drei. Auslöser des Streits waren wohl Beleidigungen, die jemand in sozialen Netzwerken verbreitet hatte.

Eine andere Negativmeldung, datiert vom 26. August, einem Montag: In Schmiden lärmten Jugendliche abends im Park in der Fellbacher Straße. Als die Polizei anrückte, waren rund 15 Unruhestifter bereits verschwunden. Sie kehrten später zurück, woraufhin ein 77-jähriger Mann die jungen Leute zur Ordnung rief. Einer der Jugendlichen trat den Senior so heftig gegen den Oberschenkel, dass der Mann ins Krankenhaus gebracht werden musste. Die Polizei ermittelt wegen Körperverletzung.

Vorfälle dieser Art könnten ein Bild von einer Jugend verfestigen, die in völliger Respektlosigkeit ihren Aggressionen freien Lauf lässt. Das stimmt so aber nicht. Mehrere Wissenschaftler, ihnen voran der bekannte Kriminologe Christian Pfeiffer, kommen in einer Studie unter dem Titel „Zur Entwicklung der Gewalt in Deutschland; Schwerpunkte: Jugendliche und Flüchtlinge als Täter und Opfer“ zu einem eindeutigen Ergebnis: „Dass die Entwicklung der Gewalt, gerade mit Blick auf die Jugendlichen, in Deutschland im letzten Jahrzehnt stark rückläufig gewesen ist, wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen.“

Fakt ist: In den Jahren zwischen 2007 und 2015 war ein „historisch einzigartiger Rückgang der Jugendkriminalität“ zu verzeichnen. Zwar kam es im Jahr 2016 wieder zu einem Anstieg. Dieser führte aber „nicht annähernd dazu, dass die Höchstzahlen wieder erreicht wurden“. Die Studie weist nach, dass der Rückgang sich nicht dadurch erklärt, dass der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung kleiner geworden ist. Wie die Zahlen für die Landkreise Rems-Murr, Ostalb und Schwäbisch Hall aussehen, zeigen die Jahresstatistiken des Polizeipräsidiums Aalen: Demnach sank die Zahl der Taten, die von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden bis 21 Jahren begangen wurden von 4023 im Jahr 2014 auf 3678 im vergangenen Jahr.

Kritiker werden einwenden, die Kriminalstatistik sei nur bedingt aussagekräftig. Dort sind nur Straftaten erfasst, die angezeigt wurden. Die nicht angezeigten Taten spielen im „Dunkelfeld“. Jenes versuchen Kriminologen mithilfe von Befragungen zu erhellen. Die Ergebnisse weisen in dieselbe Richtung: In den Jahren 2007/2008 kam es zu einem Wendepunkt; die Zahl junger Täter und Tatverdächtiger ging danach drastisch zurück. Die Zahlen erhöhten sich zwar später wieder, blieben aber weit unter den Werten von 2007. Weshalb sich die Lage deutlich verbessert hat, lässt sich nicht in zwei Sätzen beantworten. Der Erziehung kommt eine Schlüsselrolle zu, heißt es in der Studie. Früher war alles schlechter, auf diesen Nenner lassen sich die Erkenntnisse bringen: Gewalt in der Erziehung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen später straffällig werden. Vor Jahrzehnten sei es noch völlig normal gewesen, Kinder zu schlagen. Heute ist Gewalt gegen Kinder mehr und mehr sozial geächtet.

Info
Viel weniger junge Gewalttäter

Deutlich abgenommen hat die Zahl der nichtdeutschen Jungtäter. Das Polizeipräsidium (PP) Aalen zählte im Rems-Murr-Kreis, im Ostalbkreis und im Kreis Schwäbisch Hall 2018 insgesamt 987 nichtdeutsche Jungtäter, das sind mehr als zehn Prozent weniger als im Jahr davor.

Von allen drei Landkreisen, für die das PP Aalen zuständig ist, wies der Rems-Murr-Kreis den stärksten Rückgang bei den tatverdächtigen Jungtätern auf. Ihre Zahl ging im Jahr 2018 um mehr als neun Prozent auf 1765 zurück.

In seiner Statistik schlüsselt das PP Aalen Jugendkriminalität in verschiedene Deliktbereiche auf. Im Deliktsfeld „Rohheit/persönliche Freiheit“ gab es bei den Jungtätern einen Rückgang um knapp drei Prozent auf 962 Tatverdächtige. Rund 32 Prozent von ihnen waren Nichtdeutsche. Fast 18 Prozent aller Jungtäter waren laut Polizei alkoholisiert.

Körperverletzung zählt zum Deliktsfeld Rohheit. 818 Tatverdächtige registrierte die Polizei 2018, das sind 2,6 Prozent weniger als im Jahr davor. Deutlicher gingen die Zahlen bei gefährlicher und schwerer Körperverletzung zurück: minus vier Prozent, 314 Tatverdächtige.

Präsidiumsweit sank die Zahl der ermittelten jugendlichen Gewalttäter von 408 auf 372. Unter den Heranwachsenden ging die Zahl der Tatverdächtigen von 195 auf 161 zurück.