Jenseits des Schubladendenkens

Miriam Steckl stellt beim Frauenforum Backnang ihr Podcast-Projekt und ihr Verständnis von modernem Feminismus vor

Miriam Steckl beschreibt den Anspruch an sich als moderne Feministin während ihres Vortrags in einem Bild: Noch stehen nicht alle vorne an der Startlinie und es gilt, sich auch für die einzusetzen, die weiter hinten abgeschlagen sind, manche sogar mit Gewichten an den Beinen. Ihr Verständnis von modernem Feminismus ist eines, das auf eine vielseitige Perspektive und die Unterschiedlichkeit der Menschen setzt.

Jenseits des Schubladendenkens

Beruflich arbeitet Miriam Steckl auf dem Gebiet des Designthinkings in multidisziplinären Teams zur Produkt- und Ideenentwicklung. Auch das hat sie geprägt, sagt sie. Foto: A. Becher

Von Christine Schick

MURRHARDT. Die Einladung des Frauenforums Backnang hat die 23-jährige Backnangerin gern angenommen. Obwohl zum Internationalen Frauentag in Berlin, wo sie mittlerweile lebt, natürlich auch einiges los sei, freut sie sich über die Möglichkeit, ihr Projekt „100 Frauen – ein Podcast über modernen Feminismus“ in ihrer Heimatstadt vorzustellen und damit auch ganz selbstverständlich „etwas zurückzugeben“. Völlig offen räumt sie ein, als Schülerin und junge Studentin noch nicht sonderlich politisch interessiert gewesen zu sein. „Ich dachte Feminismus ist etwas Verstaubtes, ein Anliegen von superwütenden Frauen, was nichts mit mir zu tun hat“, sagt sie. Doch das ändert sich, als sie – angeregt durch ein Werbeplakat zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“ und vor allem durch die Ausstellung „200 Frauen – Was uns bewegt“ in München – die Idee zu einem eigenen Podcast entwickelt. Dahinter steht die Begeisterung für die Medienform: Interviews, die dann in Hörbeiträgen verarbeitet werden, bieten die Möglichkeit, persönliche Geschichten zu erzählen, bei denen auch Emotionen transportiert werden. Total erfrischend erzählt Miriam Steckl selbst davon, wie sich nach ihrem ersten Aufruf zu ihrer eigenen Überraschung Autorin, Poetry-Slammerin und Moderatorin Ninia LaGrande meldet und sie ziemlich improvisieren muss. „Ich hab so getan, als hätte ich schon einen Podcast, dann musste ich erst mal fix ein Mikro kaufen.“ Eigentlich hat sie noch keine Erfahrung auf dem Gebiet. Doch der Mut zahlt sich aus. Nicht nur das Interview mit Ninia LaGrande ist spannend, es folgen auch weitere Anfragen. Unter ihren Gesprächspartnerinnen sind Franziska Giffey, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, oder Katarina Barley. Die damalige Bundesjustizministerin erlebt sie „als unglaublich menschlich und zugänglich“ im Gespräch.

Und was bedeutet nun eigentlich moderner Feminismus? Nach Ninia LaGrande fordert er gleiche Rechte für alle, unabhängig von Geschlecht, aber auch Hautfarbe, Religion, Herkunft oder sexueller Orientierung. „Es ist wichtig, das vielschichtig zu betrachten. Jeder erlebt verschiedene Diskriminierungsformen, die sich teils auch überschneiden.“ Das Schlagwort für diesen Ansatz: intersektionaler Feminismus. Miriam Steckl beschreibt ihn in der Diskussion so, dass er über die Geschlechterkategorie Frau/ Mann hinausgeht, auch, da es ja Menschen gibt, die sich eben keinem Geschlecht zuordnen. Weitere Gesprächspartnerinnen liefern zusätzliche Aspekte: Laura Gehlhaar, Autorin, Coach und Bloggerin, schildert ihren nicht immer gleichberechtigten Alltag als Rollstuhlfahrerin und Yasmine M’Barek, was ein Kopftuchverbot für sie als muslimische Frau bedeutet. Gleichstellungspolitikerin Josephine Ortleb stellt fest, dass der Anteil an weiblichen Abgeordneten im Bundestag von 37 auf 31 Prozent rückläufig ist. Und Katja Urbatsch, die die Organisation Arbeiterkind.de gegründet hat, dass Frauen weniger zugetraut und weniger in Projekte weiblicher Gründerinnen investiert werde. Mit Vincent-Immanuel Herr hat Miriam Steckl auch einen Mann als Interviewpartner, der sich für Feminismus starkmacht. Mit ihrem Projekt gehört sie zu den jungen Feministinnen, die sich der Vorteile des Internets bedienen. Es hat den Vorzug, immer zugänglich zu sein und ist dadurch inklusiver. Die Metoo-Debatte hätte sich ohne Netz vermutlich nicht in dieser Breite entwickelt. „Gleichgesinnte finden sich schneller“, sagt Steckl. Über einen Instagram-Kanal möchte sie vor allem junge Frauen und ganz verschiedene Hörerinnen erreichen – nicht nur aus der Bildungsschicht. Dass sie nun unter den Top 5 der feministischen Podcasts rangiert und von der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Anfrage zu einem Buchprojekt zum Thema „Männer und Feminismus“ bekommen hat, sind Dinge, die sie nicht erwartet hat.

„Ich sehe mich nicht als Aktivistin, sondern viel mehr als Sprachrohr“, meint die 23-Jährige. Gleichsam betont sie immer wieder die Chance des Mediums, Frauen zu ermöglichen, ihre Geschichte zu erzählen und sie dadurch zu stärken. Projekt und Gespräche haben sie sensibler gemacht – sie registriert schneller, wenn sie in Schubladen gedacht hat oder Vorurteilen aufgesessen ist, genauso wie eigene Herabsetzungen als Frau.

Es schließt sich eine vielschichtige Diskussion an, die Dorothee Winter moderiert. Jutta Rieger-Ehrmann vom Frauenforum Backnang, die anfangs eine Orientierung zur Entwicklung der Phasen von Frauenbewegung und Feminismus gab, fragt, ob ein so breiter Ansatz nicht auch überfordert und insofern wieder passt, als dass „die Frauen die Welt retten wollen“. Sie sieht die Gefahr einer Entgrenzung. Eine Teilnehmerin hebt auf die sprachliche Ebene ab: „Ist das wirklich noch Feminismus oder brauchen wir da nicht einen anderen Begriff?“ Eine weitere Teilnehmerin, die als Arbeiterkind mit Migrationshintergrund, Lehrerin und Mutter spricht, stellt fest, dass in ihrem Arbeitsalltag insbesondere als Mutter vieles glückt, weil an ihrer Schule eine Schulleiterin tätig ist. „Das heißt, das ist auch vom Zufall abhängig, ob Frauen oder sensible Männer in den Entscheidungspositionen sitzen. Aber eigentlich sollte dies strukturell verankert und selbstverständlich sein.“