Kleine Kommunen wie Spiegelberg werden es schwer haben

Fachkräftemangel, überbordende Bürokratie, Aufgabenvielfalt und fehlende Finanzausstattung: Damit kämpft fast jede Gemeinde unabhängig von ihrer Größe. Aber die Kleinsten – zum Beispiel Spiegelberg – trifft es besonders. Die Zukunftsfähigkeit hängt stark vom Bürgermeister ab.

Kleine Kommunen wie Spiegelberg werden es schwer haben

Kommunen wie Spiegelberg mit einer geringen Einwohnerzahl und einer großen Markungsfläche sind mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Ihre Zukunftsfähigkeit hängt in besonderem Ausmaß von der starken Stellung des Bürgermeisters ab und von den Rahmenbedingungen, die der Staat für sie schafft. Foto: Achim Nied

Von Nicola Scharpf

Spiegelberg. Es gab schon Tage, da war Uwe Bossert als Einziger im Spiegelberger Rathaus. Urlaubsabwesenheiten, Krankenstand und schwups ist das ohnehin überschaubar kleine Verwaltungsteam so stark dezimiert, dass der Bürgermeister allein die Stellung hält. Personalunion. Das ist der 58-Jährige, der im November sein Amt an der Spitze der Spiegelberger Verwaltung nach 23 Jahren niederlegt, gewöhnt: „Ich mache den Hochbau selber, ich mache den Tiefbau selber. Die meisten Außentermine mache ich selber.“ Und: „Beim Beschwerdemanagement landet vieles beim Bürgermeister.“ Und: „Um den Klimaschutz kümmere ich mich.“ Und: „Im Haus habe ich nicht so die Möglichkeit, etwas abzugeben. Erst ab 4000 Einwohnern aufwärts ist die Verwaltungsstruktur anders, sodass man mehr delegieren kann.“ Und: „Du solltest im Rathaus sein, aber du solltest auch bürgernah und draußen sein. Schließlich gehört der Bürgermeister zum Vereinsfest dazu.“ Es sind zwar nur ein paar Aussagen darüber, was das Amt des Verwaltungschefs in einer Gemeinde wie Spiegelberg ausmacht, in der nur etwa 2100 Einwohner leben, die Fläche mit 28 Quadratkilometern dafür umso größer ist und Autofahrten vom einen Gemeindeende zum anderen mehr als 15 Minuten dauern. Doch es wird ersichtlich: Wer Spagat kann, ist klar im Vorteil.

Mit den Themen, mit denen sich fast alle Städte und Gemeinden unabhängig von ihrer Größe beschäftigen, wie zum Beispiel dem Fachkräftemangel in der öffentlichen Verwaltung, einer überbordenden Bürokratie, einer Vielfalt an Aufgaben und der fehlenden finanziellen Ausstattung zur Bewältigung dieser Aufgaben, haben kleine Gemeinden besonders zu kämpfen. Bossert spricht deutliche Worte, dass die Grenze des Leistbaren erreicht ist: „So wie es momentan läuft, ist es nicht mehr abwickelbar. Alles wird auf die Basis heruntergebrochen.“ Als aktuelles Beispiel nennt er die Flüchtlingsunterbringung, wo die Gelder, die die Kommunen von Bund oder Land bekommen, die Investitionen vor Ort bei Weitem nicht abdecken. Er spricht Abrechnungen von Maßnahmen an, die zum Drama geraten, weil ein Wust an Dokumentationspflichten, Verordnungen, immer strenger werdenden gesetzlichen Vorgaben berücksichtigt werden muss. Außerdem ist abzusehen, dass auch in Zukunft große Aufgaben zu bewältigen sein werden – die Energiewende, die Sicherung der Energieversorgung, ein verbesserter Katastrophen- und Zivilschutz oder auch die Umsetzung des beschlossenen Rechtsanspruchs auf Ganztagesbetreuung für Kinder im Grundschulalter. Bossert prognostiziert: „Du musst das ja alles leisten. Die kleinen Gemeinden werden es zukünftig noch schwerer haben.“

Der Faktor Fachkraft wird ein erheblich limitierender Faktor sein

Beim Gemeindetag Baden-Württemberg ist man der Auffassung, dass die Zukunftsfähigkeit einer Kommune nicht in erster Linie von deren Einwohnerzahl oder Gemarkungsgröße abhängt. Vielmehr gehe es im Grundsatz darum, ob die den Kommunen übertragenen Aufgaben mit den verfügbaren finanziellen und personellen Ressourcen sowie den rechtlichen Rahmenbedingungen verlässlich erfüllbar seien. Der Faktor Fachkraft werde in den nächsten Jahren ein erheblich limitierender Faktor sein. Von daher sei die Frage, wie kleine Kommunen in Zukunft komplexe Verflechtungen noch beherrschen können, die falsche: „Es muss die Frage gestellt werden, wie der Rahmen so gesetzt werden kann, dass dies möglich ist. Letztlich geht es um die Frage, ob wir es uns als Staat leisten wollen, durch eine zwischenzeitlich eingetretene Überregulierung und kaum mehr zu bewältigende Komplexität bestehende Strukturen infrage zu stellen“, sagt ein Sprecher.

Bis es allerdings so weit ist, dass sich Strukturen ändern, braucht es vor Ort praktikable Lösungen, um Daseinsfürsorge leisten und Infrastruktur erhalten zu können. „Es muss sicherlich Kooperationen geben“, spricht Uwe Bossert die Bedeutung guter nachbarschaftlicher Beziehungen als wichtigen Eckpfeiler der kommunalen Aufgabenerfüllung an. So wie Spiegelberg mit mehreren Nachbargemeinden interkommunal und kreisübergreifend den Breitbandausbau bewerkstelligt hat, könnte auch eine interkommunale Wärmeplanung zum Thema oder bei der Abwasserbeseitigung eine gemeindeübergreifende Lösung angestrebt werden. „Was man weiterentwickeln muss, ist auch die interkommunale Zusammenarbeit in der Verwaltung.“ Bossert umreißt ein Konstrukt ähnlich dem der Samtgemeinden in Niedersachsen, bei dem beispielsweise die Rathäuser von Großerlach, Sulzbach an der Murr und Murrhardt kooperieren könnten. Für Passangelegenheiten könnte dann das Rathaus der einen Gemeinde, für standesamtliche Dinge die Verwaltung der anderen Kommune zuständig sein. In einer zunehmenden Digitalisierung von Verwaltungsabläufen oder im Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Verwaltung sieht Bossert nicht unbedingt eine Lösung gegen den Fachkräftemangel in den Rathäusern. „Es ist nicht so, dass die Digitalisierung alles einfacher macht. Es wird trotz weiterer Digitalisierung Fachkräfte vor Ort brauchen. Und wie viel Personal betreut im Spiegelberger Rathaus die IT? Es ist eine Kraft und da nur ein Teilbereich.“

Gesetzgebung und Verwaltungsvorschriften werden immer komplexer

Stärker als in größeren Gemeinden ist die Zukunftsfähigkeit von kleinen Kommunen „maßgeblich vom aktiven Einsatz der Entscheidungsträger und deren Bereitschaft zum Erhalt der kommunalen Infrastruktur abhängig“, sagt Martin Aßmuth. Der 42-Jährige ist seit 2018 Bürgermeister der Schwarzwaldgemeinde Hofstetten mit unter 2000 Einwohnern und Mitglied im Bundesvorstand des „Netzwerks junge Bürgermeister*innen“, das sich als parteienunabhängige Plattform für den Austausch von Ideen und Konzepten unter jungen Amtskollegen versteht. „Richtig ist, dass über Bund und Land Gesetzgebung und Verwaltungsvorschriften immer komplexer werden, insbesondere für Fördermaßnahmen. Gerade in kleinen Kommunen ist es deshalb unerlässlich, dass der Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin das Amt auch als Berufung versteht, aktiv in der Verwaltung mitzuarbeiten, und die Bereitschaft mitbringt, tief in komplexe Verwaltungsprozesse einzutauchen. Das ist sicher ein wesentlicher Unterschied zu Gemeinden und Städten größer 5000 Einwohnern.“ Mit einem klaren Nein beantwortet Uwe Bossert die Frage, ob ein Quereinsteiger ohne Verwaltungsausbildung das Amt des Bürgermeisters adäquat ausüben kann. „Insbesondere in einer kleinen Gemeinde sollte man Verwaltungskenntnisse oder Verwaltungserfahrung haben. Damit steuert man die Prozesse.“

Bosserts größter Wunsch für Spiegelberg ist, dass die in Bezug auf die Einwohnerzahl kleinste Gemeinde im Rems-Murr-Kreis bei der Bürgermeisterwahl am 24. September einen starken Nachfolger an der Verwaltungsspitze bekommt. Denn trotz der besonderen Herausforderungen, die kleine Gemeinden bewältigen müssen, bringt es Vorteile, Bürgermeister einer solchen zu sein. Martin Aßmuth listet auf: „Erhalt und Ausbau gemeindlicher Strukturen unter Wahrung historischer und dörflicher Besonderheiten, kurze und schnelle Entscheidungswege im Gemeinderat, jederzeit greifbare persönliche Ansprechpartner zur Lösung von Problemen.“ Für ihn ist „das Amt eine wunderbare Aufgabe. Und wenn man die Einstellung mitbringt, jeden Tag die Welt ein kleines bisschen in seinem direkten Umfeld besser machen zu wollen, so ist das auch sehr erfüllend.“

Kleine Kommunen wie Spiegelberg werden es schwer haben