Nur Stunden vor dem Musikfestival Tomorrowland wird die große Hauptbühne durch ein Feuer zerstört. So erlebten drei Karlsruherinnen das Festival.
Vor der Kulisse der niedergebrannten Hauptbühne in Boom feiern die Festivalbesucher.
Von Knut Krohn
Zerstörung kann erschreckend ästhetisch sein. Bizarr ragt eine riesige, verkohlte Konstruktion in den Abendhimmel über Tomorrowland. Zehntausende junge Menschen tanzen vor dieser zu Kunst gewordenen Ruine, angetrieben von den durchdringenden Elektro-Beats des brasilianischen DJ Alok. Irgendwann dimmt der 33-Jährige die Musik und greift zum Mikrofon. „Wir tragen heute eine unglaubliche Energie in uns“, beginnt er im Tone eines Predigers, denn dieser Abend sei größer als jeder einzelne, gemeinsam entstehe eine neue Erinnerung. Eine Erinnerung an die Kraft der Schöpfung und die Kraft des Mutes und der Träume, dafür stehe Tomorrowland in diesen Stunden und in alle Zukunft. Frenetischer Jubel brandet auf, DJ Alok trifft das Lebensgefühl der Besucher.
Jeder einzelne in dieser tosenden Masse fühlt sich an diesem Abend als Teil von etwas Besonderem, von etwas Unmöglichem, das möglich gemacht wurde – die verkohlte Ruine ist der sichtbare Beweis dafür. Um diesen Grad der kollektiven Verzückung zu erreichen, bedurfte es aber zuvor eines emotionalen Absturzes und den 36-stündigen Marsch durch ein Tal der Hoffnung und des Bangens. Am Mittwochnachmittag machten auf Instagram die ersten, kurzen Videos die Runde, die die Tomorrowland-Fangemeinde in einen Schockzustand versetzten. Zu sehen war eine azurblaue Fantasielandschaft – lichterloh in Flammen stehend. Eine gigantische, dunkelgraue Rauchsäule stieg in den Himmel und war noch im zehn Kilometer entfernten Antwerpen zu sehen.
Tomorrowland-Hauptbühne fing aus unbekanntem Grund Feuer
Die 160 Meter breite und 70 Meter hohe Hauptbühne auf dem Festivalgelände hatte aus bisher unerklärlichen Gründen Feuer gefangen. Die Feuerwehr war schnell zur Stelle, konnte am Ende aber nur die ganz große Katastrophe verhindern, dass die Flammen auf die anderen 16 Bühnen übergreifen. Von der einst kunstvoll mit Bergwelt, Steinskulpturen, 65 Springbrunnen und zwei Wasserfällen gestalteten Hauptbühne blieb nichts mehr übrig – bis auf besagten Rest der verkohlten Basiskonstruktion. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. In diesem Augenblick gingen alle davon aus, dass Tomorrowland, mit mehreren Hunderttausend Besuchern in der Stadt Boom eines der größten Elektrofestivals weltweit, nicht stattfinden würde.
„Ich musste ein bisschen weinen, als ich das Video von der brennenden Bühne auf Instagram gesehen habe“, gesteht Ramona. Sie hat sich mit ihren Freundinnen Imke und Daniela auf den weiten Weg aus Karlsruhe an die Schelde gemacht. „Mir haben schlicht auch die Veranstalter leidgetan, die sich so viel Mühe gegeben haben.“ Dass das Festival dennoch stattfinden konnte, ist in ihren Augen der helle Wahnsinn und irgendwie auch ein schönes Zeichen, dass man sich nicht unterkriegen lassen dürfe. Auch Julienne, eine junge Frau aus Lüttich im rosa Engel-Look, waren beim Anblick des Videos auf Instagram die Tränen gekommen. „Und nun ist es wie ein Wunder, dass ich hier in Tomorrowland bin und das Festival stattfinden kann. Jetzt kann ich wieder lachen.“
Auffallend viele Besucherinnen erklimmen diese mystische Ebene des Geschehens, suchen nach einem tieferen Sinn. Betont wird, dass diese Beinahe-Katastrophe als Sinnbild gesehen werden müsse, als eine Mahnung und ein Zeichen der Hoffnung, dass das Ende auch ein neuer Anfang sein könne. Passend dazu postete die bekannte belgische Techno-DJ Charlotte de Witte ein keckes Foto von sich selbst vor dem verkohlten Rest der Hauptbühne. Darunter schreibt sie bedeutungsschwanger: „From the ashes, we will rise – Wir werden auferstehen aus der Asche.“
Bühnenequipment von Metallica rettet Tomorrowland-Festival
Vor dieser musikalischen und spirituellen Ekstase standen allerdings drei Tage harte körperliche Arbeit und ein logistisches Meisterwerk. Nach dem ersten Schock des Brandes gab sich die Festival-Sprecherin Debby Wilmsen von Anfang an kämpferisch. „Das Festival wird stattfinden. Es ist allerdings klar, dass wir ohne die Hauptbühne auskommen müssen. Wie wir das lösen, kann ich noch nicht sagen, aber wir arbeiten daran", sagte sie am Mittwochabend auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz. Die totale Ratlosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben, aber man halte an dem Plan mit mehr als 600 Auftritten auf 16 Bühnen fest, unter anderem von Martin Garrix, David Guetta, Armin van Buuren, Charlotte de Witte und Swedish House Mafia. Die beiden ersten Probleme bestanden darin, das Feuer ganz zu löschen und die Reste der verkohlten Bühne stabil zu halten. Über 100 Feuerwehrleute schafften es schließlich, alle Glutnester unter Kontrolle zu bekommen und auch den ausgetrockneten, angrenzenden Wald mit sehr viel Wasser abzusichern. Wie ein Wunder wirkt es, dass innerhalb kürzester Zeit von weit über 200 Arbeitern die 60 Meter breite Ersatzbühne mit unzähligen LED-Monitoren aufgebaut werden konnte. Das Unternehmen Pixelscreen erklärte am Wochenende, dass bei dem Brand rund 1000 Quadratmeter Bildschirme ein Raub der Flammen geworden seien, man aber schnell Ersatzgeräte organisiert habe.
Am Ende half auch noch ein glücklicher Zufall, um das Happy End perfekt zu machen. Die US-amerikanische Metall-Band Metallica hatte ihre Bühnenausrüstung noch transportfertig in Österreich zwischengelagert. Die Gruppe erklärte sich kurzerhand bereit, alles nach Boom fahren zu lassen und dem Tomorrowland-Festival auszuleihen. So stand der großen Elektro-Party am Wochenende nichts mehr im Wege. Mit einer Einschränkung: Auf ein Feuerwerk wurde aus Brandschutzgründen verzichtet.