Wiege der Menschheit

Ist der moderne Mensch in Südafrika entstanden?

Die Wiege des Homo sapiens stand möglicherweise woanders als gedacht – im tiefen Süden Afrikas statt in Ostafrika. Indizien dafür liefern DNA-Analysen steinzeitlicher Jäger und Sammler aus Südafrika.

Ist der moderne Mensch in Südafrika entstanden?

Felsmalereien der San in einer Höhle, Giant s Castle Reservat, KwaZulu-Natal, Südafrika

Von Markus Brauer

Die Wiege des Menschen befand sich in Afrika. Das ist inzwischen unter Paläoanthropologen unstrittig. Doch wo auf diesem riesigen Kontinent ist der Homo sapiens entstanden? Lange galt Ostafrika als Ursprungsort, weil einige der ältesten Fossilien des Homo sapiens dort gefunden wurden. Aber im Jahr 2011 weckte eine DNA-Studie erste Zweifel an der Theorie.

Sie enthüllte, dass einige Naturvölker im Süden Afrikas ein überraschendes altes und variantenreiches Erbgut besitzen. Eine solche Vielfalt ist zeugt normalerweise von tiefen Wurzeln und fehlenden genetischen Flaschenhälsen durch vergangene Migrationen.

Out of Africa: Die Entstehung des Homo erectus

Ostafrika, vor allem die Gegend um den Tanganjikasee, gilt in der modernen Forschung als Wiege der Menschheit. Die Out-of-Africa-Theorie, wonach alle Frühmenschen von der südlichen Halbkugel der Erde stammten, ist längst Allgemeingut der Paläoanthropologie – also jener Wissenschaft, die sich mit den alten, stammesgeschichtlich frühen und ausgestorbenen Arten der Homininae beschäftigt.

Vor zwei Millionen Jahren entstand in Ostafrika ein weiterer Ast auf dem evolutionsgeshichtlichen Weg zum modernen Menschen – Homo erectus. Dieser Frühmensch hatte ein kräftiges, größeres Skelett und einen massiven Schädelknochenbau. Bereits vor 1,5 Millionen Jahren machten sich Gruppen des Homo Erectus auf und verließen Afrika.

Über den Nahen Osten zogen diese kleinen Clans bis nach Südost- und Ostasien sowie nach Südeuropa, wo sie den Zweig des Homo heidelbergensis begründeten, der vor rund 700.000 Jahren in Mitteleuropa auftauchte.

Wo stand die Wiege des Homo sapiens?

Doch stimmt diese These überhaupt? Im Jahr 2017 entdeckten Spatenforscher die ältesten bekannten Fossilien des Homo sapiens. Die 300.000 Jahre alten Fossilien stammen nicht etwa aus Ost- oder Südafrika, sondern aus Marokko, wo die Fundstätte Oued Beht liegt.

Einem Teil Afrikas, von dem niemand eine so frühe Besiedlung durch unsere Vorfahren erwartet hätte. Anfang 2025 legten DNA-Vergleiche nahe, dass unsere Spezies zudem aus zwei Gründer-Populationen entstanden sein könnte.

Nun liefern neue Hinweise weitere DNA-Daten – aus Südafrika. Forscher um Mattias Jakobsson von der Universität Uppsala in Schweden haben dort die DNA von 28 Menschen untersucht, die vor 10.200 bis 150 Jahren im südlichen Afrika lebten. Sie verglichen deren Genome mit denen von früheren und heutigen Menschen aus anderen Populationen in Afrika, Europa und Asien.

Sibhudu-Höhle: Wo der Mensch zum Menschen wurde

Dass Südafrika neben Äthiopien, Kenia und Tansania eine Schlüsselrolle in der Evolution der Menschheit zukommt, ist seit längerem bekannt.

So ist etwa die Sibhudu-Höhle ein seit den 1960er-Jahren bekannter Fundort in einer Sandsteinformation, rund 15 Meter oberhalb des Flusses Tongati in der Provinz KwaZulu-Natal in Südafrika, rund 40 Kilometer nördlich von Durban. Sie gilt als eine der bedeutendsten archäologischen Fundstätten in Afrika.

Sibhudu ist wie ein Archiv für die frühe kulturelle Entwicklung unserer Vorfahren, bevor Homo sapiens Eurasien erfolgreich besiedelte und den Neandertaler und andere archaische Menschenformen verdrängte. Der Felsüberhang überdacht archäologische Schichten aus einem Zeitraum von etwa 100 000 bis 35 000 Jahren vor heute und diente Menschen in dieser Zeit als Wohnstelle.

Die Archäologen fanden in Sibhudu den ältesten Nachweis für die Konstruktion von Pflanzenmatten als Schlaf- und Arbeitsplätze, Belege für die Nutzung von Knochenwerkzeugen und Beweise für frühes symbolisches Verhalten in Form von Muschelperlen. Zudem wurde an der Fundstelle eine der ältesten Pfeilspitzen aus Knochen gefunden und damit einer der frühesten Nachweise für die Erfindung dieser Technologie.

Einzigartiges Genom

Die Analysen der schwedischen Forscher enthüllen noch weit Erstaunlicheres: „Alle von uns untersuchten Steinzeit-Menschen aus Südafrika zeigen eine DNA-Zusammensetzung, die außerhalb der genetischen Bandbreite moderner Menschen liegt“, berichten Jakobsson und sein Team im Fachjournal „Nature“.

„Sie bilden ein Extrem in der Spanne der menschlichen Genvielfalt.“ Diese urzeitlichen Afrikaner trugen demnach zahlreiche Genvarianten in ihrem Erbgut, die es nirgendwo sonst auf der Welt gab und gibt.

Nature research paper: Homo sapiens-specific evolution unveiled by ancient southern African genomeshttps://t.co/DACWcFkQ9h — nature (@Nature) December 5, 2025

Auch die genetische Vielfalt innerhalb dieser prähistorischen Gruppe war überraschend hoch. „Im Erbgut dieser wenigen Menschen finden wir die Hälfte aller bekannten menschlichen Genvarianten. Alle anderen Populationen teilen sich die andere Hälfte“, schreibt Jakobsson.

Damit bestätigen die neuen Analysen die Resultate der früheren DNA-Studie von 2011: Auch sie deuten darauf hin, dass die menschlichen Wurzeln in Südafrika besonders weit zurückreichen.

200.000 Jahre lang isoliert

„Diese urzeitlichen Genome verraten uns, dass das südliche Afrika eine Schlüsselrolle für die Entwicklung des Menschen gespielt haben muss – vielleicht sogar wichtigste überhaupt“, erklärt Jakobsson.

Weitere Analysen ergaben, dass viele der bei diesen frühzeitlichen Afrikanern gefundenen Genvarianten für die Entwicklung des Homo sapiens entscheidend gewesen sein könnten. Sie umfassen Gene, welche die Hirnentwicklung und kognitiven Fähigkeiten förderten. Aber auch Varianten, welche die Menschen hitzetoleranter machten.

Zudem sind die Gene dieser Population extrem alt und haben sich im Laufe der Jahrtausende kaum verändert, wie die DNA-Vergleiche zeigen. Obwohl die Toten vor frühestens 10.700 Jahren lebten, scheint ihre Population schon vorher fast 200.000 Jahre lang isoliert gelebt zu haben. „Es gibt keinerlei Indizien für eine Einwanderung oder einen Austausch mit anderen Populationen“, erläutert Jakobsson.

Entwickelte sich der Homo sapiens in Südafrika?

Die Vorfahren der in Südafrika lebenden Naturvölker teilten sich offenbar als erste Gruppe vom gemeinsamen Vorfahren aller Homo-sapiens-Populationen ab. Die neuen Daten widersprechen damit früheren Annahmen, nach denen der anatomisch moderne Mensch erst vor rund 50.000 Jahren nach Südafrika einwanderte und die dort vorkommenden archaischen Vorläufer unserer Art ablöste.

„Mithilfe immer besserer DNA-Analysen beginnen wir allmählich, die Beziehungen früher Menschenpopulationen zu entschlüsseln“, konstatiert Koautorin Carina Schlebusch von der Universität Uppsala. „Das hilft uns dabei zu verstehen, wie der anatomisch moderne Mensch sich auf dem afrikanischen Kontinent entwickelt hat.“