Kirchberger Gemeinderat lahmgelegt

Landratsamt weitet neue Wasserschutzzone auf 80 Prozent des Ortes aus und erklärt alle Räte als Grundstücksbesitzer für befangen

Kirchberger Gemeinderat lahmgelegt

Von Matthias Nothstein

KIRCHBERG AN DER MURR. Kuriose Premiere im Kirchberger Gemeinderat. Erstmals konnte zu einem Thema kein Beschluss gefasst werden, weil sich das gesamte Gremium bis auf drei Räte für befangen erklärte. Und genaugenommen wäre auch dieses Trio befangen gewesen.

Strittiger Punkt war die Neuabgrenzung des Wasserschutzgebietes für den Tiefbrunnen Lerchenberg, Top 2 der Tagesordnung am Donnerstagabend. Bürgermeister Frank Hornek gab bereits vor der Eröffnung der Sitzung eine Erklärung ab und prognostizierte genau den beschrieben Ausgang. Er erläuterte, dass alle Gemeinderäte, die in den Wasserschutzzonen I und II Eigentum besitzen oder nahe Angehörige haben, die solches besitzen, befangen sind. Schließlich würde die Ausweitung der Schutzzone einen „zumindest spürbaren Eingriff ins Eigentum“ darstellen.

Im Laufe der vergangenen Tage habe sich laut Bürgermeister Hornek jedoch herauskristallisiert, dass die zuständigen Vertreter des Landratsamts der Auffassung sind, dass auch solche Räte als befangen gelten, die Eigentum in der erstmals ausgewiesenen Schutzzone III haben. Hornek: „Und das sind nicht nur einige Gemeinderäte, das sind auch nicht viele, Nein, das sind alle, einschließlich meiner Person als Bürgermeister.“

Hornek äußerte Zweifel an der Rechtsauffassung des Landratsamtes, obwohl diese vom Regierungspräsidium mitgetragen wird. Da in Kirchberg nicht ein kleiner Teil der Gemarkung oder der bebauten Ortslage durch das Wasserschutzgebiet betroffen ist, sondern etwa 80 Prozent der Ortslage, würde dies laut Hornek unweigerlich zu einer umfassenden Befangenheit führen. Er sah im Gegensatz zu den Behörden Parallelen zu der Festsetzung von Steuern und Gebühren. Dort sei man als einzelner Gemeinderat und als Gremium insgesamt zwar betroffen, aber nicht befangen.

In seiner Stellungnahme sagte Hornek ferner, er habe den zuständigen Mitarbeiter des Landratsamtes, der in der Sitzung referieren wollte, „heute um die Mittagszeit ausgeladen“, da er nicht davon ausgehe, dass das Thema wie geplant diskutiert werden könne. „Ich werde nachher Punkt 2 der Tagesordnung aufrufen und mich für befangen erklären. Es könnte sein, dass dies alle Gemeinderäte tun. Dann müssen wir einmal sehen, wie es weitergeht. Ich müsste dann in den nächsten Tagen das Landratsamt informieren. Das Amt hingegen müsste einen Beauftragten benennen, der für uns als Gemeinde die Stellungnahme ans Landratsamt abgibt.“ Hornek erwarte von diesem Beauftragten, dass er eine große, öffentliche Infoveranstaltung organisiert, in der die Inhalte und Auswirkungen der Neuabgrenzung vorstellt werden.

Kurz danach war es soweit. Hornek rief Punkt zwei der Tagesordnung auf, erhob sich und nahm in den Zuschauerreihen Platz. Und ihm folgte das gesamte Gremium bis auf Christoph Berroth, Erich Drexler und Martin Wolf. Berroth nahm in seiner Funktion als zweiter stellvertretender Bürgermeister Platz auf dem Chefsessel und erklärte frank und frei: „Ich habe zwar auch Eigentum in dem Gebiet, aber ich sehe es nicht ein, dass ich mich ausschalten lasse. Es ist für mich kein rechtsstaatliches Vorgehen, ein Schutzgebiet über den gesamten Ort auszubreiten.“ Auch die Konsequenz, dass die Stellungnahme der Gemeinde von einem Fremden erstellt werden muss, ärgerte Berroth. Er hätte sich gefreut, wenn noch ein vierter Rat sich für nicht befangen erklärt hätte, dann wäre seiner Ansicht nach eine Beratung des Punktes möglich gewesen. So aber sagten Drexler und Wolf nur kurz, sie fühlten sich trotz Wohneigentums nicht befangen. Dann war das Thema beendet. Vorerst.

Info
Bestellung eines Beauftragten

Die Bestellung eines Beauftragten ist die „Ultima Ratio“, die das Gesetz im Paragraf 37 Absatz 4 der Gemeindeordnung vorsieht. Sie tritt dann ein, wenn der gesamte Gemeinderat samt Bürgermeister befangen ist und somit niemand mehr da ist, der die Gemeinde nach außen vertreten kann.

Peter Zaar, Erster Landesbeamter im Landratsamt Rems-Murr, bezeichnet es als sehr selten, dass diese Regelung nötig ist, „im Rems-Murr-Kreis wäre dies das erste Mal“. Zaar erklärt jedoch weiter: „Dass es eine solche Regelung gibt, heißt aber auch, dass solche Situationen möglich sind.“

Bürgermeister Frank Hornek konnte ebenso wie Peter Zaar nichts genaueres zum weiteren Prozedere sagen. Hornek: „Die können Hinz und Kunz schicken, das kann auch ein Mitarbeiter vom Landratsamt sein.“ Dies jedoch würde Hornek nicht gut heißen. Es könne nicht sein, dass ein Mitarbeiter des Landratsamtes die Stellungnahme einer Gemeinde gegenüber dem Landratsamt erstellt.

Bislang gab es in Kirchberg nur die Wasserschutzzonen I und II. Zone I umfasst nur eine kleine Fläche rund um den Tiefbrunnen, sie bleibt unverändert. Zone II wird deutlich ausgeweitet, künftig fallen auch etwa zwei Dutzend Gebäude im Bereich Garten- und August-Lämmle-Straße in diesen Bereich. Die Zone III wird erstmals ausgewiesen und umfasst 80 Prozent des Ortes.

In den Schutzgebieten gelten unter anderem erhöhte Anforderungen an die Abwasserleitungen. In Zone II müssen sie doppelwandig sein, jährlich mit Kameras befahren und fünfjährlich unter Druck geprüft werden. In der Zone III können die Leitungen auch einwandig sein, müssen aber fünfjährlich einer Druckprüfung unterzogen werden. Es besteht Bestandsschutz.