Betritt man ihr Atelier, fallen sofort die bunt bemalten Wände auf. „Pinselabstrichbilder“ nennt sie die Gemälde, die sich aus zahlreichen Details nach und nach zusammenfügen. Auf Staffeleien stehen mehrere angefangene Werke mit comicartigen Elementen, an denen Sabine Nicke parallel arbeitet. In ihren Bildern erzählt sie Geschichten.
Im Atelier in Backnang taucht Sabine Nicke in ihre eigene Kunstwelt ein. Ihre Arbeiten wurden auch schon als visuelle Spazierlandschaften beschrieben. Foto: A. Becher
Von Claudia Ackermann
BACKNANG. Mal ist es nur ein Strich an der Wand, um die Restfarbe vom Pinsel abzustreifen. Dann kommt eine andere Linie dazu oder Sabine Nicke verliert sich darin, eine Form daraus entstehen zu lassen. Bis hin zum Türrahmen erstrecken sich die Pinselabstrichbilder im Atelier im Untergeschoss des Hauses in Backnang-Sachsenweiler. Ganz nebenbei ist das Atelier zu einem eigenen Kunstwerk geworden – und inzwischen sind sogar Pinselabstrichbilder auf Leinwand entstanden.
Nicht nur bei der Verwertung von Restfarbe arbeitet Sabine Nicke intuitiv, auch in den großformatigen Ölbildern auf Leinwand. Für den Betrachter gibt es immer wieder Neues zu entdecken. Maskenhaft verfremdete Gesichter tauchen auf oder auf wenige Striche reduzierte Formen und Figuren. Mit ihrem ganz eigenen Stil verarbeitet sie Gesehenes, Gefühltes und Gehörtes. So lässt sie sich in ihrem Atelier auch gerne von Musik, etwa von Rap, inspirieren. Die Geschichten aus den Texten setzt sie malerisch um.
Sie male eigentlich schon immer, sagt Sabine Nicke, die meist einen Skizzenblock in der Nähe hat. Schon früh ist sie mit Kunst in Berührung gekommen. Ihre Großeltern seien sehr kunstaffin gewesen und standen mit dem Murrhardter Künstler Reinhold Nägele in engem Kontakt, in dessen Nachbarschaft sie lebten. Sabine Nicke belegte verschiedene Mal- und Zeichenkurse, darunter auch Aktkurse, und nahm immer wieder an Workshops teil, um sich technisch und künstlerisch weiterzuentwickeln. Bisher präsentierte sie ihre Arbeiten bei mehreren Ausstellungen wie 2015 bei der Berliner Liste (Berlin) oder 2016 bei der ARTe in Sindelfingen. Ihre jüngste Einzelausstellung war im Juni 2018 im Technologiepark der Firma Riva in Backnang zu sehen, wo sie 78 Werke auf 1600 Quadratmetern Fläche zeigte.
Neben ihren freien Arbeiten nimmt Sabine Nicke auch Auftragsarbeiten entgegen. Derzeit bemalt sie den Himmel eines alten VW-Busses. Die Verkleidung hat der Besitzer abgeschraubt und in ihr Atelier gebracht. Er hatte ihre Arbeiten bei der letzten Ausstellung gesehen und war sofort begeistert. Schmutzflecken auf dem Stoff oder Löcher für Schrauben integriert Nicke in die detailreiche Malerei. Sterne nehmen das Thema „Himmel“ auf. Ein gemalter Schraubenschlüssel wird plötzlich zu einem farbenfrohen Männchen. Viel Heiterkeit strahlen ihre Arbeiten aus. Aus Strichen entstehen Figuren. „Ich halte fest, was ich in den Linien sehe“, erläutert Nicke. „Die ganze Zeit spiele ich.“
Zu ihren neueren Arbeiten zählen drei Bilder, die um Porträtfotos herum entstanden sind. Die Idee entstand, als sie ein Plakat für ein Konzert von Udo Lindenberg geschenkt bekommen hat. Um das Gesicht herum drückt sie malerisch ihre Gedanken aus, die sie mit dem Musiker verbindet. Das Bild trägt den Titel: „Ich mach mein Ding.“ Angela Merkels Porträt stammt von einem Wahlplakat. Bei den gemalten Details wollte sie auf den Menschen und nicht auf die Politikerin eingehen. Langlaufski tauchen auf, immer wieder Jacketts in verschiedenen Farben, und die Handstellung, bekannt als „Merkel-Raute“, ist in einem Sonnengeflecht zu erkennen.
Der Betrachter kann
auf Entdeckungsreise gehen
Auf einem anderen Bild mit dem Titel „Für Backnang“ strahlt dem Betrachter das Konterfei von Backnangs Oberbürgermeister Frank Nopper entgegen. Das Plakat habe sie nach der Bürgermeisterwahl auf dem Boden gefunden. Um das Porträt herum sind allerlei Details zu entdecken, die mit Backnang zu tun haben. Aus dem Stadtwappen wächst ein Figürchen. Straßenfestmotive, die Murr-Regatta, Annonay oder die Gänseliesel sind eingeflochten. Auch die drei Claqueure tauchen in comicartigem Stil auf, für Backnanger trotz Verfremdung erkennbar. In jedem Bild kann der Betrachter auf Entdeckungsreise gehen.
Neben den großformatigen Ölbildern in kräftigen Farben beschäftigt sich die 1966 in Stuttgart geborene Künstlerin auch mit kleinen, filigranen Tuschezeichnungen mit Aquarell auf Papier, wie etwa einer Serie mit humorvoll dargestellten Außerirdischen. Holzgegenstände wie alte Bretter oder ausgefallen geformte Stücke von Wurzelholz bemalt sie. Wie das Holzstück mit dem Titel „Zahn der Zeit“, das vor dem Haus in Sachsenweiler steht und an einen überdimensionalen Backenzahn mit drei gebogenen Wurzeln erinnert. Gemalte Zahnräder oder Uhrwerke stellen den Bezug zum Thema her.
Ausgangspunkt für diese Arbeit war ein altes Wahlplakat von Backnangs OB Nopper.