Inflation: Neue Klamotten sind nicht mehr drin

Alles wird teurer (4) Die Verbraucherpreise sind seit 2021 stark gestiegen. Das trifft vor allem diejenigen, die schon vorher sparen mussten. Zwei Backnanger mit geringem Einkommen erzählen von ihrer Situation.

Inflation: Neue Klamotten sind nicht mehr drin

Bei der Vesperkirche der katholischen Kirchengemeinde St. Johannes in Backnang erhalten Bedürftige von November bis März jeden Montagmittag ein günstiges Essen. Möglich, dass künftig aufgrund der Inflation mehr Personen darauf zurückgreifen. Archivfoto: Alexander Becher

Von Anja La Roche

Rems-Murr. Für Menschen, die schon vor der Inflation an allen Ecken und Enden sparen mussten, bedeuten die Teuerungen einen weiteren Einschnitt. Beim Einkauf von Lebensmitteln etwa müssen sie jetzt noch genauer auf den Preis schauen. „Vor der Inflation war es schon entspannter, es hat grad so gelangt“, sagt Georg Becker (Name geändert). Der 78-jährige Backnanger ist auf eine knappe Rente angewiesen und muss seiner Ex-Frau einen Rentenausgleich zahlen. Dass die Preise für Nahrungsmittel innerhalb eines Jahres um durchschnittlich rund 20 Prozent gestiegen sind, kann er nicht problemlos wegstecken.

Becker wohnt alleine in einer Mietwohnung, die etwa 40 Quadratmeter groß ist, sein Apartment gehört zu einer betreuten Wohneinheit. Im Alter von 58 Jahren ist der gelernte Fensterbauer arbeitslos geworden. Nach zwei Jahren der erfolglosen Jobsuche habe er in Rente gehen müssen, erklärt er. Neue Klamotten könne er sich im Moment keine mehr leisten. „Am Essen spar ich und an den Kleidern“, erklärt der Backnanger, der 42 Jahre lang voll gearbeitet hat. Bei Lebensmitteln gucke er nach Angeboten, kaufe immer im Discounter ein.

Noch mehr in die Bredouille bringt ihn der Umstand, dass seine Miete vor zwei Monaten um 100 Euro im Monat erhöht wurde. Seine neuerliche Rentenerhöhung von etwa 60 Euro reicht nicht aus, um die gestiegenen Kosten auszugleichen. „Im Endeffekt habe ich trotzdem weniger“, sagt Becker. Aktivitäten wie mal ins Konzert zu gehen sind nicht drin. Er würde gerne ins Heim ziehen, weil er sich in seiner Wohnung alleine fühlt. Aber da müsste er 40 Euro im Monat mehr zahlen und auch noch acht Euro pro Tag für das Essen beisteuern. „Das ist für mich finanziell nicht tragbar“, sagt er.

Einige Personengruppen sind esonders gefährdet, in Armut zu leben

Die Inflation trifft besonders die, die eh schon wenig hatten. Aber um wen handelt es sich dabei überhaupt? Als armutsgefährdet gilt eine Person, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen muss. Die jüngsten Zahlen liefert das Statistische Bundesamt für das Jahr 2021: Als armutsgefährdet galt, wer mit weniger als 1300 Euro netto auskommen musste. Davon war 15,8 Prozent der Bevölkerung betroffen. Eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren galt als armutsgefährdet, wenn sie unter 2627 Euro im Monat netto verfügbar hatte. Alleinerziehende, alleinlebende und arbeitslose Personen sowie Asylsuchende in Gemeinschaftsunterkünften seien verstärkt davon betroffen.

Ob deswegen mehr Personen Wohngeld und andere Sozialleistungen beantragen? Matthias Schuh vom Jobcenter Rems-Murr vermutet: „Wenn jemand in einer Beschäftigung steht und die Gaskosten plötzlich ums Dreifache steigen, stellen Leute einen Antrag, die bisher noch nicht darauf zurückgegriffen haben.“ Eine valide Aussage könne er allerdings nicht treffen, denn die Zahl der Anträge hänge von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel auch von der Zahl der zugezogenen Geflüchteten.

Urte Ullrich kommt noch mit ihrem Geld zurecht

Mit wenig Geld auskommen muss auch Urte Ullrich. Sie lebt von ihrer Witwenrente, ihrer eigenen Rente, Wohngeld und einem Zuschuss aufgrund ihrer Pflegestufe. Zirka 450 Euro im Monat habe sie für sich übrig, um Lebensmittel, Klamotten und Co. zu kaufen. Die 79-jährige Backnangerin, die in ihrer Vergangenheit auch schon auf Sozialhilfe angewiesen war, hat dabei eine andere Sicht auf die Dinge. „Es kommt immer darauf an, wie man mit Geld umgeht, welche Prioritäten man setzt“, sagt sie.

Laut ihr reichen die staatlichen Sozialleistungen in Deutschland aus, wenn man sparsam mit ihnen umgeht und auch auf Angebote wie Sozialwarenhäuser oder Kleiderkammern zurückgreift. Bei der Rentnerin macht sich der Preisanstieg natürlich trotz ihrer Einstellung auf ihrem Konto bemerkbar. „Ich merke auch, dass meine Grundbasis an Lebensmitteln, die ich brauche, 20 Euro pro Woche teurer geworden ist“, sagt sie. Sie verzichtet daher auf neue Kleidung und versucht immer, an die Sparangebote im Supermarkt heranzukommen.

Betroffene können einen Ausweis für Tafelläden beantragen

Wie kann die Schuldnerberatung künftig den Menschen mit geringem Einkommen weiterhelfen, denen die Inflation über den Kopf wächst? Reinhard Biehlmeyer, der die Schuldnerberatung des Kreisdiakonieverbands leitet, erklärt, die Berater würden dann den Haushaltsplan sorgfältig betrachten und nach Einsparmöglichkeiten suchen. „Aber wer eh schon sparsam lebt, da wird es wirklich schwierig“, sagt er. Die Berater klären die Betroffenen dann über soziale Angebote wie Tafelläden auf – wohl wissend, dass diese ebenfalls Schwierigkeiten haben, weil sie derzeit mit einer hohen Nachfrage zu kämpfen haben.

Bislang sei die Inflation kein Thema in den Beratungen, sagt Biehlmeyer, aber er rechnet in Zukunft durchaus mit Klienten, bei denen die derzeitigen Preissteigerungen Schulden verursachen. „Der größte Teil der zusätzlichen Kosten hat die Menschen ja noch nicht erreicht“, meint er, wobei er insbesondere die Nachzahlungen für die Energiekosten meint. Die Entlastungen durch die Regierung würden das nicht ausgleichen (siehe Infotext).

In diesem Jahr können Betroffene aber auf eine weitere Unterstützung hoffen, erzählt Biehlmeyer, und zwar in der Form von Spenden. Denn die Wohlfahrtsorganisation Caritas bittet derzeit Menschen mit genügend Geld, ihre von der Regierung erhaltene Energiepauschale von 300 Euro an Hilfsbedürftige abzugeben. Die könnte dann Menschen zugutekommen, die zum Beispiel für eine notwendige Anschaffung nicht mehr genug Geld übrig haben.

Die beiden Backnanger Rentner besuchen regelmäßig die Vesperkirche

Der Backnanger Georg Becker kann zunächst noch selbst seinen Haushaltsplan optimieren. Vor ein paar Tagen habe er zum Beispiel beim Bürgeramt Wohngeld beantragt, erzählt er. Seine Kinder hätten ihm dazu geraten und er wisse selbst nicht ganz, warum er das bislang nicht gemacht hat. Er wird zudem, wie auch Urte Ullrich, weiterhin zur Vesperkirche im Haus der katholischen Kirchengemeinde St. Johannes in Backnang gehen, wo er günstiges Essen erhält – das mache er aber vor allem wegen der Gesellschaft, sagt er. Ansonsten heißt es für ihn, wie für viele andere Personen, irgendwie mit dem wenigen, das bleibt, zurechtzukommen.

Entlastungen durch die Regierung

Sozialhilfen Mit dem Bürgergeld erhalten die Bezieher seit 1. Januar 53 Euro mehr als vor der Reform. Die Regelbedarfe würden nun vorausschauend an die Teuerungsraten angepasst, heißt es von der Bundesregierung. Auch Zahlungen wie Kindergeld und Wohngeld wurden angepasst.

Midijob-Grenze Mehr netto vom brutto bleibt den Geringverdienern seit dem 1. Januar: Die Midijob-Grenze ist von 1600 auf 2000 Euro erhöht worden.

Energiekosten In diesem Jahr soll ein zweiter Heizkostenzuschuss für Geringverdiener erfolgen. Ab März greift außerdem rückwirkend zum 1. Januar die Gaspreisbremse.

Mobilität Die Regierung will in diesem Frühjahr das 49-Euro-Ticket auf den Weg bringen. Die Pendlerpauschale für Arbeitnehmer ist rückwirkend zum 1. Januar gestiegen.

Mehr Informationen Weitere Infos findet man unter www.bundesregierung.de.