„Kinderpornografie bereitet mir große Sorge“

Kripo-Chef berichtet von steigenden Fallzahlen und immer größeren Datenmengen – Immenser Ermittlungsaufwand

„Kinderpornografie bereitet mir große Sorge“

Die Polizei berichtet von steigenden Fallzahlen im Bereich der Kinderpornografie. Hinweise auf mutmaßliche Täter kommen häufig übers Ausland. Symbolfoto: stock adobe

Von Lorena Greppo

BACKNANG/AALEN. Es gibt Aufgaben, da brauchen selbst die ausführenden Polizeibeamten Betreuung. Die Sichtung von kinderpornografischem Material gehört dazu. Im Polizeipräsidium (PP) Aalen sind zweieinhalb Stellen allein hierfür vorgesehen. Die entsprechenden Mitarbeiter machen den ganzen Tag über nichts anderes. „Wir machen pflichtmäßig Supervisionen, bieten Betreuungsmaßnahmen und sind im engen Gespräch mit ihnen“, erklärt Reiner Möller, Leiter der Kriminalpolizei Waiblingen. Regelmäßig würden die Mitarbeiter aber auch abgewechselt, führt Polizeipräsident Roland Eisele aus. Denn die psychische Belastung ist enorm. Und der Arbeitsaufwand für die Beamten wird nicht weniger.

„Das Thema Kinderpornografie bereitet mir große Sorge“, sagt Möller. Das hat mehrere Gründe. „Die Fallzahlen steigen“, benennt der Kripo-Chef einen davon. Die Fallzahlen beim Verbreiten pornografischer Schriften lagen 2018 bei 108 Fällen, 2017 waren es 79 Fälle. Darunter waren es 70 ermittelte Fälle der Verbreitung, des Erwerbs, Besitzes und/oder der Herstellung von Kinderpornografie (2017: 50). Er prognostiziere, dass die Fallzahlen in den kommenden Jahren auch weiter linear noch oben gehen werden. Aber auch die Fülle an Material stellt die Polizei vor große Herausforderungen. „Die Verfügbarkeit im Darknet ist hoch“, sagt Möller. Folglich ist auch das Material, das pro Verfahren gesichtet werden muss, deutlich mehr geworden. „Früher hatten Sie einen Rechner mit einer 128-Megabyte-Festplatte, heute braucht man das gar nicht mehr erwähnen“, führt der Kripo-Chef aus. Allein schon auf dem Handy habe man ein Vielfaches an Speicherplatz zur Verfügung.

Mit welchem Umfang an Material die Polizei zu tun hat, legten Möller und Eisele denn auch vor. Der aktuelle Stand der Ermittlungen für 2018 im Bereich Kinderpornografie seien 17 Verfahren, die insgesamt 11,6 Millionen Bilder und 184000 Videos umfassen. Das derzeitige Rekordverfahren beinhalte vier Millionen Bilder, und über 28000 Videos. Mit der Auswertung des Materials allein in diesem Fall sei ein Sachbearbeiter über ein Jahr beschäftigt. „Das zeigt, welcher Aufwand, der später nur mit einem Strich in die Kriminalstatistik einfließt, dem zugrunde liegt“, erklärt Möller.

Alle Bilder und Videos müssen angeschaut werden

Auf die Frage einer Journalistin, ob bei dem Rekordfall des Präsidiums das Ausmaß vergleichbar mit dem Fall in Lügde sei, verneinte Reiner Möller aber. In der Stadt in Nordrhein-Westfalen sei schließlich massenhafter Kindesmissbrauch aufgedeckt worden. „Es ist generell schlimm“, weiß Möller. Aber es sei ein Unterschied, ob jemand die Tat selbst begangen und gefilmt hat oder ob eine Person sich das Material über das Internet heruntergeladen hat. Dass die Fälle Parallelen aufweisen, sei bis dato – soweit das Beweismaterial im hiesigen Fall ausgewertet wurde – nicht erkennbar. Allerdings seien noch nicht alle Bilder und Videos durchgesehen worden.

Zwar könne eine Software bekannte Bilder herausfiltern, die die Beamten dann nicht mehr sichten müssen. „Alle anderen müssen angeschaut werden – und zwar von Anfang bis Ende. Auch alle Videos müssen komplett durchgeschaut werden.“ Dabei geht es gar nicht so sehr um das spätere Strafmaß für den Täter. „In der Strafzumessung spielt das nachher keine Rolle, ob jemand 100 eingestufte Bilder oder 3000 hat“, so der Kripo-Chef. Unter rein wirtschaftlichem Gesichtspunkt könne man sich also die Frage gefallen lassen, warum die Beamten nach 100 erkannten Bildern nicht aufhören. „Es könnte auf dem 2000. oder 3000. Bild aber jemand drauf sein, den man zuordnen kann. Und dann würde dieser Missbrauchsfall gar nicht aufgeklärt werden.“ Die Täter könnten auf den Videos meist nicht identifiziert werden, sie achten sehr darauf, dass man sie nicht erkennt. Manchmal aber könne man das Opfer erkennen oder andere Dinge, die als Hinweise wertvoll sind.

Werden Opfer auf Videos erkannt, wird der Fall an das Bundeskriminalamt übergeben, erklärt Möller. Die BKA-Experten könnten auch, wenn markante Hintergründe, Kleidungen, Spielzeuge oder Ähnliches zu sehen sind, versuchen, diese zuzuordnen. „Es ist ein extrem belastender Job, psychisch und auch von den Mengen her“, weiß der Kripo-Leiter. Und die Belastung nehme extrem zu. Anfang des Jahres, so Möller, seien es im Zuständigkeitsbereich des PP Aalen noch 65 offene Verfahren gewesen. Bereits Ende Februar sei man schon bei 100 angekommen. „Die Rate des Anstiegs ist momentan extrem.“ Diese Entwicklung sei landesweit festzustellen.

Hinweise auf die Täter kommen oftmals aus dem Ausland

Wie aber werden die Täter ermittelt? Im Regelfall kämen die Daten zu den mutmaßlichen Tätern übers Ausland, „weil kanadische und US-Behörden andere Möglichkeiten haben“, erklärt Möller. Diese Hinweise werden vom BKA an die Länder weitergegeben. Und erst dann könnten entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden. „Das heißt für uns, zu recherchieren, wer diese Person überhaupt ist. Dann wird ein Durchsuchungsbeschluss beantragt. Dann müssen die Daten erst mal technisch aufbereitet werden, das dauert eine ganze Weile. Und dann müssen sie angeschaut werden.“ Bei manchen Verfahren sei der bearbeitende Kollege ein oder gar anderthalb Jahre damit beschäftigt, die ganzen Daten durchzusehen. „Erst daran schließen sich wiederum weitere Maßnahmen an.“ Diese vielen, teilweise langwierigen Schritte seien der Grund, warum Delikte manchmal länger anhängig sind, was wiederum für Außenstehende schwer zu verstehen sei. „Warum sind die da nicht sofort hingegangen“, werde oft gefragt. „Wenn ich aber das fragliche Video erst nach 26000 anderen finde, dann dauert das halt“, macht Reiner Möller klar. „Das geht nicht schneller. Wir können das auch nicht automatisieren.“