Mercedes hat für die eigene Nachhaltigkeitsstrategie in Norwegen den passenden Partner gefunden. Das verdeutlicht eine Konzerndienstreise zum Aluminium-Hersteller Hydro.
Zu Besuch beim Zulieferer: Im neuen Mercedes CLA steckt viel Aluminium aus Norwegen.
Von Peter Stolterfoht
Die erste Begegnung findet in einem ausgesprochen stilvollen Rahmen statt. Am Rande von Oslo in einer sehenswerten Gründerzeit-Villa, von Efeu umrankt, Kiesauffahrt, direkt am Wasser gelegen, eigene Bootsanlegestelle. So sieht der Stammsitz der Firma Hydro aus. Repräsentativ. Das macht Eindruck auf die Gäste von Mercedes-Benz, mit denen in Norwegen eine seit 2022 bestehende Partnerschaft nun weiter vertieft werden soll.
Zunächst werden bei dieser Dienstreise aber die Unterschiede thematisiert. Und so erfahren die Gäste aus dem Hause Mercedes, das die norwegische Entsprechung der VIP-Loge beim VfB-Stuttgart eine schwimmende VIP-Sauna ist. Und die legt bei Bedarf vom Steg der Stammsitz-Villa ab, um wichtige Gäste mit auf Fjord-Schwitzfahrt zu nehmen. Der Besuch aus Stuttgart verzichtet darauf, schließlich geht es bei dieser Reise nicht um Unterschiede zwischen dem Autobauer und dem Aluminium-Produzenten Norsk Hydro, sondern um das Verbindende dieser Partnerschaft. Und das ist die Überzeugung, gemeinsam als gutes Beispiel für eine in vielen Bereichen nachhaltige Zusammenarbeit beim Klimaschutz vorangehen zu müssen.
„Wir arbeiten intensiv daran, die CO₂-Emissionen in der Aluminiumlieferkette zu reduzieren“, sagt Gunnar Güthenke, der bei Mercedes-Benz den Bereich Einkauf und Nachhaltigkeit leitet. „Wir sind Vorreiter in der Automobilindustrie und auf einem sehr guten Weg, unsere Ziele zu erreichen.“ Man habe bereits heute Aluminium von Hydro in den Fahrzeugen verbaut, das 70 Prozent weniger CO₂-Emissionen aufweise als der europäische Durchschnitt, betont Güthenke. Besonders gut sichtbar wird dieses klimaschützende Zusammenspiel im Hydro-Werk im Ardal, am rund 300 Kilometer nordwestlich von Oslo gelegenen Sogne-Fjord. Dorthin ist die Mercedes-Delegation um Marvin Lauinger in CLA-Limousinen von Oslo aus angereist. Lauingers Team ist zuständig für Nachhaltigkeit in der Lieferkette. Am neuen Einstiegsmodell wird die Bedeutung des strategischen Mercedes-Partners schließlich auch deutlich. 30 Prozent der Karosserie besteht aus dem klimafreundlichen norwegischen Aluminium, etwa die Motorhaube. Bei der S-Klasse ist der Anteil des Leichtmetalls sogar noch etwas höher gegenüber dem ebenfalls benötigten Stahl.
Was das Hydro-Aluminium sowohl umweltfreundlich und dabei auch noch bezahlbar macht, hat viel mit Norwegen und den dortigen Produktionsmöglichkeiten zu tun. Das zeigen allein schon diese Zahlen: Die 5,4 Millionen Norweger gewinnen 95 Prozent ihrer Energie aus Wasserkraft. Und diese spielt dann auch beim Aluminiumhersteller Hydro die entscheidende Rolle.
Der Hydro-Standort Ardal mit seinem Meerzugang ist eingeschlossen von hohen Bergen und Gletschern. Von dort stürzen Bäche ins Tal und werden ins Werk geleitet, wo mit ihrer Kraft die Turbinen zur Erzeugung von Strom angetrieben werden, der wiederum zur Elektrolyse für die Produktion verwendet wird. „Unser Aluminium entsteht, ohne dass Energie zugekauft werden muss“, erläutert die Hydro-Werksleiterin Anveig Bejordal Halkjelsvik. Deshalb könne das Produkt ohne einen schweren, während der Produktion vollgepackten CO₂-Rucksack geliefert werden.
Kein Wunder also bei diesen Bedingungen zur Stromerzeugung, warum Norwegen Europas E-Auto-Wunderland ist. Im vergangenen Jahr entfielen dort 94 Prozent der Neuzulassungen auf elektrische Fahrzeuge. Auch das macht den Aufenthalt des Nachhaltigkeitsteams zu einer hilfreichen Studienreise. Diese nutzt neben Mercedes-Chefeinkäufer Güthenke auch der für nachhaltige Forschung zuständige Leiter Ulf Zillig für Gespräche mit Hydro-Chef Eivind Kallevik.
Für beide Seiten bedeutet Nachhaltigkeit aber nicht nur Dekarbonisierung, sondern auch Kreislaufwirtschaft. Dafür steht bei Hydro in Ardal auch eine Recycling-Anlage. Ein weiterer Aspekt: die Förderung der Menschenrechte. Auch in diesem Bereich machen die Norweger und Mercedes seit September 2024 gemeinsame Sache – mit dem sogenannten „Corridor-Programm“. Hierbei liegt der Fokus auf einer von Hydro in Brasilien betriebenen Mine, in der das für die Aluminium-Herstellung benötigte Bauxit abgebaut wird.
Das mit lokalen Nichtregierungsorganisationen entwickelte Projekt orientiert sich an der durch das Amazonasgebiet verlaufenenden 244 Kilometer langen Bauxit-Pipeline, die durch sieben Gemeinden im Bundesstaat Pará führt. Dabei wird die lokale Landwirtschaft genauso gefördert wie neue Arbeitsplätze in Nähinitiativen oder die Kinderbetreuung, heißt es den Angaben der Unternehmen zufolge. Trotzdem steht sowohl für Hydro als auch für Mercedes fest, dass gerade beim weitgefassten Thema Nachhaltigkeit noch eine Menge Arbeit auf die Partner wartet.
Im CLA steckt Aluminium, aber auch Stolz aus Ardal
Aber noch einmal zurück ins norwegische Ardal, an den malerischen Sogne-Fjord. Dort herrschte im Hydro-Werk die Tage vor dem Mercedes-Besuch angespannte Vorfreude, erzählt Werksleiterin Anveig Bejordal Halkjelsvik. Was jetzt bei den Mitarbeitern und den auffallend vielen Mitarbeiterinnen in der riesigen Werkshalle in Stolz umschlägt, als ein blauer CLA für Fotos und Filmaufnahmen hinein rollt. Die Belegschaft gruppiert sich dort, wo die die Elektrolyse für die Aluminiumproduktion stattfindet, um das Fahrzeug, in dem nicht nur norwegisches Aluminium steckt. Die Arme vor der stolzgeschwellten Brust verschränkt stehen sie da. Auch ohne Worte ist die Botschaft klar zu verstehen. Das ist auch unser Auto. Und das soll auch in Deutschland ankommen.
Mercedes gilt in Norwegen eher als Mangelware
„In Ardal bekommen wir ja nur selten einen Mercedes zu sehen“, sagt die Laborantin Karin in hervorragendem Deutsch, das sie sich in der Schule und während ihres Studienaufenthalts in Aachen angeeignet hat. Um dann noch einen wichtigen Tipp zu geben: „Bitte immer duzen, wir blamieren uns, wenn wir Sie zueinander sagen, nicht nur bei Hydro, das gilt für ganz Norwegen.“
Dann geht es aber wieder ums Geschäft, um die Partnerschaft mit Mercedes. „Die bedeutet uns sehr viel“, sagt Karin. Deshalb finde sie es auch schade, dass im lange Zeit leer stehenden ehemaligen Nissan-Autohaus der Stadt jetzt Fahrzeuge des chinesischen Herstellers BYD verkauft werden. Die Marke sehe man, ebenso wie Tesla, sehr viel häufiger als jene vom deutschen Partner. „Deshalb freut es uns auch so, dass Mercedes zu Besuch gekommen ist“, sagt Karin.