Inflation: Kostenjonglieren bei Kunst und Kultur

Alles wird teurer (11) Transportkosten, Materialpreise, zurückhaltendes Publikum – die Kulturbranche knabbert noch an den Folgen der Pandemie und bekommt zugleich die Auswirkungen der Inflation zu spüren. Die Zahlungsbereitschaft für Kultur wird wieder zur Gretchenfrage.

Inflation: Kostenjonglieren bei Kunst und Kultur

Im Bürgerhaus ist die Nachfrage nach Tickets trotz des leicht gestiegenen Preisniveaus nach wie vor groß. Foto: Alexander Becher

Von Kai Wieland

Rems-Murr. „Es ist ja nicht so, dass höhere Ticketpreise gleichbedeutend mit höheren Einnahmen sind“, betont Johannes Ellrott, Leiter des Kultur- und Sportamts der Stadt Backnang. „Die Leute müssen sie auch erst mal bezahlen.“

Womit man wieder einmal bei der Frage ist, welcher Wert der Kultur von der Gesellschaft beigemessen wird und wie viel davon sich jeder Einzelne leisten kann und will. Die Pandemie hat das Ringen der Künstler und Kulturschaffenden um die Wahrnehmung und Wertschätzung des eigenen Wirkens in der Öffentlichkeit ins Rampenlicht gerückt. Der Wert von Kultur wird zwar nicht erst seitdem mit harten Bandagen verhandelt, aber unter dem Eindruck von Corona und Inflation verschärft sich die Frage nach der angemessenen Preisbildung. Schließlich entstehen auch Theaterstücke, Statuen, Gemälde und Konzerte nicht allein aus Ideen und Liebe zur Kunst.

Die gesamte Produktionsketteist teurer geworden

Im Backnanger Bürgerhaus gibt es keine Eigenproduktionen, es handelt sich um ein reines Gastspielhaus. „Alles, was in der Produktionskette vor uns kommt, seien es Reisekosten, Übernachtungskosten, Verpflegung oder Technik, ist teurer geworden und das merken wir natürlich auch in der Kalkulation“, erklärt Ellrott. Da jede Veranstaltung je nach anfallenden Kosten separat berechnet wird, seien Vergleiche zwar schwierig, aber weil die Kette teurer geworden sei, habe man tendenziell auch bei den Ticketpreisen etwas anziehen müssen. „Wir haben es dennoch geschafft, es moderat zu halten. Dabei hat auch das Programm Neustart Kultur sehr geholfen.“ Die Nachfrage scheint durch das leicht gestiegene Preisniveau jedenfalls keinen Schaden genommen zu haben. „Wir sind zum Glück sehr gut ausgelastet, auch im Voraus. Die Veranstaltung mit Bodo Wartke war zum Beispiel schon Wochen vorher ausverkauft. Das gibt auf jeden Fall Sicherheit.“

Nachfrage bleibt hoch

Auch der Aspacher Puppenspieler und Künstler Gregor Oehmann berichtet von einer unveränderten Nachfrage nach seinen Kasperlstücken, obwohl er unlängst die Preise ein wenig erhöht hat. „Das hatte allerdings gar nicht so viel mit der Inflation zu tun“, erklärt er. „Ich habe davor jahrelang fünf Euro Eintritt verlangt, da war es einfach mal Zeit für eine Anpassung. Es gab darauf auch keine bösen Reaktionen.“ Bei seinen auswärtigen Engagements sei er ebenfalls im Preis etwas hochgegangen, sagt der Künstler, doch einen Einbruch in der Auftragslage könne er nicht feststellen. „Letztlich wird sowieso immer neu verhandelt, je nach Einrichtung und Bühnengröße, und da wird man sich dann schon einig.“

Die gestiegenen Materialkosten fielen bei ihm nicht so sehr ins Gewicht, sagt Oehmann. „Ich merke natürlich schon, dass die Holzpreise hochgegangen sind, aber ich bediene mich viel an meinem Fundus und schaffe nicht in großem Maße Material an.“

Großveranstalter spüren die Inflation

Großveranstaltungen wie die Konzerte von Andrea Berg, Andreas Gabalier und Melissa Naschenweng, die in diesem Sommer im Fautenhau stattfinden werden, sind dagegen von Haus aus kapitalintensive Unterfangen und entsprechend spürbar sind die Auswirkungen der Inflation. „Wir haben eine Kostensteigerung in gefühlt allen Bereichen, von Lebensmitteln über Dienstleister und Personal bis hin zur Technik“, bestätigt Thomas Deters, Geschäftsführer der Afm Consulting GmbH. Zudem gebe es seit Jahren immer mehr Auflagen, die auch zumeist als Kostentreiber wirkten. „Man kann aber nicht alles auf die Besucher umlegen, zumal sie die höheren Kosten im privaten Bereich ja genauso spüren und abwägen müssen“, erklärt Deters und spricht von einem Spagat, der Veranstaltern gelingen müsse.

Nach wie vor kostenlos ist der Eintritt zu den Ausstellungen des Heimat- und Kunstvereins Backnang im Helferhaus, obwohl auch hier ausnahmslos Werke professionell arbeitender regionaler Künstler gezeigt werden. Diese lebten oft in angespannten finanziellen Verhältnissen, erklärt der erste Vorsitzende des Vereins Ulrich Olpp. „Ich kenne kaum einen, der von der Kunst wirklich leben kann. Die meisten verdienen sich ihren Unterhalt nebenbei mit dem Unterrichten an Kunstschulen. Auf die Kursgebühren haben sie aber keinen Einfluss, weshalb ihre Stundensätze über Jahre nicht gestiegen sind.“ Mit einer Inflationsanpassung sehe es da schlecht aus, sodass es nun vor allem die gestiegenen Lebenshaltungs- und Energiekosten seien, die ihren Raum für künstlerische Tätigkeiten beschneiden. Dasselbe gelte natürlich auch für Material- und Transportkosten. „Ob man die Anreise zu einer Ausstellung bei den aktuellen Spritpreisen auf sich nehmen kann, muss sich derzeit mancher zweimal überlegen.“

Die Folgen der Pandemiesind noch immer spürbar

Dazu kommen die Auswirkungen der Pandemie, welche die Künstler bereits in den vergangenen Jahren stark gebeutelt haben. „Corona hat ein riesiges Loch gerissen“, bestätigt Olpp, dessen Verein regionale Künstler in jener Zeit auf Grundlage von Spenden unterstützt hat.

Dabei geht es nicht nur um den Kostenaspekt: Willi Beck, Betreiber der Belinda in Sulzbach, sieht die größten Hürden für die Kultur im ländlichen Bereich weniger in der Inflation als in den geänderten Gewohnheiten der Menschen durch die Pandemiezeit. Das Gästeaufkommen habe sich nach der Öffnung im Sommer 2022 bis heute nicht vollständig erholt, die Umsatzeinbrüche gegenüber der Zeit vor Corona beziffert er mit durchschnittlich 30 Prozent. „Natürlich ist dies das Aus für bestimmte kulturelle Events, die sich einfach nicht mehr rechnen, wenn es keine Zuschüsse gibt. Man ist gezwungen, sich auf die Akteure zu konzentrieren, die Publikum ziehen.“

Diese Akteure hat man im Fautenhau allemal, die Folgen der Pandemie sorgen aber auch hier noch immer für Unwägbarkeiten. „Eines der größten Probleme in der ganzen Veranstaltungsbranche ist der Personalmangel, da sich viele Freiberufler in der Pandemie umorientiert haben und jetzt nicht mehr verfügbar sind“, sagt Deters. Diese Situation verschärfe sich durch ein gewisses Überangebot an Veranstaltungen, welche sich über die vergangenen drei Jahre aufgestaut haben.

Mit Mischkalkulation und Qualität durch die Inflation

Im Bürgerhaus versucht man indessen, mit einer Balance aus aufstrebenden und lokalen Künstlern, etwa im Format „Rising Stars&Local Heroes“, und hochrenommierten Stars wie Chris Potter oder der SWR Big Band ein nachhaltiges Kostenmanagement zu betreiben. Zugleich beobachtet Johannes Ellrott auch seitens der Künstler eine Tendenz zur Verschlankung: „Wir stellen zum Beispiel bei Musicalproduktionen fest, dass Ensembles mit sonst 20 Personen jetzt in kleinerer Gruppe kommen.“

Zulasten der Qualität soll das aber nicht gehen, schließlich ist es wichtiger denn je, dass das Publikum auf seine Kosten kommt. So sieht das auch Thomas Deters: „Wir haben einen Standard, den wir trotz Kostendruck halten wollen. Es gibt außerdem Bereiche wie Sicherheit oder Sanitär, an denen darf man einfach nicht sparen.“

Ulrich Olpp wünscht sich bei alledem mehr Unterstützung aus der Politik. „An die Kunst wird immer zuletzt gedacht. Sie ist aber nicht nur Luxus oder ein Sahnehäubchen, das man sich ab und zu mal gönnt“, mahnt er und hält es mit Richard von Weizsäcker: „Es ist der geistige Boden, auf dem wir alle stehen.“

Dies den Menschen ins Bewusstsein zu rufen und sie wieder stärker für Kultur „von Angesicht zu Angesicht“ zu begeistern, benennt Willi Beck als wichtigsten Aspekt für eine resiliente und selbstbewusste Kulturlandschaft: „Es braucht Erzählungen über die Faszination eines Livekonzertes, einer Kunstausstellung oder eines Comedy-Events.“ Unterhalten, faszinieren, reizen und dabei gut wirtschaften: Das Wandeln zwischen den Herausforderungen im Kulturbetrieb ist mehr denn je Kunst und Drahtseilakt.