Der Beruf des Dachdeckers ist seit jeher sehr wetterabhängig. In der Branche gibt es daher mitunter Ausfallgeld. Symbolbild: Adobe Stock/Marem
Von Kai Wieland
Rems-Murr. Die Sonne scheint, die Temperaturen klettern: Nachdem der Sommer zuletzt ein paar Tage Pause machte, scheint die Hitze allmählich zurückzukehren. Für Menschen in körperlich anstrengenden und der Sonne ausgesetzten Berufen, etwa im Baugewerbe, ist das keine gute Nachricht. Mit steigendem Hitzeindex, in den neben der Temperatur vor allem die Luftfeuchtigkeit hineinspielt, wächst neben dem Risiko für Dehydrierung und Sonnenbrand die Gefahr eines Sonnenstichs oder Hitzschlags. Besonders gefährdet sind Menschen mit Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und der Atemwege, aber auch körperliche Anstrengungen sollten unter diesen Bedingungen vermieden werden.
Es ist ein wohlfeiler Rat für all jene, die mit dem Decken von Dächern, dem Hochziehen von Wänden oder dem Teeren von Straßen ihr tägliches Brot verdienen. Für das Verlassen des Arbeitsplatzes aufgrund von Hitze gibt es schließlich nur in den wenigsten Fällen eine rechtliche Grundlage.
In diese Kerbe schlug jüngst der Vorstoß der Amtsärzte, bei besonders hohen Temperaturen über die Einführung einer Siesta nach südeuropäischem Vorbild nachzudenken. „Früh aufstehen, morgens produktiv arbeiten und mittags Siesta machen. Das ist ein Konzept, das wir in den Sommermonaten übernehmen sollten“, hatte Johannes Nießen, Vorsitzender des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdiensts (BVÖGD), gegenüber Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland erklärt und dafür unter anderem Unterstützung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach erhalten. Aber wie könnte ein solches Modell aussehen?
Hitzeschutz, aber keine Überregulierung
Jens Steinat, Sprecher der Ärzteschaft Backnang, ist grundsätzlich ein Befürworter von Maßnahmen, welche Arbeitnehmer vor den Gesundheitsrisiken von Hitze schützen. Er warnt allerdings davor, dies per Gesetzgebung erreichen zu wollen, und plädiert viel mehr für einen pragmatischen Ansatz. „Ich bin für Deregulation und Bürokratieabbau, alles andere führt zu Mehrarbeit und letztendlich zu schlechterer Qualität“, sagt der Mediziner. „Außerdem ist die Belastung durch Hitze sehr von der jeweiligen Tätigkeit abhängig und lässt sich nicht verallgemeinern. Deshalb braucht es meiner Ansicht nach keine gesetzlichen Vorschriften, sondern eine Sensibilisierung für die Gesundheitsrisiken von Hitze und betriebsinterne Regelungen.“ Mehr Aufklärungsarbeit und individuelle Beratung für Arbeitgeber seitens der öffentlichen Stellen würde Steinat hingegen begrüßen.
Bei der Stadt Backnang steht eine ausgewiesene Siesta jedenfalls noch nicht zur Debatte. Eine konkrete Umstellung, abgesehen von den üblichen Hitzeschutzmaßnahmen wie der ausreichenden Bereitstellung von Trinkwasser, wurde aber vorgenommen, und zwar beim Baubetriebshof. „Unsere Mitarbeiter fangen an heißen Tagen bereits um 6 Uhr an, um länger in den kühleren Morgenstunden arbeiten zu können“, bestätigt Pressesprecher Christian Nathan.
In Büroräumlichkeiten, die in vielen Fällen klimatisiert sind und in denen keine unmittelbare Sonneneinstrahlung droht, ist die Gefahr eines Hitzschlags naturgemäß geringer. Beim Landratsamt des Rems-Murr-Kreises setzt man außerdem auf Homeoffice-Möglichkeiten und flexible Arbeitszeitmodelle, erklärt eine Pressesprecherin: „Unsere Rahmenarbeitszeit ist sehr großzügig, sodass ein Arbeitsbeginn auch schon in den kühleren Morgenstunden ab 6 Uhr morgens möglich ist.“ Zudem könne die Mittagspause auf bis zu zwei Stunden ausgedehnt werden. Lediglich die Servicezeiten dürften darunter nicht leiden.
Lufttemperatur in Arbeits- und Sozialräumen darf 26 Grad nicht überschreiten
Generell gilt für alle Arbeitgeber die sogenannte Arbeitsstättenverordnung, welche unter anderem regelt, dass die Lufttemperatur in Arbeits- und Sozialräumen 26 Grad nicht überschreiten darf. Anderenfalls ist der Raum mit geeigneten Sonnenschutzsystemen auszurüsten. Die Einhaltung dieser Vorgaben kann von der Gewerbeaufsicht des Landratsamts kontrolliert werden.
In besonderem Maße von Hitze betroffen sind Berufe im Freien, etwa in der Landwirtschaft oder in der Baubranche. Die Gewerkschaft IG Bau hat sich ebenfalls zur Frage nach einer Siesta in Deutschland geäußert. „Natürlich müssen wir vor allem die Beschäftigten schützen, die bei dieser Gluthitze draußen unter freiem Himmel arbeiten müssen“, sagte der Bundesvorsitzende Robert Feiger. „Insofern haben die Amtsärzte, die jetzt eine verlängerte Mittagspause fordern, mit ihrem Vorstoß vollkommen recht.“ In der Praxis sei die starre Umsetzung einer Siesta allerdings nicht praktikabel, da dies mit anderen Vorgaben wie dem Lärmschutz kollidiere.
Das bestätigt Thorsten Wist, Dachdeckermeister und Geschäftsführer von FWS Bedachungen in Weissach im Tal. Er kann sich eine Regelung mit angeordneter Siesta von 14 bis 17 Uhr nicht vorstellen. „Anwohner einer Baustelle möchten sicherlich nicht morgens um 6 Uhr von Maschinenlärm geweckt werden. Genauso ist es bestimmt nicht erwünscht, dass der Lärm bis 20 oder 21 Uhr andauert.“ Dort, wo ein früherer Arbeitsbeginn möglich sei, werde das an heißen Tagen aber genutzt. Anschließend werde bis 14.30 Uhr gearbeitet, sodass das Soll von acht Stunden erreicht wird. „Bei extremer Hitze wird auch immer wieder eine Pause eingelegt, um kurz in den Schatten zu gehen und etwas zu trinken“, ergänzt Wist.
Praktische Hürden bei der Umsetzung
Es ist allerdings nicht nur der Lärmschutz, welcher die Umsetzung einer Siesta in der Baubranche erschwert. Es ist darüber hinaus schwierig, sie in die Arbeitsabläufe von Handwerkerberufen einzuplanen. „Das Problem ist, dass man als Handwerksbetrieb wechselnde Arbeitsplätze hat“, erklärt Thorsten Wist. „Ist die Baustelle in Schwäbisch Hall, wird ein Mitarbeiter aus Fellbach sicherlich nicht über die Pause nach Hause fahren. Er wird aber genauso wenig vier Stunden unbezahlte Pause auf der Baustelle machen wollen. Eine Siesta funktioniert vielleicht in Betrieben, welche ihre Tätigkeiten auf dem Betriebsgelände haben, etwa im Einzelhandel oder in der Industrie, im Bauhandwerk aber nicht.“
Auch die IG Bau betont bei allem Lob für den Vorstoß der Amtsärzte die Notwendigkeit einer pragmatischen Lösung für extrem heiße Tage. „Bei diesen Temperaturen gibt es nur eines: runter vom Bau oder vom Feld. Für die fehlende Arbeitszeit sollte mit staatlichen Hilfen Ausfallgeld bezahlt werden“, sagte der Gewerkschaftschef Feiger. Ein solches Modell wird im Dachdeckergewerbe gemäß Tarifvertrag bereits praktiziert. Für bis zu 53 Stunden kann im Sommer witterungsbedingt die Zahlung eines Ausfallgelds in Höhe von 75 Prozent des Lohns in Anspruch genommen werden. Finanziert wird dies durch Beitragszahlungen der Branche an die Sozialkassen des Dachdeckerhandwerks (Soka-Dach). Ob eine solche Regelung für weitere Bereiche der Baubranche denkbar wäre, dürfte zukünftig diskutiert werden.