Kein großer Fisch in der Szene

34-Jähriger handelte mit Drogen und erhält vom Schöffengericht eine letzte Chance.

Kein großer Fisch in der Szene

Der Verteidiger des 34-jährigen Angeklagten nennt die Strafforderung des Staatsanwalts „sinnvoll und im Rahmen“. Foto: Okanadeniz/Fotolia

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Vor dem Schöffengericht muss sich ein 34-jähriger Anlagenmechaniker wegen Drogenhandels verantworten. Er räumt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe ein und wird zu 16 Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt.

In der Anklageschrift wird dem Anlagenmechaniker vorgeworfen, gegen Ende des Jahres 2019 bei fünf Gelegenheiten kleinere Mengen Kokain veräußert zu haben. Es ist immer wieder derselbe Kunde, der Rauschgiftmengen um ein Gramm herum erhält.

Auf offener Straße bei abendlicher Dunkelheit werden die Geschäfte getätigt. Bei einer weiteren Gelegenheit soll der Angeklagte eine größere Menge Amphetamin angekauft haben. Schon bei der Überprüfung der Personalien bemerkt der Richter mit Blick auf den Angeklagten, dass man sich ja kenne. Und bevor dieser noch einen Satz zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen gesagt hat, bemerkt der Richter, dass die Verurteilung im Jahr 2016 doch „ein Schuss vor den Bug“ gewesen sei. Will heißen: Warum dieses Wiedersehen vor Gericht?

Der Angeklagte gibt an, dass seine Ex-Freundin geheiratet habe. Da sei er „in ein Loch gefallen“. Er sei damals selbst Drogenkonsument gewesen. Aber mit Beginn dieses Jahres sei für ihn Schluss damit gewesen. Er nehme nichts mehr. Das will der Richter genauer wissen: Was er denn genommen habe? Probiert habe er alles, so der Angeklagte, aber zuletzt insbesondere Marihuana geraucht. Und auch dies wird erfragt: Der Angeklagte hat einen Job. Seit zwei Jahren ist das Arbeitsverhältnis unbefristet. Ein Polizist wird als Zeuge vernommen. Er ist Leiter der Backnanger Rauschgiftermittlungsgruppe. Insbesondere will der Richter wissen, wie man auf den Angeklagten kam. Der Abnehmer des Kokains, das er vom Angeklagten kaufte, stand im Visier der Polizei.

Bei einer Hausdurchsuchung wurde das Handy des Abnehmers beschlagnahmt und ausgewertet. Auf diesem waren auch die Verkaufsgespräche mit dem Angeklagten geführt worden. Die Telefonierenden hatten sich bemüht, nur wenige Angaben dabei zu machen. Aus den genannten Mengen und Preisen schloss die Polizei, dass es sich um Kokain handeln musste. Ob der Ankauf einer größeren Menge Amphetamin zustande kam, sei zweifelhaft, so der Beamte. Fest stehe für die Ermittler nur, dass eine Probe des „Schnellen“ (so das Codewort für Amphetamin) überreicht wurde.

Eine gescheiterte Beziehung und die Betreuung des gemeinsamen Sohnes bergen Konfliktpotenzial.

Richter wie auch Staatsanwalt sind erstaunt, als der Polizist im Laufe der Vernehmung bekannt gibt, dass beim Angeklagten keine Hausdurchsuchung stattfand. Der Beamte erklärt das mit dem Hinweis, dass es sich bei dem Angeklagten „nicht um den großen Fisch in Backnang“ handle. Bei den Angaben, die der Angeklagte zu seinem Lebenslauf macht, wird deutlich, dass die gescheiterte Beziehung zu seiner Ex-Freundin und insbesondere die Betreuung des gemeinsamen Sohnes viel Konfliktpotenzial birgt. Der Angeklagte zahlt pünktlich seinen Unterhalt, will sein Kind aber auch regelmäßig sehen. Doch dies scheitert immer wieder. Auch frühere Verurteilungen haben damit zu tun. Ein Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz wie Körperverletzung und Beleidigung sind hier zu nennen. Der Richter resümiert: „Es sieht übel aus für Sie. Warum sollen wir Ihnen eine neue Chance einräumen?“

Der Staatsanwalt listet in seinem Plädoyer die Mindeststrafe für jeden einzelnen Drogenverkauf auf. So ergibt sich eine Gesamtstrafe von 16 Monaten. Die entscheidende Frage sei, ob diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Der Staatsanwalt bejaht dies nach Abwägung aller Umstände. Der Verteidiger des Angeklagten nennt die Strafforderung des Staatsanwalts „sinnvoll und im Rahmen“. Strafaussetzung zur Bewährung bejaht der Jurist unbedingt.

Sein Mandant zeige ernsthafte Reue und habe sich aus der Rauschgiftszene in Backnang gelöst. Für die Urteilsberatung braucht das Schöffengericht nur sechs Minuten. Das Urteil ist allerdings mit verschiedenen Auflagen verbunden. Dreieinhalb Jahre lang muss sich der Anlagenmechaniker unter Begleitung eines Bewährungshelfers straffrei halten, 2700 Euro Geldbuße in Raten an die Staatskasse zahlen und drei Termine bei der Suchtberatung wahrnehmen. Der Richter spricht von einem „Päckle“, das dem 34-Jährigen vom Gericht auferlegt werde: „Das ist der Preis für Ihre Freiheit.“ Vor allem möge der Angeklagte mithilfe seines Bewährungshelfers den Umgang mit dem Sohn klären. Denn diese Sache sei Anlass für frühere Strafverfahren gewesen. „Ersparen Sie mir, einen Widerruf (der Bewährung) schreiben zu müssen“, so der Richter. Insbesondere möge sich der 34-Jährige bei irgendwelchen Schwierigkeiten melden. Im Gespräch lasse sich in der Regel eine Lösung finden.

Der Anlagenmechaniker nimmt das Urteil an. Staatsanwalt wie Verteidiger erklären den Verzicht auf Einspruch. Somit ist das Urteil rechtskräftig.