Höhere Sparzinsen wohl in weiter Ferne

Eine Erhöhung der Leitzinsen würde die Inflation weiter verringern, was nicht im Interesse der Europäischen Notenbank ist

Von Barbara Schäder

Notenbanken - Trotz jahrelanger Geldschwemme durch die EZB ist eine Hyperinflation bisher ausgeblieben. Der jüngste Rückgang der Teuerungsrate könnte die von Sparern ersehnte Zinswende hinausschieben.

Frankfurt Es ist paradox: Die Geldmenge im Euroraum liegt auf Rekordniveau – dennoch ist die Inflationsrate seit Monaten rückläufig. Im März lagen die Verbraucherpreise 1,4 Prozent über dem Vorjahresniveau,in Deutschland war die Teuerungsrate mit 1,3 Prozentetwas niedriger. Im ­Oktober hatte sie noch über zwei Prozent ­gelegen.

Eine Hyperinflation ist durch die Billiggeldstrategie derEuropäischen Zentralbank (EZB)nie entstanden – das ist die gute Nachricht. Die schlechte: Der jüngste Rückgang der Teuerungsrate könnte die von vielen Sparern ersehnte Zinswende weiter hinausschieben. Denn eine Erhöhung der Leitzinsen würde die Inflation weiter verringern, was nicht im Interesse der EZB ist. Die Notenbank hat sich nämlich schon 2003 darauf festgelegt, „mittelfristig eine Preissteigerungsrate von nahe zwei Prozent beizubehalten“. Damit will sich die Notenbank den Spielraum wahren, bei niedrigen Inflationsraten das Abgleiten in eine Deflation verhindern zu können.

Das ist auch der offizielle Grund, warum die Notenbank ihren Leitzins auf null gesenkt hat und mit dem Kauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren zweieinhalb Billionen Euro in die Märkte pumpte. Doch als sie zum Jahreswechsel die Notenpresse stoppte, war der Preisauftrieb schon wieder im Schwinden begriffen.

Zumindest, was die offizielle Inflationsrate betrifft. Andere Indikatoren zeigen nämlich durchaus kräftige Steigerungsraten: Die Immobilienpreise in Deutschland und der gesamten Eurozone lagen im letzten Quartal vergangenen Jahres gut vier Prozent über dem Vorjahresniveau. Anders als die Mieten gehen die Preise für Eigenheime bislang aber nicht in die Inflationsrate für den Euroraum ein.

Obwohl der Anstieg der Hauspreise durch die niedrigen Zinsen beflügelt wurde, spielt er für die geldpolitischen Entscheidungen der EZB also keine Rolle. Ein Fehler, meint der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer: „Die Menschen leiden unter steigenden Immobilienpreisen und Mieten, und die EZB trägt dazu bei.“ Ihr Fokus auf die Inflationsrate sei überholt – auch, weil die Notenbank diese nicht mehr so gut steuern könne wie früher: „Die Inflation ist wegen der globalen Wertschöpfungskette und der Digitalisierung, die die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer schwächt, schwerer zu beeinflussen als früher.“

Hinzu kommt: Die Deutschen kaufen zwar Jahr für Jahr mehr ein – aber die Ausgaben steigen nicht in dem Maße, wie es die Einkommensentwicklung vermuten ließe. Laut Statistischem Bundesamt legten die verfügbaren Einkommen der deutschen Haushalte 2018 um 3,3 Prozent zu, die privaten Konsumausgaben nur um 2,6 Prozent. Eine mögliche Erklärung für diese Diskrepanz, die außer 2017 auch in den Vorjahren zu beobachten war: Wer kann, legt lieber Geld für das Alter zurück.

Diese Tendenz ist jedenfalls aus anderen alternden Gesellschaften bekannt – allen voran Japan, das seit den 90er Jahren immer wieder mit Phasen der Deflation kämpft. „Ein Grund für die niedrigen Inflationsraten ist, dass die Menschen in Japan angesichts von Rentenkürzungen und steigenden Ausgaben für die Pflege verstärkt fürs Alter sparen. Die Konsumneigung hat dadurch abgenommen“, sagt Harald Conrad, Professor für Japan-Studien an der Universität Düsseldorf. „Das wirkt sich negativ auf das Wirtschaftswachstum aus.“ Egal sein kann die niedrige Inflationsrate den Notenbanken also nicht. Der Chefvolkswirt der Allianz, Michael Heise, weist allerdings darauf hin, dass die EZB sich ihrem ­Inflationsziel 2017 und 2018 annäherte – und die Zinsen trotzdem nicht erhöhte: „Die EZB hat den Zeitpunkt für einen Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik verpasst. Er hätte der Wirtschaft überhaupt nicht ­geschadet.“

Die Notenbank argumentierte damals, der Anstieg der Inflationsrate sei nicht nachhaltig. Damit stelle sie letztlich selbst die Orientierung an diesem Indikator infrage, kritisiert Heise. Nötig sei ein breiterer, weniger schwankungsanfälliger Index für Preisstabilität. Zudem müsse die EZB Risiken ihrer Politik für die Finanzstabilität stärker in den Blick nehmen: „Die Entwicklung der Immobilienpreise in einigen Großstädten ähnelt schon einer Blase.“

Wenn die EZB ihren Kurs nicht ändere, bestehe zudem die Gefahr, dass die Inflation irgendwann doch aus dem Ruder laufe: „Das Risiko ergibt sich aus der Beschädigung der Glaubwürdigkeit der Geldpolitik, die immer mehr zu einem Agenten der Finanzpolitik wird. Schon in den vergangenen Jahren konnte EZB-Chef Mario Draghi die Zinsen ja praktisch nicht erhöhen, weil die Lage in Italien so labil war. Wenn sich der Eindruck festsetzt, dass die EZB dazu dauerhaft nicht imstande ist, werden die Inflationser­wartungen irgendwann doch steigen“, sagt ­Heise. Über Lohn- und Preiserhöhungen könnten solche Erwartungen schließlich zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Ironischerweise zeigte sich Draghi selbst am Wochenende besorgt über die Unabhängigkeit von Notenbankern. Er bezog sich ­damit aber auf seine US-Kollegen, die von Präsident Donald Trump regelmäßig scharf kritisiert werden.https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.draghi-ezb-muss-nebenwirkungen-von-negativzinsen-eventuell-lindern.4a61f3bd-593b-46a9-b613-0f53356f0c68.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wohnungsmarkt-in-stuttgart-was-sich-auf-den-immobilienpreis-auswirkt.0f0ba174-6d49-4846-ae85-b60888345de2.htmlhttps://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.geldpolitik-us-notenbank-reagiert-auf-konjunktursorgen.684d2dc2-e5c7-4b4f-b455-05a51c913970.html