Khashoggi-Mord: UN sieht Hinweise auf Saudi-Kronprinz

dpa Genf. Im Fall des ermordeten saudischen Journalisten Khashoggi sieht eine Menschenrechtsexpertin genügend Anlass für Ermittlungen gegen den saudischen Kronprinzen. Sie nimmt auch das Ausland in die Pflicht.

Khashoggi-Mord: UN sieht Hinweise auf Saudi-Kronprinz

Der saudische Journalist Jamal Khashoggi. Foto: Hasan Jamali/AP

Gegen den saudischen Kronprinzen sollte nach Auffassung einer UN-Menschenrechtsexpertin wegen des Mordes an dem Journalisten Jamal Khashoggi ermittelt werden.

Es gebe glaubwürdige Hinweise auf eine mögliche persönliche Verantwortung von Kronprinz Mohammed bin Salman und anderer ranghoher Vertreter Saudi-Arabiens, schrieb Agnès Callamard, UN-Sonderberichterstatterin für außergerichtliche, standrechtliche oder willkürliche Hinrichtungen, in ihrem Bericht an den UN-Menschenrechtsrat in Genf.

Die Regierung in Riad wies den Bericht als unglaubwürdig zurück. Er enthalte klare Widersprüche und haltlose Anschuldigungen, erklärte der saudische Staatsminister für Auswärtiges, Adel al-Dschubair, über Twitter. Saudi-Arabien lehne alle Versuche ab, seine Souveränität anzutasten. Allein die saudische Justiz sei für den Fall zuständig. Diese arbeite völlig unabhängig. In Saudi-Arabien hatte Anfang des Jahres ein Prozess gegen elf Verdächtige in dem Fall begonnen.

Khashoggi (59), ein Kolumnist der „Washington Post“, war im Oktober 2018 im saudischen Konsulat in Istanbul von einem eigens aus Riad angereisten Spezialkommando ermordet worden, als er Papiere für seine Hochzeit abholen wollte. Das hatte die saudische Führung nach internationalem Druck auch zugegeben und elf Männer vor Gericht gestellt.

Callamard erklärte, Khashoggi sei das Opfer einer vorsätzlichen Tötung gewesen, und verantwortlich dafür sei eindeutig der Staat Saudi-Arabien. Zur persönlichen Schuldfrage des Kronprinzen legte sie sich nicht fest. Dazu sei eine weiterführende Untersuchung nötig. Sie rief den UN-Generalsekretär António Guterres auf, eine solche anzuordnen oder Leitlinien für ein Tribunal zu entwickeln.

Guterres jedoch teilte mit, er habe nach eigener Einschätzung nicht die Autorität, eine Untersuchung gegen den saudischen Kronprinzen einzuleiten, auch wenn er eine „umfassende, transparente Untersuchung“ für notwendig halte. Guterres hatte immer wieder betont, er könne ohne Mandat eines UN-Gremiums oder Bitte eines involvierten Mitgliedslandes keine Untersuchung einleiten. Mehrere Menschenrechtsgruppen werfen ihm vor, er könne das doch, entscheide sich aber bewusst dagegen.

Callamard forderte zudem internationale Sanktionen gegen den Kronprinzen. Zwar gelte für jeden immer die Unschuldsvermutung. Aber bei anderen Sanktionen werde darauf auch keine Rücksicht genommen.

Die türkische Verlobte Khashoggis, Hatice Cengiz, begrüßte den Bericht. In einem Tweet benutzte sie die populäre Namensabkürzung des Kronprinzen, MBS, und schrieb: „Der Aufruf der UN-Sonderberichterstatterin, gegen MBS wegen des Mordes an meinem geliebten Jamal zu ermitteln, ist eine willkommene Entwicklung.“ Die Vereinten Nationen müssten der Empfehlung folgen. „Der Gerechtigkeit muss gedient und die Wahrheit enthüllt werden.“

Die türkische Regierung unterstützte die Empfehlung weiterer Ermittlungen ebenfalls. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu zitierte am Mittwoch Außenminister Mevlüt Cavusoglu mit den Worten: „Wir unterstützen inständig die UN-Empfehlung, den Mord an Khashoggi aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.“

Mohammed bin Salman wird von vielen Seiten als Drahtzieher der Bluttat verdächtigt - besonders nachdrücklich von der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte mehrfach gesagt, dass höchste saudische Kreise involviert gewesen seien. Nach Angaben Callamards genügen die von türkischer und saudischer Seite bislang eingeleiteten Untersuchungen aber nicht internationalen Standards.

Der einflussreiche US-Senator Lindsey Graham kritisierte den saudischen Thronfolger scharf: „Er war es. Es wäre ohne ihn nicht passiert“, sagte der Republikaner in Washington. Dies sei „nur die Spitze des Eisbergs“ von dem, was im Königreich vor sich gehe. „Ich persönlich fühle mich betrogen“.

Callamard kritisierte, die internationale Reaktion auf den Mord an Khashoggi sei zu verhalten gewesen, auch wenn einige Staaten Sanktionen verhängt hätten. „Diese müssen fortgesetzt werden. Sie sind wichtig, aber unzureichend“, erklärte Callamard. „Diese Sanktionen gegen 17 Personen vernebeln die Tatsache, dass der Staat verantwortlich ist.“

Nach Einschätzung Callamards ist es nicht glaubhaft, dass die Entsendung des saudischen Mordkommandos ohne das Wissen des saudischen Kronprinzen erfolgt sein könnte. Er habe allgemein die Verfolgung von Dissidenten zugelassen. „Der Kronprinz hat bewusst das Risiko in Kauf genommen, dass Verbrechen begangen werden, wie etwa die Tötung von Herrn Khashoggi - unabhängig davon, ob er dieses Verbrechen direkt angeordnet hat oder nicht“, schrieb sie. Außerdem hätte die Zerstörung der Beweismittel nach dem Mord im Konsulat in Istanbul nicht ohne sein Wissen stattfinden können.

„Die Sonderberichterstatterin ist zu dem Schluss gekommen, dass es glaubhafte Hinweise gibt, die weitere Untersuchungen zur individuellen Verantwortung ranghoher saudischer Vertreter, einschließlich des Kronprinzen, rechtfertigen“, schrieb Callamard.

Es sei viel darüber spekuliert worden, ob Kronprinz Mohammed bin Salman persönlich den Auftrag zur Ermordung Khashoggis gegeben habe, schrieb Callamard. Diese Konzentration auf einen möglichen Befehl und die Suche nach einem „rauchenden Colt“ wecke Erwartungen, die womöglich nicht erfüllt werden könnten. Aber um Verantwortliche wegen Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen, sei es mindestens genauso wichtig, diejenigen zu identifizieren, die ihren Einfluss und ihre Macht ausgenutzt hätten, oder die nicht so sorgfältig gehandelt hätten wie es ihr Amt verlange.

Khashoggi-Mord: UN sieht Hinweise auf Saudi-Kronprinz

Nach Einschätzung der UN-Menschenrechtsexpertin Callamard ist es nicht glaubhaft, dass die Entsendung des saudischen Mordkommandos ohne das Wissen von Kronprinz Mohammed bin Salman erfolgt sein könnte. Foto: SPA