„Hoffnung ist größer als Besorgnis“

Das Interview: Robert Antretter, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter, spricht über das neue Duo an der Parteispitze

Für die SPD ist der Überraschungssieg von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nicht weniger als eine Zäsur. Schon jetzt wird Kritik am neuen Vorstandsduo laut, nicht wenige sehen die Große Koalition in Gefahr. Wir haben mit Robert Antretter, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter, über den Ausgang der Abstimmung, die Zukunft der GroKo und einen möglichen Kanzlerkandidaten seiner Partei gesprochen.

„Hoffnung ist größer als Besorgnis“

Das Ergebnis des Votums ist nicht so, wie Robert Antretter es sich gewünscht hätte. Doch er fordert gegenüber dem neuen Spitzenduo der SPD, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, Respekt und genug Zeit, sich zu beweisen. Archivfoto: A. Becher

Von Silke Latzel

Herr Antretter, wie überraschend war der Ausgang des Votums für Sie?

Sehr überraschend. Ich wäre eine Wette eingegangen, dass Olaf Scholz das Rennen macht, ich bin ja auch im Vorfeld für ihn eingetreten. Aber: Ich habe Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans unter anderem am Sonntagabend bei Anne Will in ihrer Talkshow gesehen. Und wie man den beiden derzeit begegnet, das wird ihnen nicht gerecht. Man ist unhöflich und respektlos mit ihnen umgegangen und das macht man einfach nicht.

Jetzt war das Votum der SPD-Basis ja doch eindeutig, Esken und Walter-Borjans haben in der Stichwahl gegen Olaf Scholz und Klara Geywitz 53,06 Prozent der Stimmen erhalten und es gab kein langes Hin und Her. Könnte man sagen, dass dieser Tag durch dieses Ergebnis ein glücklicher Tag für die SPD war?

Diese Frage ist für mich wirklich schwer zu beantworten. Esken und Walter-Borjans müssen sich jetzt natürlich erst noch beweisen. Ich persönlich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht. Aber ich stelle mich entschieden gegen die Neigung mancher Menschen, ihnen von vornherein keine Chance zu geben. Ob es ein glücklicher Tag für die SPD war, wird sich allerdings erst in der Zukunft zeigen. Und viel hängt auch vom kommenden Parteitag ab, der in ein paar Tagen stattfindet.

Ist Olaf Scholz Ihrer Meinung nach durch diese Niederlage angezählt?

Es wird in jedem Fall eine Beeinträchtigung seiner Autorität nach sich ziehen. Auf seine Position als Bundesfinanzminister wird es, so nehme ich an, keinen Einfluss haben. Aber innerhalb der Partei wird es durchaus eine Rolle spielen, wenn es darum geht, wer Kanzlerkandidat wird. Von Esken und Walter-Borjans habe ich insofern einen guten Eindruck, dass sie bislang mit den Vorschusslorbeeren, die sie durch den Wahlsieg von der Partei bekommen haben, besonnen umgehen.

Esken und Walter-Borjans positionieren sich politisch ziemlich weit links. Könnte dieses neue Spitzenteam das Ende der Großen Koalition bedeuten?

Sagen wir mal so: Der Ausgang der Abstimmung ist keine Bestandsgarantie für die GroKo. Ich glaube, dass man an der Basis beim Parteitag vernünftig mit dem Thema umgehen wird. Und dann wird die GroKo auch bis zum Ende der Legislaturperiode weiterarbeiten können. Die Hoffnung ist in diesem Punkt bei mir größer als die Besorgnis.

Auch wenn man der GroKo in der Öffentlichkeit vorwirft, nur wenig zu erreichen?

In einer solchen Koalition geht es immer darum, Kompromisse einzugehen. Das hat den Vorteil, dass keine der Parteien ihr Gesicht verliert, und ist nicht etwas, das man als „faulen Kompromiss“ bezeichnen müsste. Die SPD hat in der Koalition fast alles durchgesetzt oder zumindest angestoßen, was für sie wichtig ist.

Seit einigen Jahren hört man ja immer wieder Stimmen, die eine charismatische Führungspersönlichkeit für die SDP fordern. Sehen Sie das auch so?

Gegenfrage: Sehen Sie derzeit in der SPD eine charismatische Fügungspersönlichkeit? Ich nicht. Auch Olaf Scholz ist eigentlich kein Charismatiker. Seine Politik ist sozialdemokratisch, ja. Aber das allein macht ja noch kein Charisma. Charisma muss auch wachsen. Willy Brandt war auch nicht von Anfang an so charismatisch, wie er wahrgenommen wurde. Charisma entsteht durch Erfolge und Rückschläge sowie durch Glück im persönlichen Leben. Ich teile die Sehnsucht nach einer charismatischen Persönlichkeit an der Spitze sowieso nicht. Ich möchte Vertrauen in die Person haben. Und Scholz wäre jemand gewesen, dem ich in vollem Maße vertraut hätte.

Esken und Walter-Borjans: Kann einer der beiden Kanzler?

Aus heutiger Sicht und wenn ich sagen müsste, wie ich mir einen sozialdemokratischen Kanzler vorstelle, muss ich sagen: Ich stelle ihn mir anders vor. Bei den drei Sozialdemokraten, die in der Vergangenheit das Kanzleramt innehatten, konnte ich es mir immer direkt vorstellen. Auf Anhieb würde ich auch nicht sagen, dass ich mir Esken oder Walter-Borjans als Kanzler wünsche. Da habe ich drei andere potenzielle Kandidaten im Sinn.

Und die wären?

Zum einen Olaf Scholz. Dann Franziska Giffey. Was sie bislang geleistet hat, hat mich überzeugt, und ich würde mich freuen, wenn wir eine Frau als Kanzlerkandidatin hätten. Und als Drittes fällt mir Malu Dreyer ein. Sie ist meiner Ansicht nach im wahrsten Sinne des Wortes eine Spitzenanwärterin, denn sie hat in der vergangenen Zeit einen unglaublich tollen Job gemacht. Aber leider kann man ihr dieses Amt gesundheitlich wohl nicht zumuten.

Man hört Saskia Esken ziemlich deutlich an, dass sie aus Baden-Württemberg kommt. Könnte ihr Dialekt zu einem Hindernis in Berlin werden?

Nein. Dialekt ist meines Erachtens nach überhaupt nicht schädlich. Es hat Konrad Adenauer auch nicht geschadet, dass man immer gehört hat, wo er herkommt. Ich möchte noch keine Laudatio auf Esken und Walter-Borjans halten, aber ich wehre mich dagegen, sie nach Kriterien zu beurteilen, die mit dem politischen Können nichts zu tun haben, wie etwa der Dialekt. Manfred Rommel ist doch das beste Beispiel: Der war beliebt für sein schwäbisches Hochdeutsch. Und bei Esken könnte es durchaus auch sein, dass sie ihm in diesem Punkt in nichts nachsteht.