In aller Freundschaft

Seit gut 100 Tagen ist Merkel nicht mehr CDU-Chefin – und arbeitet gut mit ihrer Nachfolgerin zusammen

Von Christopher Ziedler

Wenn sie schon Macht abgibt, dann für ihre politische Freundin Annegret Kramp-Karrenbauer: Bisher harmonieren Kanzlerin Angela Merkel und die neue Parteichefin. Aber wie lange noch?

Berlin Manchmal muss sich Angela Merkel (64) im CDU-Präsidium noch zügeln. Ein Gremiumsmitglied schildert, wie die Kanzlerin gelegentlich ihren Standpunkt so energisch vorträgt, dass der Eindruck entstehen könnte, sie sei immer noch die Chefin in der Runde. In solchen Momenten bremst sie sich dann selbst und sagt Sätze wie „Das war jetzt nur meine Meinung.“ Sie weiß sehr genau, dass im Konrad-Adenauer-Haus jetzt Annegret Kramp-Karrenbauer das Sagen hat. An der Parteispitze heißt es: „Der Kanzlerin ist sehr wichtig, stets zu betonen, dass sie nicht mehr die Vorsitzende ist.“

Diese Rollenverteilung hat Merkel nie gewollt. Oft genug berichtete sie von ihrer „tiefen Überzeugung“, dass Kanzlerschaft und Vorsitz der größten Regierungspartei in einer Hand liegen müssten, um ein möglichst reibungsloses Arbeiten zu garantieren. Unter dem Druck schlechter Unionswahlergebnisse in Bayern und Hessen musste sie schließlich doch davon abweichen – und bezeichnete die Ämtertrennung als „Experiment“ mit offenem Ausgang.

Inzwischen sind gut100 Tageins Land gegangen, seit die von allen nur AKK gerufene Saarländerinbeim Hamburger Parteitag Merkel als Vorsitzende beerbt hat. Die Regierungschefin wusste stets, dass ihre Versuchsanordnung nur dann eine Erfolgschance hat, wenn ihr Tandempartner jemand ist, mit dem sie gut kann – also lieber Annegret Kramp-Karrenbauer als Friedrich Merz. Offiziell hat sie nie für ihre Favoritin Partei ergriffen. Neulich aber, beim traditionellen Politischen Aschermittwoch in Merkels politischer Heimat Mecklenburg-Vorpommern, sprach Kramp-Karrenbauer, als sie den Zuhörern im Norden schmeicheln wollte, das Offensichtliche aus. „,Ich habe dich unterstützt‘“, zitierte die 56-Jährige die Kanzlerin aus einem ­Gespräch, „aber die ­Bedingung ist, dass du als Vorsitzende zumAschermittwochstreffennach Demmin kommst.“

Ob die beiden Frauen nun echte Freundinnen sind, können sie nur selbst beantworten – politisch befreundet aber sind sie allemal. „Sie verstehen sich, vertrauen sich und sagen sich offen ihre Meinung“, heißt es im Kanzleramt. Eine Szene aus einer von Merkels dunkelsten Stunden verdeutlicht das: Es war in der Novembernacht des Jahres 2017, als die Liberalen Knall auf Fall die Gespräche über eine Jamaikakoalition verlassen hatten, Merkels politische Zukunft plötzlich am seidenen Faden hing und eine sichtlich angeschlagene Kanzlerin Trost suchend Kramp-Karrenbauer in die Arme fiel. Kurz darauf lotste sie die saarländische Ministerpräsidentin als neue CDU-Generalsekretärin nach Berlin und bereitete damit ihrer möglichen Nachfolgerin das Feld.

Ein Selbstläufer ist es jetzt trotzdem nicht. „Beiden ist bewusst, dass diese Konstellation enorm hohen Absprachebedarf mit sich bringt“, heißt es aus deren Umfeld. Die eine muss wissen, was die andere tut – sonst geht es schief. So hat sich ein reger Austausch entwickelt, manchmal mehrmals täglich auf dem Handy, aber nicht nur. Wann immer es ihr Zeitplan zulässt, nimmt Kramp-Karrenbauer an der Morgenlage im Kanzleramt teil, wenn Merkel und ihre engsten Mitarbeiter um 8 Uhr besprechen, was der Tag politisch bringt und wie darauf reagiert werden soll. Während der Plenarwochen des Bundestags besucht sie dienstags die Unionsfraktionssitzung. Mittwochs, vor den Sitzungen des Bundeskabinetts, geht es zum vorgelagerten Frühstück der Kanzlerin mit den „schwarzen“ Ministern, die sich dort noch einmal abstimmen. Und im Bundesvorstand und im Präsidium der CDU sehen sie sich ohnehin. „Man merkt, dass sie sehr viel miteinander reden“, sagt jemand, der ebenfalls an diesen Runden teilnimmt, „und könnte meinen, dass sie diese Arbeitsteilung schon seit Jahren praktizieren.“

Selbst öffentlich diskutierte Unstimmigkeiten oder Unterschiede folgen einem abgestimmten Plan. Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer mit eigenen EU-Reformvorschlägen auf Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron antwortet, mag das Irritationen und Kritik hervorrufen. Aber der Gastbeitrag in einer Zeitung war dem Kanzleramt vor der Veröffentlichung bekannt und widersprach auch nicht Merkels früher geäußerten Positionen. Und obwohl Macrons europapolitischer Aufschlag auf der Internetseite des Präsidentenpalastes erschien, wurde er im Umfeld der deutschen Regierungschefin flugs zum rein parteipolitischen Auftakt des liberalen Europawahlkampfs umgedeutet, dem deshalb die Parteichefin der deutschen Christdemokraten etwas entgegnen müsse – Kramp-Karrenbauer also. Angela Merkel nimmt sich für die Neue an ihrer Seite, die einmal auch das ihr verbliebene Kanzleramt übernehmen soll, aktiv zurück.

„Wer ein Stück Macht abgibt, muss auch bereit sein, dass andere den frei werdenden Raum füllen“, heißt es im Umfeld der Kanzlerin auch zu den superkonservativen Sätzen und Witzen Kramp-Karrenbauers, die nicht so das Ding der liberaleren Merkel sind: „Sie weiß und lässt zu, dass die neue Parteivorsitzende ihre Duftmarken setzt.“ Die gibt es zuhauf. Während Merkel zuletzt eigentlich nur einmal große Aufmerksamkeit zuteil wurde, als sie auf der Münchner Sicherheitskonferenz nicht um den tiefen transatlantischen Graben herumredete, setzt Kramp-Karrenbauer ein Ausrufezeichen nach dem anderen –nicht zur Freude von Liberalen und Linken, aber zu der der CDU.

Von der Kanzlerin ist allenfalls Zustimmung zu hören, wenn sie darauf angesprochen wird – bewusst setzt sie AKK nichts entgegen, gibt keine großen Interviews, sucht keine zusätzliche Bühne. Einen einzigen Wahlkampfauftritt will sie in diesem Superwahljahr absolvieren – und auch nur, weil der christdemokratische Spitzenkandidat Manfred Weber zum Start seiner Europawahlkampagne in Münster auch andere Regierungschefs auf die Bühne holt. Angela Merkel genießt es, nur noch regieren zu müssen, wie ein CDU-Präside meint: „Sie wirkt befreit, entspannt und zugleich entschlossen, was ihre Aufgabe als Kanzlerin angeht.“

Das Tandem funktioniert und kommt besser voran als gedacht – wenn man Merkels skeptische Grundhaltung zu dem Konstrukt zugrunde legt. Trotzdem ist der Befund nur eine Momentaufnahme. Auch im Kanzleramt wissen sie, dass die richtigen Prüfungen noch bevorstehen: „Bisher läuft es gut, wir wissen aber noch nicht, ob das Experiment gelingt.“ Schließlich drängen nicht wenige Unionisten Kramp-Karrenbauer, weit vor dem Ende der Legislaturperiode 2021 einen Wechsel auch in der Kanzlerschaft herbeizuführen. Für die CDU hat die Parteichefin daher gerade ein Bekenntnis abgelegt: „Wir wollen – und ich an der Spitze will –, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt.“ Der Veränderungsdruck aber könnte bei schlechten Wahlergebnissen noch zunehmen.

Die Gerüchteküche, wie ein Übergang vonstatten gehen könnte, brodelt. Von einer Jamaikakoalition über einen Wechsel Merkels nach Brüssel über Neuwahlen ist alles dabei – bis hin zur abwegigen Vorstellung, Merkel könne nicht wie in einer Demokratie, sondern wie in einer Dynastie den Posten einfach vererben. Über manche dieser Geschichten, so wird es kolportiert, lachen die beiden schon mal herzlich miteinander.

Noch also herrscht große Eintracht. Nur in einem Punkt hat sich die CDU noch nicht auf die neue Lage eingestellt. Die Tagesordnung der Präsidiumssitzungen weist auch weiterhin nur Berichte der Bundesvorsitzenden und des Generalsekretärs aus. Ein Bericht der Bundeskanzlerin ist nicht vorgesehen. Angela Merkel erzählt trotzdem fröhlich von der Regierungsarbeit – und bremst sich dann immer mal wieder selbst.