Immer der blauen Welle hinterher

Auf dem Remstal-Radweg unterwegs von Weinstadt bis Schwäbisch Gmünd

Dank der interkommunalen Gartenschau hat das Remstal endlich einen durchgängigen Radweg, der nach dem jahrzehntelangen Stückwerk seinen Namen verdient. Seit Mai ist der Remstal-Radweg offiziell in Betrieb. Der ADFC kürte die Route sogar mit vier von fünf Sternen, die nur über weiteren zehn Radstrecken in Baden-Württemberg glänzen.

Immer der blauen Welle hinterher

Auf dem Remstal-Radweg ist man nie allein. Auch unter der Woche ist die Route gut frequentiert. Fotos: G. Habermann

Von Martin Winterling

WEINSTADT. Wir testeten den Abschnitt Weinstadt–Schwäbisch Gmünd und radelten durch das Herz des Remstals. Bei der Geschäftsstelle des Tourismusvereins Remstal-Route am Bahnhof Endersbach die Tour zu beginnen, bietet sich zumindest unter der Woche an. Hier gibt es den 42-seitigen Faltprospekt im Maßstab 1:50000 mit detaillierten Übersichten über die vier Etappen samt zu bewältigen Höhenmetern und fünf Abstechern in die Seitentäler und auf die Höhen. In Endersbach kann man sich gerade in der Gartenschau-Saison mit weiteren Prospekten versorgen, was das Remstal außerdem zu bieten hat.

Der in einer Auflage von 15000 Stück aufgelegte Prospekt wird stark nachgefragt, sagt Ulrike Laleike von der Remstal-Route. Nicht nur von Mitgliedskommunen. „Im Herbst könnte der Prospekt vergriffen sein.“ Eine Handvoll Radtouristen schaue täglich in Endersbach vorbei und lässt sich beraten, schätzt Ulrike Laleike, manchmal auch mehr. Tatsächlich ist der Radweg auch unter der Woche überraschend gut frequentiert. Die Radler lassen sich selbst von dunklen Gewitterwolken nicht schrecken. Warum auch. Der nächste Bahnhalt ist ja nie weit.

Beim Radweg hat das etwas zu kurz geratene Remstal geschummelt, um die Mindestlänge von 100 Kilometern für eine ADFC-zertifizierte Route zu erreichen. Die erste, 32 Kilometer lange Etappe schlägt einen Haken durch die Weinberge von Endersbach über Stetten und Fellbach zur Remsmündung bis Waiblingen.

Etappe zwei führt von Waiblingen bis Schorndorf. Auf diesen 20 Kilometern zeigen sich beide widersprüchlichen Seiten des Weges. Abschnitte entlang der tosenden B29 und unschöne Hindernisparcours durch die von Lastwagen zugeparkten Industriegebiete wechseln sich mit Idyllen ab.

Zwischen Remshalden und Winterbach ist die Rems für gut einen Kilometer aus ihrem engen Bett befreit. Sandbänke laden zum Picknick oder zum erfrischenden Fußbad im träge dahinfließenden Flüsschen ein. Dass die zweite Etappe in Schorndorf endet, hat einen guten Grund. Ein Stopp in der Daimlerstadt lohnt sich. Gerade am Markttag pulsiert das Leben rund um den Brunnen, die Leute flanieren oder haben sich in eins der Cafés gesetzt, um zu sehen und gesehen zu werden.

Für Ortsfremde ist die Beschilderung nicht eindeutig

Vor Urbach begegnen wir wieder den beiden Mittfünfzigerinnen auf ihren schwer bepackten Rädern. Sie sind unterwegs von Schwenningen nach Augsburg. In Remseck hatten sie das Neckartal verlassen und wollen an diesem Tag bis Gmünd. Doch irgendwo in Schorndorf, wo sie auf unseren Rat hin Rast machten, verfransten sie sich. Die zertifizierte Beschilderung samt blauer Welle scheint für Ortsfremde nicht so eindeutig zu sein wie erwünscht. Guten Mutes ignorieren sie wie wir die noch immer tiefschwarzen Wolken in der Hoffnung, dass das Gewitter vorüberziehen möge.

Die dritte Etappe führt bis Gmünd. Es ist eine Genussetappe, auf der der Plüderhausener Badesee zur Abkühlung einlädt, bei Lorch eine Wippe „Die Rems bewegt“ für Abwechslung sorgt und der Weg streckenweise durch kühle Wälder führt. Doch dann zeigt das Remstal vor Gmünd wieder seine hässliche Seite. Rechter Hand brausen Autos und Lastwagen auf der vierspurigen Bundesstraße – und der Radfahrer ist auf dem Damm dem Getöse und den Abgasen schutzlos ausgeliefert. Und welch Gegensatz dazu linker Hand die grün bewaldeten Auen der Rems, über denen sich jetzt sogar wieder die Sonne blicken lässt.

Immer der blauen Welle hinterher

Die im Zuge der Gartenschau renaturierte Rems lädt zwischen Winterbach und Remshalden zu einem Picknick ein. Foto: M. Winterling

Immer der blauen Welle hinterher

Im Industriegebiet in Remshalden ist der Remstal-Radweg überhaupt nicht mehr idyllisch, sondern ein Hindernislauf zwischen Lkw hindurch.

Info
So bewertet der ADFC die Radrouten

Bei der Zertifizierung der Sternerouten geht der Allgemeine Fahrradclub Deutschland (ADFC) nach einer klaren Kriterienliste vor.

In Baden-Württemberg gibt es lediglich eine Fünf-Sterne-Route, das „Liebliche Taubertal“. Vier Sterne erreichen außer dem Remstal-Radweg weitere zehn Routen, darunter der Donau- und der Neckartal-Radweg oder der Kocher-Jagst-Weg. Der Stromberg-Murrtal-Radweg ist mit drei Sternen bewertet.

Die Kriterien:

Eindeutiger Name der Route: einheitlich und unverwechselbar. „Nationaler Rang“: überregionale Bedeutung, mindestens 100 Kilometer Länge und Pauschalangebote. Befahrbarkeit (Breite, Umlaufschranken, Poller, Stufen, Treppen, Gefahrenstellen) und Oberfläche (Material, Schiebestrecken, Querrillen, große Löcher). Wegweisung: Schildergröße, Ort und Kilometerangaben auf den Schildern sowie ihre Lesbarkeit, fehlende Schilder und richtige Richtung ausgeschildert, Widersprüche zur Straßenverkehrsordnung. Routenführung: Lärmbelastung, Geruchs- und Staubbelästigung, Umwege oder unnötige Höhenmeter, monotone Streckenführung und bei Themenrouten die Umsetzung des Themas. Kfz-Verkehrsbelastung: autofrei, unterschiedliche Klassifizierung je nach Kfz-Belastung, ungesicherte Querungen. Touristische Infrastruktur: Campingplätze, Gastronomie, Bett+Bike-Betriebe, Tourist-Informationen, Infotafeln, Abstellanlagen, Fahrradboxen/Radstationen, Spielplätze, Schutzhütten, Rastplätze. Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel: Häufigkeit des Bahnfernverkehrs mit Fahrradmitnahme, Fahrradbus. Marketing: Karten und Informationsmaterial (Maßstab und Aktualität), Internetpräsenz.