Heute gibt es in Grönland 17 Städte, 55 Dörfer, 30 Schäfersiedlungen und einige andere bewohnte Stationen. Doch schon vor 5500 Jahren jagten Inuit Karibus auf der größten Insel der Welt. Zwei Jeaner Forscher haben jetzt ihren Expeditionsbericht vorgestellt.
Diese über 2000 Jahre alte Übernachtungsstelle von Karibu-Jägern haben die Forschenden der Universität Jena im Sommer 2025 auf der Halbinsel Nuussuaq im Westen Grönlands entdeckt.
Von Markus Brauer
Das Leben vieler Inuit auf Grönland war über Jahrtausende geprägt von einem regelmäßigen Rhythmus: Den Winter über fischten sie an der Küste und erlegten Wale, Robben und andere Meeressäuger, im Sommer zogen sie ins Inland und jagten Karibuherden.
Während die meist über einen längeren Zeitraum genutzten Siedlungen an der Küste archäologisch gut erforscht sind, weiß man über das mobilere Leben im Sommer weitaus weniger. Deshalb haben sich Archäologen der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Sommer 2025 auf die Spuren der arktischen Karibu-Jäger begeben und machten dabei eine bemerkenswerte Entdeckung.
Ihr Expeditionsbericht ist im Fachjournal „Academia“ veröffentlicht.
Zwei Besiedlungswellen Grönlands
Erstmals fanden sie im Inneren der Halbinsel Nuusuuaq im Westen Grönlands Steinartefakte, die belegen, dass dort bereits vor unserer Zeitrechnung Inuit der sommerlichen Jagd nachgingen. Die Expedition fand unter dem Patronat des „Grönländischen Nationalmuseums und -archivs“ statt.
„Es gab mindestens zwei Besiedlungswellen durch Inuit auf Grönland, die beide von Alaska ausgingen:
Von ihr stammen auch die heute noch in Grönland lebenden Inuit ab“, erklärt Clemens Pasda von der Universität Jena. Während beider Phasen, bis in die 1950er Jahre hinein, pflegten die Arktis-Bewohner hier die jahreszeitlich bedingte halbnomadische Lebensweise, die sich über die Jahrtausende hinweg kaum veränderte.
Sommercamp mit steinernen Resten
Deshalb stießen Clemens Pasda und Clemens Bock während ihrer vierwöchigen Expedition im Bereich des Karibujägerlagers Nernartuut (was übersetzt so viel wie „Ort mit vielen Steinbrechblumen“ bedeutet) auf der Halbinsel Nuussuaq auf zahlreiche Reste von Strukturen, die Inuit gebaut haben.
„Wir sehen vor allem die Reste von Übernachtungsstrukturen, also kleinen, runden bis rechteckigen Steinmauern, die entweder als Außenwände von größeren Zelthäusern oder als Windschutz von sogenannten Jägerbetten, die kein Dach besaßen, dienten“, erklärt Clemens Pasda. „Leder, Holz und anderes organisches Material hat sich in der rauen Umgebung nicht erhalten.“
Fleischdepots für die Winter
Außerdem fanden die Archäologen Karibu-Fanganlagen, also über mehrere hundert Meter aufgereihte Steinmännchen, die dazu gedient haben, die Karibus in einen See oder zu Jagd-Ansitzen zu leiten, wo die Jäger sie einfacher erlegen konnten. Ihre Beute lagerten die Inuit in Fleischdepots unter kleinen Steinhaufen, deren Reste sich heute ebenfalls noch finden.
Trotz der über die Jahrhunderte hinweg ähnlich gebliebenen Behausungen machten die Jenaer Experten eine Entdeckung, die bei der Datierung hilft. „Mein Kollege Clemens Bock fand Steinwerkzeuge, die nur in der frühen Phase vor 4500 bis 2000 Jahren verwendet wurden“, erläutert der Jenaer Urgeschichtler. „Dadurch wissen wir jetzt sicher, dass die Inuit dieses Jagdrevier, das ungefähr halb so groß wie Thüringen ist, bereits in dieser Zeit aufsuchten.“
Archäologischen Landkarte nach Norden erweitert
Die Jenaer Experten dokumentierten rund 100 neue Fundpunkte, in dem sie diese fotografierten und zeichneten. Besondere Hinterlassenschaften, wie die Steinartefakte, übergaben sie dem nahegelegenen „Ilulissat Museum“, das die Expedition logistisch unterstützte.
„Wir können anhand der Hinterlassenschaften besser nachvollziehen, wie die Inuit ihre Sommer auf der Halbinsel verbrachten“, erläutert Clemens Pasda. Im späten Frühjahr zogen ganze Familien mit dem Hundeschlitten ins Landesinnere und ließen sich in größeren Zeltlagern nieder.
Während die Frauen in den dortigen Gewässern fischten, kehrten die Männer zunächst an die Küste zurück, um dort ebenfalls zu fischen. Im Juli wanderten sie zu Fuß in die inzwischen schneefreie Steppe zu ihren Familien und jagten Karibus, wobei sie das zentrale Camp auch für längere Zeit verließen, wie kleinere Lagerplätze zeigen. Mit dem ersten Schnee brachten sie Beute und Familien schließlich per Hundeschlitten wieder zurück an die Küste.
„Mit dieser Arbeit haben wir die archäologische Landkarte Grönlands nach Norden erweitert“, resümiert Clemens Pasda. „Bisher konzentrierten sich vergleichbare Forschungen vor allem auf südlichere Regionen. Wir konnten nun zeigen, wie reich und vielfältig die kompetente und intelligente Lebensweise der Menschen dort schon seit mehreren Jahrtausenden im äußersten Westen Grönlands war.“