Es ist kalt, es schneit. Die Zuchtanlage, die sich über rund 32 Ar erstreckt, ist in eine weiße Schneedecke gehüllt. „Die Schnecken halten jetzt Winterschlaf“, sagt Tanja Strehnisch, die gemeinsam mit ihrem Mann Frank eine Schneckenzucht betreibt. Sie sind seit vielen Jahren von der Helix pomatia – der Weinbergschnecke – angetan und widmen sich einer alten Tradition. Das Paar ist fasziniert von den kleinen Schleimern.
Tanja Strehnisch hat Schneckenhäuschen in der Hand, die sie zufällig im Schnee entdeckt hat und die sie ebenfalls verwertet. Fotos: A. Becher
Von Yvonne Weirauch
ASPACH. Das Haus ist aus Kalk und hart, nur ganz zaghaft, mit gemütlicher Gelassenheit, bewegt sich der schleimige Körper wellenartig vorwärts. Die Fühlerchen strecken sich immer weiter gen Himmel – jedenfalls in der Fantasie der Redakteurin. Im Moment ist keine einzige Schnecke zu sehen, denn sie schlafen.
An diesem Wintertag schneit es ein bisschen, die Landschaft ist in ein zartes Weiß gehüllt. Tanja Strehnisch blickt auf ihre Zuchtanlage: Eine Parzelle erstreckt sich auf rund 32 Ar. Kleine Bleche umrunden diese große Wiese: „Der Zaun ist zum Schutz vor Mäusen oder Waschbären, die Feinde unserer Schnecken.“ Die kalte Jahreszeit nutzt die Schneckenexpertin, um Ausbesserungen an den engmaschigen Netzen und Folien vorzunehmen: „Da gibt es einiges zu tun.“
Mit großer Leidenschaft betreiben Tanja und Frank Strehnisch seit mehr als zehn Jahren die Schneckenzucht in Röhrach. Mit 25 Zuchtschnecken pro Quadratmeter habe man angefangen. „Nach gut drei Jahren gab es dann Gelege von 70 bis 100 Eiern“, erzählt die 47-Jährige: „Wie viele Schnecken wir jetzt haben, kann man in einer Zahl gar nicht nennen. Die Paarungszeit dauert von Mai bis Juli – das Liebesspiel übrigens mehrere Stunden“, verrät die Schneckenkennerin mit einem Schmunzeln.
Doch bis dahin wird geruht: Mitte November bis Anfang März ist von den Schnecken nichts zu sehen: „Nachdem sie sich einen Nahrungsvorrat angefressen haben, verkriechen sie sich in der Erde und ziehen sich in ihre Schale zurück. Die Schalenöffnung verschließt die Schnecke mit einem Kalkdeckel, der im Frühjahr beim Ausschlüpfen wieder abgestoßen wird“, erklärt Tanja Strehnisch und zeigt an einem Schneckenhaus, wie die Verschließung aussieht.
Aber nicht nur im Winter würden die Kriechtiere einen Deckel bilden: „Bei starker Trockenheit im Sommer und damit verbundenem Wassermangel können Weinbergschnecken auch einen Trockenschlaf halten. Sie verschließen sich dazu ebenfalls mit einem Deckel und verzögern damit die Verdunstung des im Körper gespeicherten Wassers.“ Im Sommer werden die kleinen Kriecher ihre Häuschen durch den Garten schieben und sich in diesem speziell angelegten Teil des Grundstücks tummeln. Auf der Wiese liegen große Steine, die jetzt gerade mit Schnee bedeckt sind: „Da können sich die Schnecken bei Hitze verkriechen und den Schatten suchen, ebenso finden sie in der Nähe von einem Erdwall oder Gestrüpp Schatten.“ Die Kälte könne den kleinen Weichtieren nicht viel anhaben. Eine kontinuierliche Temperatur von etwa acht Grad Celsius sei optimal, sagt Strehnisch, aushalten würden die Schnecken bis zu minus 28 Grad. „Einerseits sind sie sehr robust, aber eben auch sehr empfindlich.“
Es sei jedes Mal aufs Neue spannend, wie viele Tiere den Winterschlaf überleben. „Im vergangenen Jahr war der Winter recht mild, da haben sich die Schnecken nicht sehr tief eingegraben. Da war auch uns bewusst, dass es kein so harter Winter wird.“
Einige der Gräser werden im Februar abgemäht, vieles bleibe aber auch stehen, denn: „Wenn die Schnecken aufwachen, haben sie großen Hunger und dann wird vieles einfach abgeknabbert.“ Leckerbissen für die Schnecken sind Beinwell, Topinambur oder auch Brennnesseln. „Wir betreiben eine naturnahe Zucht. Das bedeutet, dass die Schnecken all das finden, was es auf einer Wiese gibt.“ Zugefüttert wird mit Salat, Sonnenblumen und Klee. Nach dem Aufwachen im Frühjahr wird nicht nur gefuttert, was das Zeug hält, sondern auch Nachwuchs gezeugt. „Die Eier werden in ein selbst gegrabenes Loch in der Erde abgelegt. Nach 21 Tagen schlüpfen die Jungen dann aus den Eiern – inklusive Schneckenhäuschen, das noch sehr klein und durchsichtig ist“, wird erläutert. Ebenfalls im Frühsommer beginne die sogenannte Ernte der Schnecken. Das Ehepaar hat ein gutes Auge dafür, welche Tiere alt und groß genug sind: „Die Weinbergschnecken brauchen drei Jahre, bis sie so weit sind.“ Je nach Witterung. In trockenen Jahren dauert es länger, weil sie dann langsamer wachsen, und wenn es feucht ist, vermehren sie sich schneller. Bis zu 1,2 Tonnen erntet die Familie im Jahr – auch die Tochter interessiert sich für die Zucht und möchte ins Geschäft mit einsteigen.
Der Schneckenkönig besticht mit seinem Aussehen
Es ist die Faszination dieser kleinen Lebewesen, die Tanja und Frank Strehnisch nicht loslässt. Stets im Gepäck haben die Schnecken ihre eigene Behausung. Schon nachdem die Schnecke aus dem Ei schlüpft, wird sie von einem winzigen Gehäuse umgeben. Dieses verfestigt sich mit der Zeit und wächst zusammen mit der Schnecke selbst. Das benötigte Material kommt aus dem Mantel des Eingeweidesacks im Schneckenhaus, der Kalk ausscheidet. Dieser lagert sich an den Windungen des Gehäuses ab und bildet so das feste Schneckenhaus. Ähnlich wie beim Baum lassen dabei die einzelnen Ringe Rückschlüsse auf die Lebensbedingungen des Tieres zu. Eine Schnecke kann ein kaputtes Haus nicht ersetzen und ungeschützt nicht lange überleben. Kleinere Risse und Löcher kann sie allerdings reparieren.
Tanja Strehnisch erwähnt den sogenannten Schneckenkönig – eine Besonderheit: Als Schneckenkönige bezeichnet man einzelne Schnecken, deren Gehäuse in die spiegelbildliche, nicht arttypische Richtung gewunden sind. „Die Häufigkeit, dass so etwas vorkommt, liegt schätzungsweise bei 1:500000.“
Was weiter beeindruckt: Schnecken können sehr gut riechen. „Man sagt, sie können bis zu 50 Meter weit Fressen wahrnehmen.“ Hören würden sie nichts, „sie haben keine Ohren“, dagegen wären sie bei Erdbewegungen sehr empfindlich. Die Augen seien vorne an den Fühlern, nicht, wie in so manchen Bilderbüchern gezeichnet, am Kopf. Tanja Strehnisch sagt, sie sei von Anfang an ein Fan der Helix pomatia gewesen. Vor vielen Jahren sah die 47-Jährige im Fernsehen einen Beitrag über Schneckenzucht sowie das Schneckeninstitut in Nersingen und erfuhr, dass man dort den Beruf der Schneckenwirtin erlernen kann. „Und da wir Land dafür hatten, haben wir die Ausbildung gemacht.“ In Italien beispielsweise sei der Beruf des Schneckenzüchters anerkannt, in Deutschland nicht: „Aber wir machen das hauptberuflich“, sagt Strehnisch. Bemerkt man es, wenn eine Schnecke mal krank ist? Muss ein Tierarzt kommen? „Nein. Einen Tierarzt brauchen wir nicht, aber einen Biologen“, erklärt die Schneckenzüchterin. Er könne erkennen, ob die Schnecke von einem Pilz befallen ist, andere Krankheiten gebe es für eine Schnecke eigentlich nicht. In anderen Ländern – „mehr als bei uns“ – gelten die Schnecken als Delikatesse. „Die meisten Menschen verbinden das Essen von Schnecken mit Frankreich“, so Strehnisch. Das ist sicher nicht gänzlich falsch, wenn man bedenkt, dass hier bereits 1394 Dokumente über die Zucht und Verarbeitung von Schnecken verfasst worden sind. Schon die alten Römer schätzten die Helix pomatia als Delikatesse. Ebenso die katholischen Mönche, die Weinbergschnecken gerne in ihren Klostergärten züchteten. Denn die Tiere durften, weil sie laut Bibel weder Fisch noch Fleisch sind, auch während der Fastenzeit verzehrt werden. Aber in Frankreich sei es eine normale Mahlzeit, währenddessen es in unserer Region ganz unterschiedliche Auffassungen gebe: „Die einen finden es glitschig und eklig, die anderen finden es lecker.“ Anders als die Aspersa-Schnecken, die man meist in Frankreich angeboten bekommt, habe die Helix pomatia durchaus ein eigenes, erdig-nussiges Aroma. Wenn die Strehnischs mit ihrem Wagen auf die Märkte fahren, wird so manche Leckerei angeboten. Als Tanja Strehnisch die Schneckenzucht auf dem Landwirtschaftlichen Hauptfest in Bad Cannstatt im vergangenen Jahr präsentierte, seien viele an ihren Stand gekommen und freuten sich, dass „sie endlich mal wieder Schnecken essen konnten“. Es sei wieder gefragter, dies als lukullischen Genuss anzusehen, „es ist wieder im Kommen“.
Nicht nur das Fleisch, auch die Häuschen werden verkauft: Wenn auf der Schneckenfarm geerntet wird, dann früh morgens oder abends. Praktisch schlafend werden die Schnecken in kochendes Wasser gegeben. Danach werden sie aus ihren Häusern gehebelt, Darm und Innereien entfernt, das Fleisch gereinigt und die Tiere schließlich eingefroren. „Ich verarbeite außerdem das ganze Tier“, erklärt Tanja Strehnisch. Mit den Häuschen baut sie Lampen, Vasen, verziert Blumentöpfe oder setzt kleine Pflänzchen ins Häuschen. Immer wieder neue Ideen hat die Züchterin und jetzt im Winter, wenn die Tiere schlafen, ist die beste Zeit der Dekoproduktion.
Im Vordergrund liegt ein „Schneckenkönig“: Das Gehäuse verläuft in die spiegelbildliche, nicht arttypische Richtung (siehe dahinter liegende Schneckengehäuse).
Nur eine von vielen kreativen Arbeiten, die Tanja Strehnisch gestaltet: Eine Lampe, die die gesäuberten Schneckengehäuse in einem bernsteinfarbenen Licht erleuchten lässt.
Frische Weinbergschnecken von Mitte Mai bis Ende August.
Abhängig von Temperatur und Vegetationszeit werden Führungen durch die Zuchtanlage angeboten (Voranmeldung unter Telefonnummer 07191/913960).
Ganzjährig: Weinbergschnecken aus natürlicher Zucht – in Gemüsesud gekocht und in Dosen.