„Ich hoffe, dass du nicht hierherkommst“

Bei der Verhandlung vor dem Landgericht um eine entführte Pflegekraft aus Aspach wird aus Telefonchat zwischen dem Angeklagten und dem Opfer vorgelesen.

„Ich hoffe, dass du nicht hierherkommst“

Zeugin erzählt von merkwürdigen Kurznachrichten nach dem Verschwinden der Pflegekraft. Symbolfoto: stock-adobe/kanakdeniz

Von Hans-Christoph Werner

ASPACH/STUTTGART. Am vierten Verhandlungstag vor dem Stuttgarter Landgericht im Aspacher Entführungsfall (wir berichteten) werden vier Zeugen gehört, Berichte über ärztliche Untersuchungen verlesen und die beiden Angeklagten zu Details des Vorgefallenen befragt.

Die entführte 47-Jährige arbeitete seit September 2018 als Pflegekraft in einem Haushalt. Hier war ihre Aufgabe, die Seniorin des Hauses zu versorgen. Die Tochter der Seniorin berichtet als Zeugin, wie sie die 47-Jährige erlebt hat. Ruhig und überlegt steht die Zeugin Rede und Antwort. Bedarf eine Antwort einiger Zeit des Nachdenkens, so nimmt sie sich diese. So entsteht ein anschauliches Bild der Pflegerin. Als die Pflegekraft bei der Familie ihre Arbeit aufnimmt, sind die Deutschkenntnisse der 47-Jährigen noch erweiterbar.

Eifrig macht sie sich daran, ihre Deutschkenntnisse zu erweitern. Ist ihr ein Wort unbekannt, so behilft sie sich auch mittels der englischen Sprache. Kreativ, so die Zeugin, sei die Pflegerin in ihrem Deutsch-Lernverhalten gewesen. In ihrer praktischen Tätigkeit zuverlässig und gewissenhaft. Ein Vertrauensverhältnis entstand.

Die Familie ist sehr dankbar für die Dienste der Pflegerin. So ist das Verschwinden der Pflegekraft am Tattag äußerst rätselhaft für die Familie. Diese war zuvor stets pünktlich von ihrer Mittagspause in die Familie zurückgekehrt. Als sie eine Stunde lang ausbleibt, versucht man, sie telefonisch zu erreichen. Das misslingt. Eine Kurznachricht trifft ein. „Ist in Ordnung“, heißt es da. Eine Formulierungsart, so die Zeugin, der sich die Pflegerin zuvor nie bediente. Ferner habe sie das Wort Ordnung mit Großbuchstaben geschrieben. Auch das sei ungewöhnlich gewesen.

Eine Stunde später eine weitere Mitteilung. „Bin zu 19.00 Uhr zurück“. Auch das merkwürdig. So viel Deutschkenntnisse, so die Zeugin, hatte die Pflegerin, dass es heißen müsste: um 19.00 Uhr. Die Tochter der Familie geht zur Polizei. Erst in Freiburg, weil sie sich dort gerade aufhält. Aber aufgrund einer SMS will man dort nicht tätig werden. Noch in der Nacht fährt die Tochter zurück nach Aspach und wendet sich an die Polizei in Backnang. Hier schenkt man ihr mehr Glauben und nimmt sich der Sache an.

Im August 2019 kehrt die Pflegekraft zu der Familie zurück. In den Wochen nach der Entführung war sie in Polen in ärztlicher Behandlung gewesen. Die Zeugin beschreibt, dass der 47-Jährigen der Schock über das Vorgefallene anzumerken gewesen sei. Sie litt unter Schlafstörungen, hatte Angstzustände. Große Furcht beherrschte sie bei dem Gedanken, dass sie in dem Prozess gegen ihre Entführer aussagen müsste. Es sei, so sagte die 47-Jährige, als würde sie „ihr eigenes Blut schmecken und riechen“.

Mit Unterbrechungen ist die Pflegerin bis April 2020 bei der Familie tätig. Ob denn die 47-Jährige, so will der Richter wissen, auch mit ihr, der Zeugin, über das Vorgefallene gesprochen habe. Nur gelegentlich kam etwas hoch. Schon aus Taktgefühl drang die Zeugin nicht auf weitere Auskünfte.

Als die Zeugin eines Tages zufällig mit einer Rolle Klebeband im Haus unterwegs gewesen sei, und die Pflegerin das bemerkte, sei sie zusammengefahren. Die Verteidigerin des älteren Angeklagten will noch wissen, was denn da zwischen dem Bruder der Zeugin und der Pflegekraft gewesen sei. Die Zeugin nennt die Beziehung ein Verhältnis.

In den Wochen vor der Entführung hatten die Pflegerin und ihr Ex-Lebensgefährte Maciej I. einen eifrigen Austausch über Kurznachrichten. Der Richter liest den sogenannten Chat-Verlauf auszugsweise vor. Heftige Vorwürfe macht der Ex der Pflegerin. „Du hast mein Herz in Stücke gerissen“, heißt es da. Dann ist es auch nur ein Wort, das er schreibt: „Schmerz!“ Sie wiederum appelliert an ihn: „Werde endlich erwachsen.“ Oder auch: „Versuch mich zu verstehen (...) ich habe mich verliebt. Von dir hängt es ab, wie wir auseinander gehen.“ Er protestiert: „Du hast kein Recht, mir etwas über die Liebe zu sagen.“ Und schildert sein Leid: „Du reißt mir das Herz heraus. Meine ganze Welt warst du.“ Bei allem Hin und Her der Nachrichten lässt der Angeklagte die Pflegerin aber auch im Ungewissen. Sie schreibt ihm: „Ich hoffe, dass du nicht hierherkommst.“ Er wiegelt ab: „Ich will das Auto abholen und nicht zu dir.“ Noch am Morgen des Tattages ist die Pflegekraft offenbar der Meinung, dass die beiden Angeklagten an diesem Tag einen Ausflug in deutschen Gefilden machen.

Dem Gericht liegen die Vernehmungsprotokolle der französischen Polizei vor. Der Richter greift einige Punkte heraus und befragt dazu die beiden Angeklagten. Auf dem Laptop des jüngeren Angeklagten Krzystof T. fand die Polizei die Gebrauchsanweisung für einen Elektroschocker. Dieser will das nicht aufgerufen haben, sondern den Laptop an Maciej I. weitergegeben haben. Jener wiederum sagt, dass er Angst vor seiner Reise nach England gehabt habe und sich über die Verwendung eines Elektroschockers informiert habe. Und im Übrigen, den Elektroschocker habe er nur zweimal in der Hand gehabt. Als dieser nach der Bestellung bei ihm eingetroffen sei und dann in Frankreich, als er in wegwarf. Ob die beiden Angeklagten ihr Vorgehen in Aspach abgesprochen hätten, will der Richter wissen. Die Vernehmungen der französischen Polizei geben Anlass, das anzunehmen. Aber Maciej I. bestreitet das. Seine Antwort in Frankreich sei falsch übersetzt worden. Die Verhandlung wird im Juli fortgesetzt. Das Entführungsopfer soll vernommen werden.