Hohe Baustandards verteuern den Hausbau auch im Raum Backnang

Bauexperten und Unternehmer im Raum Backnang sprechen sich für eine Reduzierung der gesetzlichen Vorgaben aus. In einigen Bereichen wie zum Beispiel bei der Wärme- und Trittschalldämmung lässt sich viel einsparen, ohne dass es zulasten des Komforts geht.

Hohe Baustandards verteuern den Hausbau auch im Raum Backnang

Ab einer bestimmten Isolierungsdicke steht der Nutzen in keinem Verhältnis zu den Kosten. Es stimmt nicht, dass viel auch viel hilft. Trotzdem sind die Anforderungen an die Bauherren Jahr für Jahr gestiegen. Foto: stock.adobe.com/U.J. Alexander

Von Matthias Nothstein

Rems-Murr. Wer ein Haus baut, muss von Jahr zu Jahr tiefer in die Tasche greifen. Das hängt nicht nur mit den gestiegenen Energie- und Materialkosten zusammen, sondern zu einem Großteil auch mit ständig steigenden Anforderungen und gesetzlichen Auflagen. Nachdem unlängst selbst Ministerpräsident Winfried Kretschmann trotz seines grünen Parteibuchs angedeutet hatte, dass in der Vergangenheit in der Bauwirtschaft eventuell „falsche Schwerpunkte“ gesetzt wurden, sehen Kritiker der übertriebenen Standards einen Silberstreif am Horizont. Kretschmann hatte gesagt: „Wenn man bedenkt, dass der CO2-Ausstoß beim Bauen selber bis zu fünf- oder sogar achtmal so groß ist wie in der gesamten Betriebsphase, dann ist es eine Fehlkalkulation, bei der Beurteilung eines Gebäudes nur auf den Betrieb zu setzen.“

Diese Worte des Landesvaters sind Wasser auf die Mühlen von Andreas Benignus. Der Geschäftsführer der Backnanger Aspa Bauträger GmbH fordert vehement, vor allem übertriebene Anforderungen bei der Wärme- und Schalldämmung oder der Haustechnik zurückzuschrauben und bei den Themen Stellplätze oder überdachte Fahrrad- oder Kinderwagenräume flexibler agieren zu können. Nur so könnten die Preise für den Hausbau wieder sinken. Andreas Grüll, ein weiterer Aspa-Bauträger-Geschäftsführer, nennt ein Beispiel: „Wir haben 70 Quadratmeter große Fahrradabstellräume gebaut, da steht ein Fahrrad drin.“ Grüll vertritt die Ansicht, dass der Gesetzgeber mehr Freiräume bei den Themen Fahrrad-, Kinderwagen- oder Autostellplätze einräumen müsste, das würde die Wirtschaftlichkeit vieler Projekte deutlich verbessern. Benignus stellt klar: „Freiräume nicht für den Bauherrn, da wissen wir, wo das hinführen würde, sondern wenigstens für die örtliche Behörde. Stand heute sind die Anforderungen aber für die Innenstadt von Stuttgart die gleichen wie für Hinterwestermurr.“

„Wir müssen das extreme Dämmen wieder zurückschrauben“

Anderes Beispiel: Wärmedämmung. Benignus bezeichnet den aktuell geforderten Dämmstandard als übertrieben: „Wir müssen das extreme Dämmen wieder zurückschrauben, es hat für den Nutzer keinen oder nur einen sehr geringen Mehrwert, kostet aber sehr viel mehr Geld.“ Aber derzeit müsse so gebaut werden, weil dies über die Energieeinsparverordnung und das Gebäudeenergiegesetz vorgeschrieben ist. Ein Bauherr, der sagt, er möchte ein Haus mit weniger Dämmung als vorgeschrieben, würde dafür keine Genehmigung erhalten. Benignus betont, dass vor sieben oder zehn Jahren schon „vernünftige Standards“ Anwendung fanden und Häuser gebaut wurden, „in denen sich die Menschen wohlgefühlt haben“. Trotzdem wurden vonseiten des Gesetzgebers wegen Energieeinsparungen im Promillebereich immer höhere Anforderungen an die Dämmung der Gebäudehülle gestellt. Grüll hat von allen Häusern, die sein Unternehmen in den verschiedenen Standards gebaut hat, die realen Jahresverbräuche an Kilowattstunden für Heizung und Warmwasser pro Quadratmeter Wohnfläche verglichen. Das Ergebnis war eindeutig: Es ist nicht so, dass viel Dämmung viel hilft. Ab einem gewissen Wert ist die Verbesserung nur noch minimal. Viel größere Bedeutung kommt dem Nutzer zu: „Wir können Isolierung ohne Ende an die Außenwand kleben, wenn der Nutzer ständig lüftet oder lüften muss, dann entweicht die Wärme trotzdem.“

Übertriebene Isolierung hat mehrere Nachteile. Neben den Anschaffungs- und Verarbeitungskosten sind das auch Folgekosten. Denn das Gesamtpaket der Anforderungen an die Gebäudehülle – dazu zählen Fenster, Dach und Bodenplatte – dichtet die Gebäude so stark ab, dass weitere Investitionen etwa in Lüftungstechnik nötig sind. Zudem verbessert der Gesetzgeber mit dem Dämmzwang zwar die Energieeffizienz ein bisschen, allerdings zulasten der Ökologie. Denn die Herstellung des Dämmmaterials ist nicht ohne. Und noch schlimmer ist, dass das Isoliermaterial Sondermüll darstellt, wenn das Haus einmal abgerissen wird. Denn es ist fast unmöglich, die Isolierung von den Mauern zu trennen. Immerhin: In einem Punkt relativiert Grüll die Kritik, wenn er die Aufsparrendämmung lobt, „die hilft im Sommer gegen die Hitze unterm Dach“.

Auch der Sulzbacher Bauunternehmer Uwe Weber nimmt kein Blatt vor den Mund. „Es wird alles immer komplizierter. In der Ära Merkel wollte man aus 200 Gesetzen nur noch 40 machen, geworden sind es aber 700“, sagt Weber. Inzwischen würden selbst die Bauämter an den Paragrafen verzweifeln. Tobias Großmann, der Leiter des Backnanger Stadtplanungsamts, pflichtet bei: „Allein für den Wohnungsbau gibt es in Deutschland Hunderte Normen, die beachtet werden müssen. Diese führen zu einer hohen Komplexität im Bauprozess. Die Vielzahl an DIN-Normen ist ein hoher Kostentreiber.“ Die Vielzahl der Normen hat laut Großmann unterschiedlichste Gründe, etwa technische Entwicklungen, die immer mehr werden, sowie immer höhere Ansprüche an Komfort und das Sicherheitsempfinden. Großmann: „Sicherlich steckt hinter diesen Normen auch immer ein Stück wirtschaftliches Interesse der Industrie, da oft auch neue Apparate, Schalter und technische Komponenten eingeführt werden.“

Allein für die Herstellung der Decken sind heute 20 Prozent mehr Material nötig

Für Weber bietet die Lärmdämmung eine Einsparmöglichkeit. Um die erlaubten Dezibelwerte zwischen zwei Wohnungen nicht zu überschreiten, sind zum Beispiel 24 Zentimeter dicke Trennwände nötig. Dies ist laut Weber nicht überall angebracht. Benignus stimmt ihm zu, ein gewisser Mindestschallschutz gehöre zwar in einem Mehrfamilienhaus zur Wohn- und Lebensqualität dazu, aber es gebe auch hier Einsparpotenzial. Benignus: „Früher waren die Decken 18 Zentimeter dick, heute sind es 22 Zentimeter, das sind 20 Prozent mehr an Material.“ Und Grülls Erfahrung ist, dass es nicht bei den Mindestanforderungen bleibt: „Sobald Schall ein Thema ist, schlägt das Pendel eher in Richtung Wohnungsnutzer um statt zum Bauherrn. Aber auch in einem Gebäude mit früheren Schallschutzwerten kann man wunderbar leben.“ Benignus moniert: „Der Investitionsbedarf, den man da tätigt, um eine leichte Verbesserung hinzubekommen, steht in keinem Verhältnis zu den Kosten.“

Es gibt Kunden, die nicht auf Rollläden verzichten wollen

Uwe Weber nimmt auch die Bauherren in die Pflicht. Er versteht nicht, weshalb jedes Haus Rollläden benötigt. Er selbst habe in seinem Privathaus keine, „aber es gibt keinen Kunden, der darauf verzichten will“. Andere Punkte, die unlängst von Thomas Auer vorgeschlagen wurden, lehnt Weber ab. Auer ist Professor der Technischen Universität München und beschäftigt sich im Auftrag der Landesregierung mit dem Thema „Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen“. Häuser ohne Keller und Estrich, dafür aber mit sichtbaren Rohren und Kabelschächten werden dabei geprüft. Weber würde wegen des Trittschalls niemals auf Estrich verzichten. Auch glaubt er, mit dem Wegfall des Kellers sei nur wenig einzusparen, da in diesem Fall die Bodenplatte umso aufwendiger wäre. Gleichzeitig würde viel Nutzfläche wegfallen mit der Konsequenz, dass etwa Technikräume im Erdgeschoss Platz finden müssten „und die ebenerdige Fläche ist dafür eigentlich zu schade“. Auch Benignus warnt davor, den Hebel gleich wieder voll umzulegen: „In einer Wohnung zu leben ohne Estrich und Trittschalldämmung bedeutet auch weniger Komfort.“

Bei vielen Punkten, die die Bauexperten auflisten, handelt es sich nur um kleine Einsparpotenziale. Deshalb fordern sie, alle Posten zu durchforsten. Weber: „Letztendlich könnten vielleicht zehn Prozent der Kosten eingespart werden, auf keinen Fall mehr. Aber in den vergangenen Jahren haben die Preise um 30 Prozent angezogen. So kann sich bald niemand mehr einen Neubau leisten.“ Er kritisiert in diesem Zusammenhang ganz massiv die Trittbrettfahrer. Es ist für Weber nicht nachvollziehbar, warum ein Produkt doppelt so teuer wurde, bloß weil eine Komponente wie etwa die für die Herstellung benötigte Energie teurer wurde.