Im Notfall nach Stuttgart zum Zahnarzt

Zahnärztin Cristiana Glückert aus Murrhardt berichtet nur Gutes von ihrem ersten Notdienst in der Landeshauptstadt. Dort im zahnärztlichen Notfalldienstzentrum finden Behandlungen nachts sowie an Wochenenden und Feiertagen statt. Eine Anmeldung dafür ist nicht erforderlich.

Im Notfall nach Stuttgart zum Zahnarzt

Cristiana Glückert, hier in der Gemeinschaftspraxis am Hörschbach in Murrhardt, ist Zahnärztin geworden, um Menschen zu helfen. Foto: A. Becher

Von Florian Muhl

Backnang/Murrhardt. Bei plötzlichen Zahnschmerzen bis nach Stuttgart fahren, wenn der eigene Zahnarzt vor Ort keine Sprechstunde mehr hat? Mit großer Skepsis verfolgten viele Bürger die Umstrukturierung des zahnärztlichen Notfalldienstes. Seit Beginn des Jahres müssen Patienten auch aus dem Rems-Murr-Kreis bis in die Landeshauptstadt fahren, um im Notfall – das heißt in der Nacht, an Wochenenden und Feier- sowie Brückentagen – von Leiden im Gebiss befreit zu werden.

Bereits seit dem Jahr 2016 wurde der vertragszahnärztliche Notfalldienst für die Stadt Stuttgart sowie die Landkreise Böblingen, Ludwigsburg, Rems-Murr, Esslingen und Göppingen zentral durch das Katharinenhospital (KH) Stuttgart geregelt. Ein darüber hinausgehender Notdienst durch örtliche Zahnarztpraxen erfolgte lediglich an Samstagen und Sonntagen tagsüber. Die Aufregung über die Neuorganisation, die vor knapp zwei Monaten in Kraft getreten ist, hat sich mittlerweile gelegt.

Nach offensichtlich langen Wartezeiten im Notfalldienstzentrum in der ersten Woche sehen Patienten und Ärzte mittlerweile die vielen Vorteile nach der Umstrukturierung. Der Backnanger Zahnarzt Michael Waack, Zahnmedizin im Schweizerbau, bringt es auf den Punkt: „Keine Frage, es ist etwas lästig, im Notfall nach Stuttgart zu fahren, aber vor Ort wird einem sofort geholfen.“ Von Kollegen wisse er, dass Patienten zuvor, als Notfälle noch im Katharinenhospital behandelt worden sind, nur Antibiotika und Schmerzmittel verabreicht bekamen und dann wieder zu „ihrem“ Zahnarzt geschickt wurden. „Mittlerweile wird in Stuttgart im Notfall richtig behandelt, sogar Wurzelbehandlungen werden gemacht“, sagt Waack. Wichtig sei, die Krankenkassenkarte dabei zu haben.

„Die Patienten waren dieselben wie in Murrhardt“

Wie es beim Notdienst in Stuttgart wirklich zugeht, weiß Cristiana Glückert jetzt aus eigener Erfahrung. Die Zahnärztin der Gemeinschaftspraxis Zahnärzte am Hörschbach in Murrhard hatte sich dafür freiwillig gemeldet. Nicht des Verdienstes wegen. Für Ärztinnen und Ärzte gibt es nur eine Aufwandsentschädigung. „Das ist meine Berufung. Ich habe Zahnmedizin studiert, um Menschen zu helfen. Und ich sehe das als meine Verpflichtung, Patienten auch am Wochenende zu betreuen.“

Am vergangenen Sonntag konnte sie in der Zeit zwischen 13 und 20 Uhr etwas über 30 Patientinnen und Patienten helfen. „Es hat alles wunderbar geklappt. Es war nicht übermäßig viel los“, berichtet sie von ihrer Premiere, und sagt: „Die Patienten waren dieselben wie in Murrhardt“, auch wenn die meisten aus Stuttgart, Böblingen und Sindelfingen kamen. Akute Fälle wie Frakturen seien nicht dabei gewesen. „Alle Patienten waren sehr dankbar“, zieht Glückert ein erfreuliches Fazit. Obwohl man sich als Patient nicht anmelden muss, habe es kaum Wartezeiten gegeben. Am Samstag jedoch sei mehr los gewesen, da habe es teilweise auch längere Wartezeiten gegeben.

„Ich bin schon seit 14 Jahren im Beruf“, sagt Glückert. Da habe sie bereits reichlich Erfahrung. Aber trotzdem habe sie den Notdienst gern dazu genutzt, sich mit Kollegen auszutauschen und fachzusimpeln. Besonders für junge Kollegen sei der Notdienst eine gute Chance, Kontakte zu knüpfen und noch dazuzulernen. Zahnärzte mit mindestens einem Jahr Berufserfahrung dürfen sich zum Notdienst melden. Während beim Nachtdienst zwei Zahnärztinnen und -ärzte Dienst haben, sind es am Tag drei. Unterstützt werden sie von vier oder fünf Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA). Für die Helferinnen und Helfer ist es ein Minijob. „Bei zwei Nachtdiensten oder drei Tagdiensten haben sie in etwa die 450 Euro zusammen“, sagt Glückert.

Die Zahnärztin sieht im neuen Modell weitere Vorteile, für Behandelnde und für Patienten. Als die einzelnen Praxen noch zuständig für den Notdienst waren, seien diese zwar telefonisch erreichbar gewesen, behandelt wurde aber nur zwischen 10 und 11 Uhr und von 17 bis 18 Uhr. Jetzt dagegen könnten Patienten am Wochenende rund um die Uhr zur Behandlung kommen. Und Ärzte müssten nicht mehr in der Praxis auf Notfälle warten.

Das bestätigt auch ihr Ehemann Jens Glückert. Er betreibt die Gemeinschaftspraxis am Hörschbach, die er übernommen hatte, bereits im 20. Jahr. „Früher, so vor etwa 15 Jahren, hatten wir beim Notfalldienst 30 bis 50 Patienten pro Tag, heute sind es mal zwei, mal sechs oder sieben“, sagt er. „Wirkliche Notfälle gibt es sehr, sehr wenige.“ Ein Notfalldienst sei in den letzten Jahren für einen Zahnarzt kaum rentabel gewesen. Die jetzige Regelung begrüßt Jens Glückert sehr. Mit dem Notfalldienstzentrum habe man eine zentrale Anlaufstelle, wo stets professionelle Hilfe geleistet werden könne. Von vier Patienten, die bereits dort waren, habe er Rückmeldungen erhalten, drei sehr positive und eine kritische, wegen der langen Anfahrt.

„Tolle Sache“, sagt auch der Backnanger Zahnarzt Are Hilliges, nach dem Notfalldienstzentrum befragt. Er habe bislang zwei Rückmeldungen erhalten. Ein Patient war sauer, weil er lange warten musste, das sei in der ersten Januarwoche gewesen. Und eine Patientin sei sehr zufrieden gewesen. Noch keine Rückmeldungen ihrer Patienten, weder gute noch schlechte, haben Sabine Esenwein und Nikola Masolov, der zu Jahresbeginn die Praxis von Steffen Balz übernommen hat, erhalten. Auch nicht Ornella Rodrigues Smiguel. Die gebürtige Brasilianerin war eine der letzten Zahnärztinnen und -ärzte im Rems-Murr-Kreis, die ihren Notdienst noch in der eigenen Praxis verrichtete. Das war an Heiligabend. „Da war viel los, besonders am Vormittag“, erinnert sich die Backnangerin, die ihre Praxis bis Neujahr für Patienten geöffnet hatte.

Kleinere Anlaufschwierigkeiten nach Umstrukturierung des zahnärztlichen Notfalldienstes

Das sagt Holger Simon-Denoix, Leiter Stabsstelle Kommunikation und Politik der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KZV BW) zur Umstrukturierung des zahnärztlichen Notfalldienstes:

Der Notfalldienst für die Stadt Stuttgart sowie die Landkreise Böblingen, Ludwigsburg, Rems-Murr, Esslingen und Göppingen wurde zu Beginn des Jahres 2022 neu organisiert, nachdem die bisherige Kooperation mit dem Katharinenhospital Stuttgart für die Notfallversorgung in dieser Region zum Jahresende 2021 endete.

Die Entscheidung, den zahnärztlichen Notfalldienst für diesen Bereich in einer neu zu gründenden eigenen Einrichtung durchzuführen, erfolgte nach einer intensiven standespolitischen Diskussion, wie eine bestmögliche und umfassende Notfallversorgung gewährleistet werden kann.

Zielsetzung war die Einrichtung einer zentral gelegenen, gut erreichbaren und barrierefreien Praxis nach modernsten Maßstäben. Diese wird von den Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzten aus Stuttgart und den umliegenden Landkreisen getragen.

Das Team vor Ort und die KZV als Trägerin der Praxis bekommen viele positive Rückmeldungen seitens der Patientinnen und Patienten.

Lediglich in den ersten Tagen nach Eröffnung (…) kam es aufgrund eines extrem hohen Patientenaufkommens teilweise zu längeren Wartezeiten. Darauf hat die KZV BW jedoch kurzfristig reagiert und personell erheblich aufgestockt. Mittlerweile haben wir hier ein Team von rund 50 Zahnärztinnen und Zahnärzten. Seit Beginn des Jahres wurden zudem über 20 neue Mitarbeiterinnen für den Notdienst eingestellt. Die kleineren Anlaufschwierigkeiten sind somit behoben.