Kliniken bei Intensiv-Betten am Limit: Cluster sollen helfen

dpa/lsw Sindelfingen. Manche Kliniken haben wenige Covid-Intensiv-Patienten, andere können sich kaum retten. Diese Schieflage soll ein Clusterkonzept beseitigen. Die ersten Krankenhäuser machen Erfahrungen damit.

Kliniken bei Intensiv-Betten am Limit: Cluster sollen helfen

Ein Zimmer auf einer Intensiv-Station. Foto: Britta Pedersen/dpa/Archivbild

Was tun Kliniken, wenn die Zahl der Intensivbetten für Covid-19-Patienten zur Neige geht? Vor dieser Frage stand kürzlich etwa der Klinikverbund Südwest, dessen Kapazitäten für die Intensiv-Versorgung zweier Covid-Patienten nicht mehr ausreichten. Der Verbund aus sechs Häusern nutzte als eines der ersten Krankenhäuser im Land das sogenannte Clusterkonzept und fand Hilfe beim Klinikum Karlsruhe.

Diese auch von anderen Bundesländern mit Interesse beobachtete Strategie legt sechs Versorgungsgebiete im Südwesten fest - Stuttgart/Ludwigsburg, Karlsruhe und die Regionen um die Unikliniken in Tübingen, Freiburg, Ulm und Heidelberg. „Das hat gut funktioniert und uns sehr geholfen“, sagt Ingo Matheus, Sprecher des Klinikverbundes mit Sitz in Sindelfingen. Die beiden Corona-Patienten seien Anfang Dezember aus Nagold und Calw per Hubschrauber in die badische Metropole gebracht worden. Das für den mittleren Oberrhein und Nordbaden zuständige Karlsruher Klinikum hat insgesamt vier auswärtige Patienten aufgenommen und hatte zumindest vergangene Woche kein Intensivbett mehr frei.

Patienten wurden auch von Esslingen nach Schwäbisch Hall, von Sindelfingen nach Stuttgart und von Ostfildern nach Ludwigsburg verlegt, weiß Götz Geldner, Anästhesist der Ludwigsburger RKH-Kliniken und Koordinator für alle Versorgungsgebiete.

Das Betten-Management basiert nach seinen Worten auf einem EDV-Tool, dem Ressource Board, in das jedes der teilnehmenden 120 Krankenhäuser im Südwesten bis 9 Uhr morgens die Zahl der belegten und freien Betten auf der Normal- und der Intensivstation eingibt. „Wir wollen eine ausgewogene Verteilung erreichen, bei der etwa 50 Prozent der Kapazitäten eines Hauses für die Notfallversorgung, 25 Prozent für nicht verschiebbare Eingriffe und weitere 25 Prozent für Covid-Patienten zur Verfügung stehen“, erläutert Geldner. Auch in den RKH-Kliniken ist die Lage sehr angespannt: Im Ludwigsburger Haus konnten bis vor kurzem nur noch zwei Intensiv-Patienten aufgenommen werden, bevor das Limit von 61 Betten erreicht war.

In solchen Situationen sollen die Cluster Entlastung bringen. Der medizinische Geschäftsführer des Karlsruher Klinikums, Michael Geißler, gibt als Ziel eine flächendeckende, gleichmäßige Versorgungssicherheit für Covid- und Nicht-Covid Patienten an. Das Ressource Board bringt den Ärzten mehr Klarheit und Sicherheit. Die Zeiten, in denen sie als Bittsteller stundenlang am Telefon verbrachten, um Plätze für die Kranken zu finden, sind vorbei.

Das von Vertretern des Gesundheitswesens unter Federführung des Gesundheitsministeriums erarbeitete Konzept sieht in den Schwerpunktkrankenhäusern der sechs Versorgungsgebiete jeweils einen Leiter vor, der sich um Aufnahmen und Verlegungen zunächst im eigenen Cluster kümmert. Alle beteiligten Krankenhäuser nennen den jeweiligen Leitern einen Ansprechpartner.

Die Krankenhäuser seien sehr kooperativ, heißt es im Gesundheitsministerium unter Berufung auf die ersten Erfahrungen der regionalen Leiter. „Die Belegungssituation ist zwar insgesamt angespannt, auch weil in einzelnen Krankenhäusern sich Personal infiziert hat und entweder krank ist oder sich in Quarantäne befindet.“ Verlegungen in nennenswertem Umfang habe es aber noch nicht gegeben.

Etwa 440 von 2520 Intensivbetten im Südwesten sind laut dem Intensiv-Register der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI/Stand Sonntag) noch frei. Corona-Kranke belegen um die 530 Betten. Hinzu kommen 1472 Intensiv-Reservebetten, die innerhalb von sieben Tagen aufgestellt werden können. Engpässe entstehen vor allem durch Personalnot; während die Infektionszahlen steigen, sinkt die Zahl der einsatzbereiten Ärzte und Pfleger. So fielen im Klinikverbund Südwest 280 Mitarbeiter im Oktober und November infolge von Quarantäne und Covid-Erkrankungen aus. Hunderte von Schichten konnten nicht besetzt werden.

Indes beklagte die Corona Task Force von Deutscher Krebshilfe, Deutschem Krebsforschungszentrum (DKFZ) und Deutscher Krebsgesellschaft (DKG) Lücken in der Versorgung Krebskranker. „Immer mehr onkologische Eingriffe werden verschoben, diagnostische Untersuchungen und Nachsorge teilweise stark zurückgefahren“, kritisierte der Zusammenschluss. Zugleich appellierten die Fachleute an die Bevölkerung, unbedingt die Corona-Schutzmaßnahmen einzuhalten, damit sich die Zahl der Neuinfektionen schnell verringert. Ziel sei es, das Gesundheitssystem vor einem Kollaps zu bewahren.

Dieses leidet auch unter den unvorhersehbaren Verläufen der Covid-Erkrankungen. Sprecher Matheus vom Klinikverbund Südwest sagt: „Wir müssen auf Sicht fahren, fast stündlich schauen wir nach der Belegung der Intensivbetten und der Zahl von Covid-Patienten mit schweren Symptomen, die in absehbarer Zeit intensiv behandelt werden müssen.“ Das Tückische an Corona sei, dass sich der Zustand eines Patienten binnen weniger Stunden dramatisch verschlechtern kann und er rasch Beatmung oder die nur selten angebotene High-Tech-Therapie ECMO braucht. Der Überblick mittels des Ressource Boards hilft, den Patienten in solchen Notfällen schnell die adäquate Behandlung zukommen zu lassen.