Immer mehr Menschen fehlen wegen psychischer Krankheiten

dpa Berlin. Angst, Depression, Alkoholabhängigkeit - psychische Erkrankungen sind in Deutschland weiter auf dem Vormarsch. Zu spüren bekommen das auch die Arbeitgeber.

Immer mehr Menschen fehlen wegen psychischer Krankheiten

Die Corona-Pandemie stellt nicht nur ein Risiko für die körperliche Gesundheit dar, sondern könnte auch schwerwiegende Folgen für die psychische Gesundheit von Menschen rund um den Globus haben. Foto: Sina Schuldt/dpa

Immer mehr Menschen in Deutschland werden wegen psychischer Krankheiten behandelt. Die Krankheitstage und die Rehas aus diesem Grund werden immer zahlreicher.

Entsprechende ungebrochene Trends zeigen der am Dienstag veröffentlichte AOK-Fehlzeiten-Report 2020 und neue Zahlen der Deutschen Rentenversicherung Bund, die der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegen. Zu den häufigsten psychischen Leiden zählen Angststörungen, Depression sowie Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit.

11,9 Prozent aller Fehlzeiten gingen 2019 laut AOK-Studie auf psychische Erkrankungen zurück. „Die psychischen Erkrankungen sind damit in diesem Jahr zum ersten Mal an die zweite Stelle gerutscht, noch vor die Atemwegserkrankungen“, so die AOK-Studie.

Die AOK weist auf die „besondere Bedeutung“ der psychischen Krankheiten hin: Seit 2008 nahmen die Krankheitstage aus diesem Grund um 67,5 Prozent zu. 2019 wurden erneut mehr Krankheitsfälle aufgrund psychischer Erkrankungen (5,4 Prozent) als aufgrund von Herz- und Kreislauf-Erkrankungen (3,7 Prozent) registriert.

Der Anteil der Reha-Leistungen wegen psychischer Erkrankungen stieg von 15,3 Prozent im Jahr 2000 auf 19,6 Prozent im vergangenen Jahr, wie der Reha-Atlas 2020 der Rentenversicherung zeigt. Das sind mehr als 75.000 solche Rehas zusätzlich - ein Anstieg um 62 Prozent.

Im Durchschnitt dauert die offizielle Krankheitszeit bei einer psychischen Erkrankung laut AOK-Report 27 Tage - mehr als doppelt so lang wie der Krankheits-Durchschnitt insgesamt mit zwölf Tagen.

Unterschiede gibt es laut AOK zwischen den Branchen. Bei Banken und Versicherungen sowie bei Beschäftigten an Schulen und Kitas nehmen psychische Erkrankungen neben den Atemwegserkrankungen mit jeweils 16 Prozent sogar einen größeren beziehungsweise gleichen Anteil ein im Vergleich zu Muskel- und Skelett-Erkrankungen.

Die meisten Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen gibt es demnach bei den 35- bis 39-Jährigen (14,1 Prozent der Ausfalltage) und bei den 30- bis 34-Jährigen (14 Prozent) - die wenigsten bei den 15- bis 19-Jährigen (7,9 Prozent).

Von denjenigen, die wegen einer psychischen Erkrankung eine Rehabilitation machen, sind rund 83 Prozent zwei Jahre danach noch im Erwerbsleben, wie ein Sprecher der Rentenversicherung mitteilte. Eine Erwerbsminderungsrente oder eine Altersrente bezogen zwei Jahre nach einer solche Reha rund 17 Prozent.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte Anfang des Monats eine Offensive für psychische Gesundheit am Arbeitsplatz angekündigt, die dieses Jahr starten soll. Beteiligt an der Offensive sollen auch Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sein. Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsschutz und Gesundheits- sowie Familienpolitik sollen laut Heil dabei Hand in Hand gehen.

Auch bei den Rehaleistungen über alle Diagnosen hinweg gab es einen deutlichen Anstieg. So ermöglichte die Rentenversicherung im Jahr 2019 rund 1,05 Millionen medizinische Rehaleistungen. Neun Jahre zuvor waren es erst 836.000. Mit Rehas will die Rentenversicherung kranken Menschen die Wiedereingliederung in das berufliche und gesellschaftliche Leben ermöglichen, oft nach einer Klinikbehandlung.

Bei den Krankenständen insgesamt gab es laut AOK-Report seit Ende der 1990er Jahre zunächst einen Rückgang bis zum Jahr 2006. Danach stieg der Krankenstand an und lag im Jahr 2019 im Bundesdurchschnitt mit 5,4 Prozent auf dem Stand wie im Jahr 2000. Als Krankenstand wird die Zahl der arbeitsunfähig geschriebenen Kranken pro 100 Pflichtmitglieder der Krankenkasse verstanden.

Mehr als ein Fünftel der Fehlzeiten gingen demnach 2019 auf Muskel- und Skelett-Erkrankungen zurück (22,4 Prozent), auf Atemwegserkrankungen 11,8 Prozent, auf Verletzungen 10,8 Prozent. Auch für Rehas sind orthopädische Krankheiten - also Leiden etwa an Hüfte oder Knie - mit 40,7 Prozent nach wie vor ein noch häufigerer Grund als psychische Störungen. An dritter Stelle folgen die Rehas wegen Krebserkrankungen (15,8 Prozent).

Noch nicht in den Zahlen niedergeschlagen haben sich Fehltage und Rehas wegen Corona. Bereits Anfang September hatte die Präsidentin der Rentenversicherung, Gundula Roßbach, betont, es würden auch Post-Covid-Rehabilitationen angeboten für Menschen, die nach der Akutphase einer Covid-19-Erkrankung noch weiter unter den Folgen leiden.

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