Baden-Württemberg will Spielraum bei Beschränkungen nutzen

dpa Stuttgart. Lockerungen könnten zu einem „harten Rückfall“ in der Corona-Krise führen - warnt Ministerpräsident Kretschmann. Doch bei zwei von Bund und Ländern vereinbarten Maßnahmen ist das Land skeptisch. Hier plant es Abstriche von den strengen Regeln, falls das möglich ist.

Baden-Württemberg will Spielraum bei Beschränkungen nutzen

Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild

Baden-Württemberg zieht bei der Verschärfung des bundesweiten Corona-Lockdowns zwar mit. Es will aber in zwei entscheidenden Punkten seinen Spielraum nutzen und möglichst zugunsten von Kitas, Schulen und der Bewegungsfreiheit von den strengen Vorgaben abweichen. Die ursprünglich bis zum 10. Januar vereinbarte und nun bundesweite Verlängerung der Lockdown-Regeln bis zum Monatsende trägt der Südwesten ansonsten mit - trotz lautstarker Hilferufe aus Handel und Hotelbranche. Auch folgt Baden-Württemberg den strengeren Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich. Die neuen Beschränkungen gelten ab dem 11. Januar.

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann bat angesichts der neuen Beschränkungen erneut um Geduld und Verständnis. „Wir sind noch nicht über den Berg“, sagte der Regierungschef am Dienstagabend nach den Beratungen der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten und Regierungschefinnen. „Es liegt noch eine schwierige Strecke vor uns, wahrscheinlich die schwierigste der Pandemie.“ Er wisse, dass die Beschränkungen allen „auf die Nerven gehen“. Dennoch müssten sie erneut verschärft werden - „nicht häppchenweise, sondern so, dass wir innerhalb von Wochen auf niedrigere Zahlen kommen und nicht innerhalb von Monaten“.

Nach den neuen Plänen der Landesregierung sollen Grundschulen und Kitas ab dem 18. Januar wieder geöffnet werden, wenn die Infektionszahlen dies zulassen. Für Schülerinnen und Schüler der weiterführenden Schulen gebe es entsprechend der Vereinbarung von Bund und Ländern bis Ende Januar keinen Präsenzunterricht, sagte Kretschmann. Für die Abschlussklassen sind Sonderregelungen möglich. Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU), die sich vehement für Präsenzunterricht in Grundschulen eingesetzt hatte, begrüßte das Vorgehen. Die meisten Länder wollen die Schulen dagegen bis Ende Januar schließen.

Die Bildungsgewerkschaft GEW begrüßte zwar das Aussetzen des Präsenzunterrichts und Schließen der Kitas für eine weitere Woche. Ab dem 18. Januar sei aber Wechselunterricht an allen Schularten notwendig, forderte die GEW. Außerdem müsse landesweit und einheitlich mehr getan werden, um Kitas und Schulen zu schützen. Lehrkräfte und Erzieher müssten mit zertifizierten FFP2-Schutzmasken ausgestattet, Luftreinigungssysteme beschafft und eine Maskenpflicht für Erwachsene in Teilen der Kitas und Grundschulen ausgesprochen werden.

Erst später als bundesweit geplant will Baden-Württemberg entscheiden, ob es in Landkreisen mit hohen Corona-Infektionszahlen den Bewegungsradius der Menschen einschränkt. „Aktuell planen wir das nicht“, sagte Kretschmann. „Wir müssen erstmal zu belastbaren Werten kommen nächste Woche, um dann zu entscheiden.“

Zuvor hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, dass in Landkreisen mit hohen Corona-Infektionszahlen weitere Maßnahmen zur Einschränkung des Bewegungsradius auf 15 Kilometer um den Wohnort ergriffen werden sollen. Als Ausnahmen gelten triftige Gründe wie der Weg zur Arbeit. Dazu zählen tagestouristische Ausflüge wie der anhaltend starke Andrang in den Wintersportgebieten von Schwarzwald und Schwäbischer Alb ausdrücklich nicht. Wie die Vorgaben kontrolliert werden sollen, ist aber noch völlig unklar.

Auch die Kontaktregeln werden vom 11. Januar an noch einmal verschärft. Künftig dürfen sich nur noch Angehörige eines Haushalts mit maximal einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person im öffentlichen Raum treffen.

Baden-Württemberg war, wie die anderen Bundesländer auch, am 16. Dezember in einen weitreichenden Lockdown gegangen, um die hohen Zahlen von Corona-Neuinfektionen einzudämmen. Zahlreiche Geschäfte und Dienstleister sind seitdem geschlossen. Auch Freizeit- und Kultureinrichtungen mussten dicht machen - etwa Museen, Spielhallen und Schwimmbäder. Geöffnet bleiben dürfen unter anderem Supermärkte, Drogerien, Banken und Tankstellen.

Die Auswirkungen des verlängerten Corona-Lockdowns sind nach Ansicht der Einzelhändler allerdings eine Katastrophe für die Branche. „Je länger der Lockdown andauert, desto mehr Unternehmen kommen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und desto mehr werden pleitegehen“, sagte Sabine Hagmann, die Hauptgeschäftsführerin des Handelsverbands Baden-Württemberg, der „Stuttgarter Zeitung“. Im schlimmsten Fall müsse man damit rechnen, dass sich die prognostizierten 6000 Schließungen auf rund 12 000 Schließungen und Insolvenzen in den nächsten zwei Jahren verdoppelten. Kurzfristig stünden 100 000 Arbeitsplätze auf der Kippe, langfristig seien es bis zu 200 000.

Auch bei den Hotels und Gaststätten lösen die neuen Lockdown-Regeln Alarmstimmung aus. Der Sprecher des Landesverbandes Dehoga, Daniel Ohl, sagte: „Wir drängen darauf, dass der Staat den Betrieben das wirtschaftliche Überleben ermöglicht, wenn sie zur Pandemie-Bekämpfung geschlossen bleiben müssen.“ Versprochene Hilfszahlungen des Bundes kämen aber zu spät und seien bisher „nicht im zugesagten Umfang bei den Betrieben angekommen“. Das gelte auch für die Dezemberhilfen.

Wie es im Februar weitergeht, darüber wollen Bund und Länder am 25. Januar beraten. Entscheidend sind dann vor allem die Infektionszahlen. Die Zahl der gemeldeten Corona-Neuinfektionen hat allerdings im Südwesten wieder deutlich angezogen. Allerdings ist eine Interpretation der Daten weiter schwierig, weil um Weihnachten und den Jahreswechsel Corona-Fälle laut Robert Koch-Institut verzögert entdeckt, erfasst und übermittelt wurden.