Hunderttausende Menschen in Deutschland ohne Wohnung

dpa Berlin. In den Ballungsräumen fehlen bezahlbare Wohnungen. Die Zahl der von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen geht in die Hunderttausende. Eine neue Schätzung gibt eine Ahnung vom Ausmaß des Problems.

Hunderttausende Menschen in Deutschland ohne Wohnung

Genaue Zahlen zu wohnungslosen Menschen gibt es in Deutschland nicht. Foto: Hauke-Christian Dittrich

Hunderttausende Menschen leben in Deutschland ohne eigene Wohnung. Nach Schätzungen seien im Verlauf des Jahres 2017 insgesamt 650.000 Menschen zumindest zeitweise von Wohnungslosigkeit betroffen gewesen, teilte die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) am Dienstag mit.

Der Verein geht davon aus, dass die Zahlen gestiegen sind. Genaue Daten gibt es aber nicht. Die BAGW rechnete offizielle Zahlen aus Nordrhein-Westfalen auf ganz Deutschland hoch.

Unter den Wohnungslosen waren laut der Schätzung rund 375 000 anerkannte Asylsuchende und Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften oder dezentraler Unterbringung. Dazu kamen demnach rund 275 000 Betroffene, die etwa begleitet von Jobverlust, Mietschulden oder privaten Schicksalsschlägen die Wohnung verloren haben.

Diese Wohnungslosen kommen in der Regel in Not- und Gemeinschaftsunterkünften unter, in Pensionen und günstigen Hotels - sowie zu einem großen Teil auch bei Bekannten und Verwandten. Rund 48.000 Menschen leben nach der Schätzung auf der Straße, davon viele Zuwanderer aus osteuropäischen EU-Ländern.

Laut BAGW erfasst die Schätzung all jene Menschen, die innerhalb eines Jahres einmal wohnungslos waren - wenn auch nur vorübergehend. Die Zahl der Wohnungslosen zu einem bestimmten Stichtag liege deutlich unter der Gesamtzahl für das Jahr. So schätzt die Arbeitsgemeinschaft die Menschen ohne Wohnung zum 30. Juni 2017 auf insgesamt rund 440.000, davon 287.000 anerkannte Flüchtlinge und weitere rund 153 000 Wohnungslose.

Von den Wohnungslosen außer den Flüchtlingen sind laut BAGW rund 22.000 minderjährig. Von den Erwachsenes seien 73 Prozent Männer.

FORDERUNGEN:

Bezahlbarer Wohnraum ist laut der Arbeitsgemeinschaft das A und O. „Es wird gebaut, aber nicht so viel, wie man bauen müsste“, beklagt Rosenke. Nötig seien pro Jahr 80.000 bis 100.000 neue Sozialwohnungen und weitere 100 000 bezahlbare Wohnungen. Kommunen sollten zudem Anreize schaffen, damit Wohnungswirtschaft und Vermieter Wohnungslose stärker berücksichtigen. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wurden 2018 bundesweit 287.000 Wohnungen fertiggestellt, der Wert dürfte dieses Jahr demnach nicht deutlich steigen. Benötigt würden 2019 und 2020 aber je 342.000 neue Wohnungen. Vor allem den großen Städten fehlten viele Wohnungen.

REAKTIONEN:

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte von Bauminister Horst Seehofer (CSU) rasche Maßnahmen, „damit der Bestand an Sozialwohnungen wieder zu- statt abnimmt“. Seehofer hatte zuletzt die Länder in die Pflicht genommen. Im vergangenen Jahr waren bundesweit 27 040 geförderte Sozialwohnungen neu gebaut worden. Linke-Chefin Katja Kipping forderte eine „Offensive gegen Wohnungslosigkeit“ - unter anderem sollten im Notfall Mietschulden als Beihilfe übernommen werden. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, sagte: „Die Angst, dass die Wohnung unbezahlbar wird, belastet mittlerweile einen Großteil der Bevölkerung.“ Nötig sei unter anderem eine „gut funktionierende Mietpreisbremse“.

GRUNDLAGE DER ZAHLEN:

Eindringlich forderte BAGW-Geschäftsführerin Werena Rosenke eine offizielle Wohnungslosenstatistik. Die vorgelegten Zahlen beruhen auf einer Erhebung aus Nordrhein-Westfalen, die vom dortigen Sozialministerium jährlich vorgelegt wird. Der Verein rechnet die NRW-Daten unter anderem aufgrund der Gemeindegröße auf Gesamtdeutschland hoch. Andere Daten kommen hinzu, etwa aus Beratungsstellen und Hilfsdiensten, die in einem Dokumentationssystem zur Wohnungslosigkeit gesammelt werden.

Über Jahre hatte die BAGW Schätzungen nach einer anderen Systematik vorgenommen, die sie nun als veraltet verworfen hat. Die geschätzten Zahlen für 2016 lagen noch weit höher - doch distanzierte sich die BAGW nun davon. Unter Hinweis auf Entwicklungen in einzelnen Bundesländern sagte Rosenke dennoch, man müsse von einem Anstieg der Wohnungslosigkeit ausgehen - wenn auch von niedrigerem Niveau, als zuvor angenommen.