Die Deadline für die Ukraine ist vom Tisch, der alarmierende „28-Punkte-Plan“ entschärft. Dessen Ideengeber könnten direkt im Kreml sitzen.
Glückloser US-Sondergesandter: Steve Witkoff (links) mit Wladimir Putin
Von Thomas Spang
Zurück auf Los. Das ist das Ergebnis einer Woche hektischer Diplomatie, die ein Ultimatum des US-Präsidenten an die Ukraine ausgelöst hatte. Donald Trump gab dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bis zum „Thanksgiving“-Fest an diesem Donnerstag Zeit, wahre Dankbarkeit zu zeigen und einen von den USA vorgelegten Friedensplan anzunehmen.
Wie so oft in der Vergangenheit möchte Trump davon jetzt nichts mehr wissen. „Ich habe keine Deadline“, beendete er an Bord von Air Force One vor Reportern ganz offiziell die gesetzte Frist. „Wissen Sie, was für mich die Deadline ist? Wenn es vorbei ist.“
Das könnte dauern. Denn die Bemühungen um einen Frieden in der Ukraine sind nach Ansicht vieler Analysten wieder da, wo sie vor der Aufregung um das Thanksgiving-Ultimatum waren. Der unter Federführung von US-Außenminister Marco Rubio und Mitwirkung der Europäer in Genf entschärfte Plan mag nun für Kiew akzeptabel sein, aber automatisch nicht mehr in Moskau.
Witkoff blamiert durch Telefonat
In einem Anflug von Realismus schrieb Trump auf seinem Netzwerk „Truth Social“, er werde sich mit den Präsidenten der beiden Kriegsparteien erst treffen, „wenn der Deal zur Beendigung dieses Krieges endgültig ist oder sich in seiner Endphase befindet“.
Diesen Weg überlässt der US-Präsident zwei diplomatischen Neulingen. Der für die Army zuständige Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Dan Driscoll, soll sich zu weiteren Gesprächen mit den Ukrainern treffen. Parallel sondiert der Sondergesandte Steve Witkoff nächste Woche in Moskau.
Dessen Glaubwürdigkeit als „ehrlicher Makler“ nahm durch an „Bloomberg“ durchgestochene Mitschnitte zweier brisanter Telefonate schweren Schaden. Die Aufzeichnungen legen nahe, dass Witkoff den Russen Ratschläge erteilte, wie sie Trump am besten manipulieren könnten. Das erste Gespräch fand am 14. Oktober statt, einen Tag nach Trumps Gaza-Durchbruch in Israel. Witkoff telefonierte mit Juri Uschakow, dem außenpolitischen Berater Wladimir Putins. Er empfahl, dass Putin Trump noch vor dessen Treffen mit Selenskyj am 17. Oktober anrufen solle. Es wäre bestimmt gut, Trump zum Gaza-Abkommen zu gratulieren und ihn als „Mann des Friedens“ zu bezeichnen. „Dann wird daraus ein wirklich gutes Gespräch.“
Angekündigtes Treffen mit Putin ist bis heute nicht erfolgt
Witkoff schlug weiter vor, gemeinsam mit den Russen einen „20-Punkte-Trump-Plan“ zur Beendigung des Ukraine-Kriegs zusammenzustellen. Putin telefonierte zwei Tage später tatsächlich mit Trump. Danach kündigte er ein Treffen mit Putin in Budapest an, zu dem es bis heute nicht gekommen ist. Der Präsident erwähnte gegenüber Reportern, Putin habe ihm in dem zweieinhalbstündigen Gespräch zum Gaza-Deal gratuliert – genau wie Witkoff es vorgeschlagen hatte.
Das zweite abgehörte Telefonat fand am 29. Oktober statt, dieses Mal zwischen zwei Kreml-Akteuren: Uschakow und Kirill Dmitrijew, dem Chef des russischen Staatsfonds und einem der Architekten des 28-Punkte-Plans. Die beiden Russen diskutierten ihre Forderungen in dem Papier, das mutmaßlich Witkoff übergeben werden sollte. Dmitrijew teilte mit Uschakow die Einschätzung, die Amerikaner würden zwar „nicht genau unsere Version nehmen“. Aber ihre Fassung werde „so nah wie möglich dran sein“.
Große Teile des 28-Punkte-Plans sollen aus dem Kreml stammen
Dass die Russen Witkoff weite Teile des 28-Punkte-Plans untergejubelt haben, hält der investigative Journalist Christo Grozev für gesetzt. Er habe schon vor einem halben Jahr aus Quellen in Moskau einen Entwurf gesehen, der verblüffend ähnlich gewesen sei, schreibt er im „Spiegel“.
Die Enthüllungen von „Bloomberg“ lösten in Washington einen Sturm der Entrüstung aus. Don Bacon, ein republikanischer Kongressabgeordneter aus Nebraska, forderte Witkoffs Rücktritt. „Es ist klar, dass Witkoff vollständig die Russen bevorzugt“, schrieb er auf X. „Er kann nicht damit betraut werden, diese Verhandlungen zu führen.“
Der frühere Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, meinte, Amerika sei kein neutraler Mittler mehr. Die US-Regierung dürfe nicht vortäuschen, als wäre sie es. „Ein Abkommen, das Aggression belohnt, wäre das Papier nicht wert, auf dem es geschrieben steht.“
Bemühungen wieder am Anfang
Indizien sprechen dafür, dass Trumps Thanksgiving-Deadline Teil einer Machtintrige innerhalb der US-Regierung war. Dabei versuchten Witkoff und andere Russland-Sympathisanten wie Vizepräsident J.D. Vance, Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und Army-Staatssekretär Driscoll, den eher pro-ukrainischen Außenminister Rubio auszubooten. Das könnte erklären, warum Rubio alarmierten Senatoren, wie dem Unabhängigen Angus King und dem Republikaner Mike Rounds, versicherte, der 28-Punkte-Plan sei eine „Wunschliste“ des Kreml.
Die Bemühungen sind wieder an ihrem Ausgangspunkt. Der ursprüngliche Plan war für Kiew inakzeptabel, die entschärfte Version wird es für Moskau sein. Russlands Außenminister Sergej Lawrow machte bereits deutlich, dass jede Abweichung von dem, was Putin gefordert hatte, problematisch wäre. Derweil hat Russland einen Besuch Witkoffs in Moskau bestätigt. Es sei eine „vorläufige Vereinbarung“ darüber erreicht worden, dass Witkoff nächste Woche nach Moskau komme.