Forscher sehen die Erde auf dem Weg ins „Klima-Chaos“: Viele wichtige Faktoren entwickeln sich in die falsche Richtung. Welche Maßnahmen nötig sind, um das Ruder herumzureißen. Und: Ist das überhaupt noch möglich?
„Ohne wirksame Strategien werden wir schnell mit eskalierenden Risiken konfrontiert sein, die Frieden, Regierungssysteme sowie öffentliche Gesundheit und Stabilität der Ökosysteme zu überwältigen drohen.“
Von Markus Brauer/dpa
Wäre die Erde ein Patient, läge sie wohl mittlerweile auf der Intensivstation: Einer aktuellen Studie zufolge haben rund zwei Drittel (22 von 34) Lebenszeichen des Planeten ein Rekordniveau erreicht. Und das ist in den meisten Fällen nicht positiv.
Eskalierende Risiken
„Ohne wirksame Strategien werden wir schnell mit eskalierenden Risiken konfrontiert sein, die Frieden, Regierungssysteme sowie öffentliche Gesundheit und Stabilität der Ökosysteme zu überwältigen drohen“, sagt Studienautor William Ripple von der Oregon State University, der mit einem internationalen Team im Fachjournal „BioScience“ über die Vitalzeichen der Erde berichtet.
Bei den betrachteten Lebenszeichen geht es um Aspekte wie CO2-Emissionen, Verbrauch von Kohle, Öl und Gas, Waldverlust durch Brände, Meerestemperaturen und viele mehr. Die genannten Faktoren gehören zu jenen 22, die neue Rekordstände erreicht haben.
Das internationale Team, an dem auch der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, beteiligt ist, sieht in seiner Bestandsaufnahme einen Beleg dafür, dass sich unser Planet dem „Klima-Chaos“ annähert. Etliche Lebenszeichen entwickelten sich rapide in die falsche Richtung.
„Klima-Chaos“ nimmt Fahrt auf
2024 sei bereits das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen gewesen. Und das aktuelle Jahr sehe nicht besser aus. „Bislang hat das Kohlendioxid in der Atmosphäre 2025 einen Rekordwert erreicht, der wahrscheinlich durch einen plötzlichen Rückgang der Kohlenstoffaufnahme durch Landflächen, teilweise aufgrund von El Niño und intensiven Waldbränden, noch verschlimmert wurde“, erklären die Autoren.
Eine gefährliche Entwicklung durch eine beschleunigte Erwärmung, Rückkopplungseffekte und mögliche Kipppunkte könne wahrscheinlicher geworden sein.
Ein Beispiel: Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre sei schneller gestiegen, als die Emissionen fossiler Brennstoffe es vermuten ließen. Den Autoren zufolge hatten die enormen Waldbrände in vielen Regionen der Welt ihren Anteil.
„Wir können die Erderwärmung noch begrenzen“
Das Team ruft zum Umsteuern auf. „Strategien zur Eindämmung des Klimawandels sind verfügbar, kosteneffizient und dringend erforderlich. Von Waldschutz und erneuerbaren Energien bis hin zu überwiegend pflanzlicher Ernährung. Wir können die Erderwärmung noch begrenzen, wenn wir entschlossen und schnell handeln.“
Neben den genannten Maßnahmen wirft das Team ein besonderes Augenmerk auf die Verschwendung von Lebensmitteln, die acht bis zehn Prozent der weltweiten Emissionen ausmache. Diese zu reduzieren, habe also enormes Potenzial.
Viele Folgen der Erwärmung sind bereits unumkehrbar
„Die Kosten für die Eindämmung des Klimawandels dürften weitaus geringer sein als die globalen wirtschaftlichen Schäden, die klimabedingte Auswirkungen verursachen könnten“, resümieren die Forscher.
Neben der rekordhohen globalen Durchschnittstemperatur 2024 zeigen weitere Indikatoren das Voranschreiten des Klimawandels. Viele Folgen der Erwärmung seien bereits unumkehrbar, zumindest über hunderte oder tausende Jahre, heißt es im Bericht über den Zustand des Weltklimas der Weltwetterorganisation (WMO) „State of the Global Climate“. Dazu gehöre etwa der Eisverlust und der Meeresspiegelanstieg.
Träges Klimasystem mit langem Gedächtnis
Beim Klima handelt es sich um ein träges System: Der Trend zu immer höheren Temperaturen würde auch im extrem unwahrscheinlichen Fall eines beendeten Treibhausgas-Ausstoßes noch jahrzehntelang anhalten.
Das Jahr 2024 war das erste seit Messbeginn, das weltweit im Schnitt über 1,5 Grad wärmer als im vorindustriellen Mittel gewesen ist. Damit war es zugleich das wärmste je gemessene Jahr. Im Pariser Klimaabkommen war 2015 vereinbart worden, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
Das Abkommen bezieht sich auf Temperaturabweichungen, die über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren gemittelt werden. Zurzeit liegt der langfristige Wert je nach Berechnungsmethode nach Angaben der WMO zwischen 1,34 und 1,41 Grad über vorindustriellem Niveau.
Der besonders starke Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur 2023 und 2024 habe auch mit natürlich auftretenden Phänomenen wie dem Wettermuster El Niño und der Sonnenaktivität zu tun gehabt, heißt es in dem Bericht.
„1,5-Grad-Ziel ist längst gerissen“
„Ich finde es geradezu lächerlich, dass sich die Weltpolitik immer noch an dem 1,5-Grad-Ziel festhält. Das ist de facto doch längst gerissen“, erklärt der Klimaforscher Mojib Latif.
Der Gehalt an Treibhausgasen in der Atmosphäre steige vielmehr weiter, teils sogar schneller als befürchtet. Latif spricht von „Realitätsverweigerung“. Gegenwärtig sei man auf einem Erwärmungspfad von etwa drei Grad. Und selbst diese Marke werde nur dann nicht übertroffen, wenn bisherige Zusagen eingehalten würden.