„Jeder von uns muss enorm strampeln“

Das Interview: Annegret Eppler, Betreiberin des Backnanger Universum-Kinos, spricht über das schwierige Coronajahr und die Folgen für die Branche. Ein ständiger Wechsel zwischen Wiedereröffnung und Lockdown wäre für die 53-Jährige der Worst Case.

„Jeder von uns muss enorm strampeln“

Verwaiste Sitze, so weit das Auge reicht. Kino-Betreiberin Annegret Eppler hofft, dass sie bald wieder Filmfans in ihren Sälen begrüßen kann und es danach keine weitere Schließung gibt. Foto: A. Becher

Von Steffen Grün

Können Sie sich noch an den Tag erinnern, als im Universum in Backnang und im Olympia in Winnenden zum bislang letzten Mal völliger Normalbetrieb herrschte?

Nicht konkret, aber das war so etwa bis Mitte Februar. Davor kamen noch rund 2000 Besucher pro Woche, mit den ersten Warnungen vor Corona hat sich das abgeschwächt. Mitte März wurde es noch mal etwas besser, weil wir auch schöne Filme und die sehr gut besuchten Übertragungen des Bolschoi-Balletts hatten. Das hat richtig Spaß gemacht, aber kurz darauf kam der erste Lockdown und wir saßen sozusagen alle auf dem Trockenen.

Als Sie der erste Lockdown mit voller Wucht getroffen hatte, betonten Sie Ihren Ideenreichtum und Ihre Bereitschaft, die schwere Zeit durchzustehen. Unterschätzten Sie damals noch, was Sie und Ihr Team erwartet?

Unser großes Interesse war immer, dass wir sichtbar bleiben – egal, ob wir geöffnet oder geschlossen haben. Das war ein starker Antrieb, zumal uns die Besucher sehr schnell nach dem ersten Lockdown gesagt haben, wie sehr ihnen das Kino fehlt. Nicht zuletzt deshalb waren wir für diese Idee eines Autokinos in Backnang auch sehr aufgeschlossen und haben uns gesagt, wir wirbeln so gut es geht weiter.

Mit den Känguru-Chroniken legte das Autokino in den Etzwiesen am 7. Mai los, zu den Filmen kamen weitere tolle Aktionen. Ist das Gemeinschaftsprojekt mit dem Stadtjugendring, Mein Backnang und der BKZ für Sie das dicke Trostpflaster in diesem schweren Jahr?

Es war Herausforderung und Trostpflaster zugleich. Das hat für alle Beteiligten einen Wahnsinnsaufwand bedeutet und man musste schon überlegen, ob das gemeinsam zu stemmen ist. Ohne den enormen Einsatz des Stadtjugendrings wäre es nicht möglich gewesen. Es hat sich allerdings gelohnt, denn es war unheimlich schön, wenn die Leute mit den Autos kamen und ihre Sektgläser und vor allem gute Laune mitbrachten. Dann haben sie das Popcorn mit der Angel durch das Fenster gereicht bekommen und es gab ein Riesengelächter. Das waren solche Momente, die allen, die da waren, unheimlich gutgetan haben.

Beim Autokino war der letzte Vorhang kaum gefallen, als die Kinos im Juli wieder öffnen durften. Sahen Sie das nur als Licht am Ende des Tunnels oder schon als großen Neustart?

Wir haben versucht, aus jeder Möglichkeit, die sich geboten hat, das Beste zu machen. So war es auch im Juli. Wir waren so dankbar, dass wir wieder aufmachen durften, obwohl mit den Abstandsregeln und ähnlichen Dingen schon klar war, dass es schwierig werden würde, die Kosten wieder zu erwirtschaften. Wir haben uns dennoch mit vollem Elan reingehängt, da wir alles ausprobieren wollten. Zum Beispiel, wie wir die Ein- und Ausgänge gestalten, damit sich die Leute nicht begegnen, oder wie wir sie in den Sälen setzen. Das hat alles sehr gut funktioniert, wir waren im Oktober auf einem richtig guten Level und vor allem war die Akzeptanz bei den Besuchern grandios. Sie waren einfach dankbar für die Möglichkeit, wieder ins Kino zu gehen.

Reichte die Zeit zwischen erstem und zweitem Lockdown, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen oder war es aus finanzieller Sicht und mit Blick auf die Besucherzahlen doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

Man kann in so einer Situation finanziell nicht rauskommen, das muss man deutlich sagen. Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Ein Riesenproblem ist die Filmbelieferung, vor allem bei einem Lockdown auf Raten. Wenn die Filmverleiher nicht wissen, wann die Kinos überhaupt geöffnet haben, ziehen sie ihre Filme zurück und warten ab. Dann können sich die Kinobesitzer abstrampeln, so viel sie wollen. Sie haben dann zwar ein paar Filme, die es vorher bereits gab, aber ihnen fehlt zum Beispiel der neue Blockbuster, den es braucht, um Aufmerksamkeit zu erregen. Da kann man sich ausmalen, dass es so auch finanziell nicht funktioniert.

Haben Sie Verständnis für die erneute Schließung, die nach der Verlängerung des November-Lockdowns wohl mindestens bis Januar dauert, oder halten Sie das aufgrund der erarbeiteten Hygienepläne für unverhältnismäßig?

Wenn man uns als Branche betrachtet, ist es komplett unverhältnismäßig. Besucher sagten, sie fühlten sich bei uns so sicher wie in Abrahams Schoß, und das belegen auch alle Daten. Die Thematik wird aus einem sicheren, kontrollierten, überwachten Bereich, der alle Auflagen erfüllt hat, in einen Bereich verlagert, der nicht kontrollierbar ist. Dürfen die Leute nicht rausgehen, sind viele eben versucht, sich dort zu treffen, wo sie unbeobachtet sind. Vielleicht verständlich ist der Schritt nur vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Hoffnung der Regierung, dass sich so die Kontakte weiter eindämmen lassen.

Noch ehe die Kinos zum ersten Mal zusperren mussten, sahen Sie die Existenz der ganzen Branche in Gefahr. Einige Häuser, etwa
in Stuttgart, hat es mittlerweile bereits erwischt. Wie sehen Sie Ihre eigene Situation?

Wir heben uns da von den anderen nicht ab, uns geht es genauso gut oder schlecht wie dem Rest der Branche. Jeder von uns muss in dieser Situation enorm strampeln, um zu retten, was zu retten ist, und zwar unabhängig von sämtlichen Hilfen.

Haben Sie Anspruch auf die Umsatzerstattung von 75 Prozent seitens des Staats, von der oft die Rede ist? Und wenn ja, haben Sie von diesem Geld im November schon etwas gesehen?

Noch hat niemand etwas gesehen. Man hatte auch erst ab dem 25. die Möglichkeit, etwas für November zu beantragen. Und schon da wurde gesagt, dass es anfangs nur einen Abschlag von 10000 Euro geben wird, was für Häuser mit unserer Kostenstruktur allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Zudem ist an vielen Stellen von „bis zu“ 75 Prozent die Rede. Ich glaube noch nicht an dieses Umsatzthema und weiß nicht, wer das in die Welt gesetzt hat. Ich bin gespannt, was davon am Schluss übrig bleibt.

Wenn Sie bei den Hilfen eher skeptisch sind, ist es für Sie wohl doch das Wichtigste, möglichst schnell wieder öffnen zu dürfen, oder?

Öffnen immer gerne, aber nur mit einer Verlässlichkeit. Alles andere macht überhaupt keinen Sinn, weil so viele Faktoren eine Rolle spielen, die nicht an uns hängen. Wir könnten von heute auf morgen mit Filmen wieder loslegen, die noch im Programm waren. Völlig anders ist es mit den Verleihern: Wissen die nicht, ob die Kinos verlässlich geöffnet sind – und zwar bundesweit –, geben sie ihre wertvollen Produkte gar nicht heraus. Ein Film hat im Vorfeld so einen finanziellen Aufwand, dass die Verleiher schauen müssen, dass sie dieses Geld so schnell wie möglich wieder reinkriegen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Känguru-Chroniken liefen im März an, eigentlich mit echt tollem Erfolg. Dann kam der Lockdown und der Film war praktisch zerbröselt. Zwar ging es in einigen Autokinos weiter, aber das war nicht das Potenzial, das dieser Film hätte erreichen können. Da sind die Verleiher gebrannte Kinder und werden schauen, wie sie jetzt die Filme rausbringen.

Bedeutet das, dass der neue James-Bond-Film nicht der einzige Blockbuster bleiben wird, dessen Kinostart sich nach hinten verschiebt?

Wenn es denn dabei bleibt, dass die Filme verschoben werden, dann geht es bei uns noch. Wenn es aber plötzlich darum gehen sollte, dass die Verleiher schnelles Geld brauchen und die Filme deshalb zu Streamingdiensten wandern, dann wären sie komplett weg. Das sind Faktoren, mit denen die ganze Branche kämpfen muss. Unser größtes Potenzial sind unsere Besucher, die uns weiter ihre Treue signalisieren und sagen, sie könnten daheim ansehen, was sie wollen und hätten nie das gleiche Gefühl, das sie im Kino haben.

Glauben Sie also, dass es die Filmfans sofort wieder in Scharen ins Kino zieht, sobald sich die Lage mit Impfstoffen oder Medikamenten entspannt, oder befürchten Sie eine lange Anlaufphase, weil die Sorgen tief verankert sind?

Es wäre blauäugig, zu erwarten, dass alle Besucher in dem Moment, wenn der erste Blockbuster startet, sofort wieder dastehen, weil sich Gewohnheiten in einer solchen Zeit einfach auch etwas verändern. Wir spüren aber auch, dass es den Leuten sehr fehlt, mal wieder rauszugehen, sich mit Freunden zu treffen und sich über ein gemeinsam erlebtes Thema zu unterhalten. Das findet eben doch im Kino statt und weniger bei den Streamingdiensten.

Wagen Sie doch einmal einen Ausblick. Wann dürfen Sie wieder ganz normal öffnen?

Das wird so bald nicht passieren, denn „normal“ würde ja auch ohne Abstand und ohne Maske bedeuten. Selbst wenn Impfstoffe da sind, dauert es eine Weile, bis die Bevölkerung mehr oder weniger durchgeimpft ist. Es wäre jetzt sinnvoller, den Lockdown, der uns betrifft, zum Beispiel bis Ende Januar oder Mitte Februar aufrechtzuerhalten, als kurzfristig zu sagen, ihr könnt jetzt wieder aufmachen, nur um dann wieder eine Schließung zu verordnen. Ein ständiger Wechsel zwischen Öffnung und abermaligem Lockdown wäre das Schlimmste, was uns passieren kann. Dann lieber eine verlässlich angekündigte Dauer dieser Auszeit, um sich danach darauf einstellen zu können, recht normal wieder loslegen zu dürfen.

Was wird es für Sie für ein Gefühl sein, wenn alle Kinobesucher irgendwann wieder ohne Abstand und Maske in einem vollen Saal sitzen?

Im ersten Moment wird es wohl ein unwirkliches Gefühl sein, aber danach sicherlich ein sehr, sehr freudiges.

„Jeder von uns muss enorm strampeln“

Heinz Lochmann

Lochmann glaubt nach Coronakrise an Schub für die Kinobranche

Den Optimismus lässt sich Heinz Lochmann nicht nehmen. Der Kinobetreiber aus Rudersberg, dem neben dem Traumpalast in Backnang noch elf weitere Lichtspielhäuser in ganz Deutschland gehören, rechnet nach der Coronakrise mit einem „Schub“ für seine Branche. Er begründet es mit einem Vergleich, den er lachend in eine Frage kleidet: „Wann schmeckt der Schluck Wasser beim Marathon am besten?“ Die Antwort liefert der 61-Jährige gleich mit: „Direkt nach dem Zieleinlauf.“ Seine Hoffnung: Die Menschen wollen das schmerzlich vermisste Kinoerlebnis danach möglichst schnell nachholen.

Bis es so weit ist, wartet aber wohl noch eine längere Durststrecke. „Ich hoffe sehr, dass die Situation im Februar oder März deutlich besser ist als jetzt“, sagt der Traumpalastchef, der die eigene Lage so beschreibt: „Wer vorher schwäbisch-sparsam gewirtschaftet hat, kann jetzt länger durchhalten.“ Mit einer Auslastung von 20 bis 25 Prozent öffnen zu dürfen, wie es nach dem Ende des ersten Lockdowns der Fall war, sei allerdings nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Derzeit befasst sich Lochmann damit, ob seine Kinos unter die staatliche Umsatzerstattung in Höhe von bis zu 75 Prozent fallen, ist aber noch skeptisch: „Wie so viele andere Unternehmer, die ich kenne, glaube ich erst daran, wenn das Geld auf dem Konto ist.“

Sein Verständnis für die erneute Schließung seit Anfang November hält sich in Grenzen. „Im Kino hat sich nachweislich niemand angesteckt“, sagt Lochmann und verweist auf die mechanische Be- und Entlüftung „auf höchstem Standard“. Wären Kinos, Restaurants und andere Einrichtungen im Lockdown das entscheidende Problem, „dann verstehe ich nicht, dass die Infektionszahlen nicht schon deutlich sinken. Ich würde gerne die Logik verstehen, die dahintersteckt“.

Der Traumpalast in Backnang hatte neben der Coronakrise zuletzt auch noch mit den Schäden zu kämpfen, die durch einen Brand in einem Nachbargebäude am 19. September entstanden sind. Inzwischen sind die Arbeiten abgeschlossen. „Jetzt könnten wir wieder spielen, aber jetzt dürfen wir nicht.“