Keine Notbremsung bei Zukunftsprojekten

Der Backnanger Gemeinderat stimmt dafür, die geplanten Großprojekte wie den Neubau der Karl-Euerle-Halle oder der Stadtbrücke trotz der finanziellen Verschlechterung durch die Coronakrise in Angriff zu nehmen. Fünf Räte stimmen dagegen.

Keine Notbremsung bei Zukunftsprojekten

Eine von mehreren Baustellen, die nicht zeitnah umgesetzt werden: Die Sanierung der Kreuzung Stuttgarter Straße/Industriestraße. Foto: J. Fiedler

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Seit drei Monaten lähmt die Coronapandemie die Wirtschaft weltweit. Jetzt stellte sich die Frage, welche Auswirkungen dies konkret auf Backnang hat. In der Gemeinderatssitzung am Donnerstagabend beschönigte Kämmerer Alexander Zipf nichts und listete auf: Die Summe der Verschlechterungen – vor allem bei den Steuereinnahmen – beläuft sich auf 10,4 Millionen Euro, die Verbesserungen der Ertragslage hingegen betragen nur 1,3 Millionen Euro. Unterm Strich knabbert die Stadt also an einer Verschlechterung von 9,1 Millionen Euro.

Wer nun dachte, die Verwaltung würde angesichts dieser Zahlen eine Notbremsung bei den großen Projekten einleiten, der wurde bei der Sitzung im Bürgerhaus eines Besseren belehrt. Weil die Wirtschaft in den Vorjahren bestens lief, kann die Stadt frühere Verbesserungen der Haushaltslage in Höhe von 5,3 Millionen Euro gegenrechnen. Und so ist die Deckungslücke ratzfatz nur noch 3,77 Millionen Euro groß. Und dieser Betrag könne eingespart werden, indem kleinere Projekte verschoben werden (siehe unten).

Für Oberbürgermeister Frank Nopper sind daher die großen Zukunftsprojekte, die in diesem Jahr oder der näheren Zukunft auf der Agenda standen, nicht gefährdet. Konkret genannt sind dies der Neubau der Karl-Euerle-Halle, die Stadtbrücke beim Bahnhof, die Plaisir-Kita oder das Feuerwehrgerätehaus Backnang-Süd. Nopper ordnete die Lage so ein: „Erstens: Wir sind bisher mit einem blauen Auge davongekommen, vor allem weil das Rechnungsergebnis 2019 viel besser ausgefallen ist als erwartet. Zweitens: Wir schlagen vor, die Investitionen durchzuführen. Aber wir müssen uns bewusst sein, dann ist kein Geld mehr da.“

Erster Bürgermeister Siegfried Janocha stieß in das gleiche Horn. Er erinnerte zwar daran, dass man zwar schon zu Jahresbeginn eine konjunkturelle Delle erwartet hatte, aber nun habe man eine handfeste Krise, „die Einnahmen sind in nur drei Monaten drastisch eingebrochen“. Trotzdem plädierte auch er, die Großprojekte zu realisieren. „Sie sind unumgänglich.“ Gleichzeitig warnte er, weitere Ideen anzugehen, sondern plädierte dafür, auf die Bremse zu drücken.

Kämmerer Zipf schlüsselte die Verschlechterungen auf. So gibt es derzeit eine Mindereinnahme bei der Gewerbesteuer von 6 Millionen Euro. Auch der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer sinkt um 2,3 Millionen Euro. Die Gebührenausfälle für die Kinderbetreuung summieren sich auf 500000 Euro. Selbst bei der Vergnügungssteuer rechnet Zipf mit 250000 Euro weniger Einnahmen. Und die Schutzausrüstung kostet bislang 150000 Euro. Die Verbesserungen sind hingegen schnell aufgelistet: Für die Flüchtlingsfinanzierung gibt es 293000 Euro mehr vom Land. Zudem zahlt das Land 512000 Euro an Coronasoforthilfe. Und für die Gewerbesteuerumlage brauchen 525000 Euro weniger bereitgestellt zu werden. Derzeit geht Zipf davon aus, dass keine neuen Kredite aufgenommen werden müssen und kein Nachtragshaushalt nötig wird.

Der Kämmerer benannte auch alle Risiken: Es könnte eine zweite Coronawelle geben. Die Gewerbesteuer könnte noch drastischer einbrechen. Die Baukosten steigen. Die Konjunktur noch weiter einbrechen. Aber es gebe auch Chancen. So könnte die Soforthilfe für die Kommunen erfreulicher ausfallen, zumal am Abend zuvor erst das Konjunkturpaket in Berlin verabschiedet worden war.

Ute Ulfert (CDU) nannte es erfreulich, dass die Stadt um Haushaltssperren herumgekommen ist. Sie befürchtete aber, dass die Schwierigkeiten erst nächstes Jahr auftreten werden. Heinz Franke (SPD) pflichtete bei, „es macht keinen Sinn, die großen Projekte zu verschieben“, man könne höchstens die Priorisierung hinterfragen. Zudem sprach er sich dafür aus, eine neue Kreditaufnahme nicht von vornherein und grundsätzlich abzulehnen. Charlotte Klinghoffer (BfB) kündigte indes an, sie werde gegen das geplante Vorgehen stimmen, „die Krise steht uns noch bevor“. Dass die Verwaltung am Hallenneubau und der Stadtbrücke festhalte, könne sie sich nur dadurch erklären, dass man der Meinung sei, die Krise werde nicht lange anhalten. Sie kritisierte den zu großen Optimismus der Verwaltung. Das tat auch Michael Malcher (AfD). Er wollte wissen, ob die Stadt noch einen Plan B habe, wenn es noch schlechter kommt. Und Fraktionskollege Steffen Siggi Degler meinte gar: „Ich bin schockiert, mit welchem Optimismus die Stadt die Sache angeht. Weitere finanzielle Einbrüche werden auf uns zukommen.“ Als Degler dann noch wiederholte, „ich bin schockiert, wie wir Prestigeprojekte wie die Stadtbrücke und die Euerle-Halle durchdrücken“, konnte Nopper fast nicht mehr an sich halten. Die Tatsache, diese beiden für die Stadt so wichtigen Infrastrukturprojekte als Prestigeprojekte abzutun, ließ den OB so laut werden, dass er später sogar um Nachsicht für die emotionale Unbeherrschtheit bat. Nopper sagte: „Es ist richtig, unser Vorschlag ist von Optimismus geprägt. Ich bin gegen Depressionsstimmung. Und wenn es noch schlimmer kommt, können wir immer noch eine Notbremsung hinlegen.“ Gerhard Ketterer (CDU) und Melanie Lang (Grüne) lobten den „kontrollierten Optimismus“ und Lutz-Dietrich Schweizer meinte: „Den Optimismus finde ich voll in Ordnung.“

Das Gremium stimmte dem Vorgehen der Verwaltung bei fünf Neinstimmen zu. Mit Nein haben gestimmt: Charlotte Klinghoffer, Jörg Bauer, Karl Scheib, Erdal Demir und Steffen Siggi Degler.

Kommentar
Respekt!

Von Matthias Nothstein

Der Optimismus, den die Stadtverwaltung verströmt, ist sympathisch und gleichzeitig weit davon entfernt, blauäugig oder gar leichtsinnig zu sein, schließlich hat der Kämmerer aufgelistet, wie die Situation aktuell zu meistern ist. Und wenn Oberbürgermeister Frank Nopper den ehemaligen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard mit den Worten zitiert, „Wirtschaft ist zu 50 Prozent Psychologie“, dann ist dem nichts hinzuzufügen. Mehr noch. Dem entschiedenen Handeln der Verwaltung gebührt Respekt. Jetzt nicht den Kopf in den Sand zu stecken und abzuwarten, erfordert Mut und Entscheidungsfreudigkeit. Beides hat die Verwaltung. Gut so. Da könnten sich einige ein Scheibchen davon abschneiden.

m.nothstein@bkz.de

Aufgeschobene Projekte

Aufgrund der Mindereinnahmen und Mehrausgaben im Zuge der Coronapandemie müssen einige Projekte der Stadt mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 3,77 Millionen Euro verschoben werden. Dies sind unter anderem:

Das Intelligente Verkehrsleitsystem. Obwohl das Projekt bereits im Werden ist, brauchen durch die Verschiebung einzelner Bereiche 1,45 Millionen Euro in diesem Jahr nicht ausgegeben zu werden. Allerdings hat dies auch Auswirkungen auf die Einnahmen, im Jahr 2020 gibt es dadurch 700000 Euro weniger Zuschüsse. Die sind jedoch nicht verloren.

Umbau Postgasse 5 zur IT-Zentrale: Anstelle von zwei Millionen Euro wird im laufenden Jahr nur eine Million Euro eingesetzt.

Erwerb der restlichen Anteile an den Straßenbeleuchtungsanlagen. Darauf wird dieses Jahr verzichtet. Einsparung: 1,27 Millionen Euro.

Kreuzung Stuttgarter Straße/Industriestraße. Anstelle von 660000 Euro werden dieses Jahr nur 150000 Euro verbaut.

Neugestaltung der Eduard-Breuninger-Straße: Eigentlich waren 450000 Euro für den Umbau eingeplant, nun werden nur Arbeiten für 300000 Euro realisiert.

Weitere Einsparpositionen sind die Dachsanierung Talschule (50000 Euro), die Gemeindeverbindungsstraße Stiftsgrundhöfe/Nellmersbach (200000 Euro) oder der Feldwegebau (120000 Euro).