Kommentar: Putins nächster Schachzug
Von Inna Hartwich
Es ist Konter der taktischen Art. Nachdem die Ukraine, Europa und die USA zusammen einen 30-tägigen Waffenstillstand in dem Krieg gefordert haben, mit dem Russland die Ukraine überzieht, kommt die Antwort aus dem Kreml. Eine Antwort, die an Zynismus kaum zu überbieten ist. „Es herrscht Krieg, wir bieten Frieden an“, sagt Wladimir Putin. Man sei zu direkten Gesprächen mit Kiew bereit, in Istanbul, noch in dieser Woche.
Der Vorschlag des russischen Präsidenten erinnert an das Vorgehen eines Mungos. Der Angriff dieses Raubtieres, wunderbar bei Rudyard Kipling, einem der Lieblingsautoren Putins beschrieben, funktioniert so: Der Mungo versucht, mit falschen Attacken die Schlange mürbe zu machen – und diese dann mit einem echten Angriff niederzustrecken. Putins Vorhaben ist es, seine Gegner mit immer wieder neuen Vorschlägen zu zermürben, um so weiter die eigenen Ziele zu verfolgen: die Ukraine zu unterwerfen. Letztlich führt Putin seine Hinhaltetaktik fort.
Der Istanbul-Vorschlag ist vor allem für Moskau bequem. Weder die Amerikaner noch die Europäer würden mit am Verhandlungstisch sitzen, die Ukraine müsste sich praktisch auf einen Frieden einlassen, der einer Kapitulation gleichkäme. Nun sagt der ukrainische Präsident Selenskyj, er erwarte Putin in Istanbul. Der russische Präsident wird nicht kommen – und dennoch weiterbehaupten, es sei die Ukraine, die den Friedensprozess untertreibe.