Klares Bekenntnis von Backnang gegen Rechtsextremismus

Etwa 600 Bürger demonstrieren am Samstag in der Backnanger Innenstadt gegen Rechtsextremismus und für Menschenrechte. Alle Redner beschwören bei der Veranstaltung das Miteinander und warnen davor, sich bei Angriffen auf die Demokratie als Gesellschaft wegzuducken.

Von Matthias Nothstein

Klares Bekenntnis von Backnang gegen Rechtsextremismus

Dicht gedrängt verfolgen die ungefähr 600 Demonstranten die Reden auf dem Marktplatz. Foto: Tobias Sellmaier

Von Matthias Nothstein

Backnang. Es will schon etwas heißen, wenn sich Parteien und Organisationen, die von Haus aus nicht immer einen gemeinsamen politischen Weg gehen, zusammenfinden, um gemeinsam zu demonstrieren. Am Samstag haben sie es auf dem Backnanger Marktplatz getan. Robert Antretter, einstiger Backnanger Bundestagsabgeordneter, weiß auch, warum es zu dieser großen Allianz gekommen ist: „Die Bürger erkennen: Wenn die Demokratie in Gefahr ist, kommt es auf Zusammenhalt über Trennendes hinweg an.“ Und auch Backnangs Oberbürgermeister Maximilian Friedrich kommt trotz des bedenklichen Anlasses fast ins Schwärmen und verkündet: „Von diesem Podium aus betrachtet eröffnet sich ein wunderbarer Anblick. Ein breites Spektrum von Vertretern aus der Mitte der Gesellschaft hat zu dieser Kundgebung eingeladen und ich bin erfreut zu sehen, dass so viele gekommen sind.“

Durchfahrt wird spontan gesperrt

Die Veranstalter hatten mit 500 Teilnehmern gerechnet, es mögen etwas mehr gewesen sein. Immerhin so viele, dass die Polizei die Marktstraße für die Durchfahrt spontan sperren ließ. OB Friedrich, erster Redner der Kundgebung, sagte bei der Begrüßung: „Ihre Anwesenheit verdeutlicht unser gemeinsames Ziel, ein klares Bekenntnis zur Demokratie abzugeben. Wir sind nicht isoliert in dieser Überzeugung; vielmehr schließen wir uns zahlreichen anderen Menschen im gesamten Land an. In ganz Deutschland strömen Hunderttausende Menschen auf die Straßen, weil die Menschen instinktiv spüren, dass die fundamentalen Säulen unserer Gesellschaft bedroht sind.“ Diese Säulen umfassen die Wahrung der Menschenwürde, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und den Sozialstaat. Diese Bedrohung geht besonders vom Extremismus aus, der eine zentrale Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Und dabei spielt es laut Friedrich zunächst keine Rolle, ob diese Bedrohung von links oder rechts kommt oder ob sie religiös motiviert ist. Friedrich: „Unser einheitliches, klares Statement lautet: Wir verteidigen unseren Staat, seine Institutionen und uns selbst.“

Das Bekenntnis zur Demokratie ist wichtiger als das Gebot zur Neutralität

Welche Bedeutung die Demonstration für ihn persönlich hat, betonte Friedrich mit einem Verweis auf das strenge Neutralitätsgebot, dem Amtsträger eigentlich unterliegen: „Das Gebot der Neutralität fordert von Amtsträgern, im politischen Meinungskampf neutral zu bleiben. Und trotzdem ist es so wichtig, dass sich noch mehr Menschen für unsere Demokratie aktiv einsetzen. Ich beteilige mich deshalb heute zum ersten Mal in meinem Leben an einer Kundgebung und ich vermute, dass das bei vielen von Ihnen der Fall ist.“

Beifall brandete auf, als das Stadtoberhaupt erklärte: „Gemeinsam setzen wir heute ein deutliches Statement: Nie wieder! Nie wieder dürfen wir dulden, dass Hass, Intoleranz und jeglicher Extremismus in unserer Gesellschaft Fuß fassen. Wir sind hier, um uns für Demokratie, für Toleranz und für Mitmenschlichkeit starkzumachen.“

OB Friedrich: „Wir sind definitiv mehr“

Friedrich appellierte an die Zivilgesellschaft: „Wir können nicht untätig bleiben. Wir dürfen uns nicht wegducken. Es kommt auf uns alle an. Es ist an uns, jeglichen Extremismus im Alltag zu bekämpfen. Sei es in Vereinen, in Verbänden, Organisationen, Gewerkschaften, Betriebs- und Personalräten oder auch in Gesprächen mit Nachbarn, Freunden oder am Stammtisch. Denn wir sind stark. Und wir sind definitiv mehr.“

Wie sehr der junge Oberbürgermeister – er wurde an diesem Tag 37 Jahre alt – dem SPD-Urgestein Robert Antretter – dieser feierte eben seinen 85. Geburtstag – aus dem Herzen sprach, wurde schnell deutlich. Antretter sagte, er habe noch nie in seiner langen Laufbahn so viel seiner Rede streichen müssen, weil es der Vorredner bereits gesagt habe. Umso mehr ließ er die Weisheit des Alters und der (Nach-)Kriegserfahrung zum Tragen kommen und übte Selbstkritik. Er berichtete von einer Lehrerin. Dieser habe er geklagt, es würden sich nur wenig junge Menschen in die Politik einbringen. Er habe die Sorge, dass die Ausgestaltung der Demokratie in die Hände der Falschen gerate, wenn die Jugend die Notwendigkeit der Mitwirkung nicht erkennen würde. Die Lehrerin sagte zu Antretter: „Die Politiker Ihrer und späterer Generationen haben dies zu verantworten. Denn die heutige Generation muss zum Beispiel in der Klimapolitik ausbaden, was die Alten versäumt haben.“

Erfahrungsbericht einer Betroffenen

Sehr lebendig vermittelte Ingrid-Matano Kress ihre Probleme als Schwarze in Deutschland, obwohl sie 1993 in Weinstadt geboren wurde, hier in den Kindergarten, zur Schule und zur Uni gegangen ist und nun arbeitet und sich seit Jahren ehrenamtlich engagiert. Trotzdem macht sie im Alltag Erfahrungen, bei denen sie sich fragt: „Ab wann gehört man dazu?“ So listete sie auf: „Wie soll ich mich zugehörig fühlen, wenn ich regelmäßig gefragt werde, woher ich komme, wenn ich regelmäßig auf Englisch oder Französisch angesprochen werde, weil man mir offensichtlich nicht zutraut, dass ich der deutschen Sprache mächtig bin, wenn Personen ihre Taschen näher zu sich ziehen und mit ängstlichem Blick fest umklammern, wenn ich mich im Bus zu ihnen setze.“ Kress erklärte: „Rassistische Menschen bilden nicht den Rahmen zu entscheiden, ob Menschen mit Migrationshintergrund oder von anderen Minderheiten dazugehören oder nicht. Wenn wir hier leben, obgleich in der dritten Generation, in der ersten oder erst seit Kurzem, uns einbringen und das Grundgesetz achten, gehören wir dazu. Wir. Gehören. Dazu. Wir lassen uns nicht spalten.“

Kress erzählte, wie sie zu ihrem Vornamen kam. Demnach war ihr Vater 1989 in der DDR tagtäglich Rassismus ausgesetzt. In dieser dunklen Zeit war eine ältere Frau sein Lichtblick. Sie half ihm, die deutsche Sprache zu erlernen, einen Job zu finden, sich heimisch zu fühlen. Aus tiefer Dankbarkeit heraus nannte er sein drittes Kind nach dieser älteren Frau Ingrid. „Dieses Kind bin ich. Papa, Danke fürs Mutmachen und für den tollen Namen. Er erinnert mich, einander immer die Hand zu reichen.“

Tamara Götz verwies als Vertreterin der christlichen Kirchen auf Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Zwar ließe sich in der Bibel das Wort Demokratie nicht finden, aber aus dem Menschenbild und dem, was Jesus gelebt und gelehrt habe, ergebe sich unmissverständlich der Auftrag, sich für Gerechtigkeit und Menschenrechte einzusetzen. „An dem, wie wir Menschen unterstützen, wie wir mit Minderheiten, Ausgegrenzten, Geflüchteten oder Schutzsuchenden umgehen, wie wir mit Menschen anderer Glaubens- oder Religionszugehörigkeit oder divers sexuell Orientierten sprechen und über sie sprechen, zeigt sich demokratisches und daran zeigt sich auch christliches Handeln.“ Und Götz forderte: „Jeder kann dafür etwas tun. Schon im Kleinen. Den Anfängen wehren, das ist wichtig.“

Breites Bündnis

Veranstalter Zur Teilnahme an der Kundgebung haben aufgerufen: Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, Ak Asyl, Arbeiterwohlfahrt, Backnanger Demokraten, Bündnis 90/Grüne OV Backnanger Bucht, Club Junges Europa, Christliche Initiative, CDU Stadtverband, Linke OV und Kreisvorstand, evangelische Stiftskirchengemeinde, FDP OV Backnanger Bucht, GEW OV Backnang, Karnevals-Club, katholische Kirchengemeinde St. Johannes, Kreisjugendring, Lebenshilfe Rems-Murr, Naturfreunde Ortsgruppe, SPD-Ortsverein, Stamm St. Georg Backnang Christliche Pfadfinder, TSG Backnang.