Rückschlag für Assange: Gericht lehnt Freilassung ab

Von Von Benedikt von Imhoff und Larissa Schwedes, dpa

dpa London. Erst vor kurzem hatte es neue Hoffnung für Julian Assange gegeben: Ein Londoner Gericht verweigerte seine Auslieferung an die USA. Nun hat dieselbe Richterin den Erwartungen des 49-Jährigen einen Dämpfer verpasst.

Rückschlag für Assange: Gericht lehnt Freilassung ab

Wikileaks-Gründer Julian Assange steht Anfang November 2020 vor dem Royal Courts of Justice in London. Der britische Strafgerichtshof hat den US-Auslieferungsantrag für Assange abgelehnt. Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa

Dem Jubel folgt für Julian Assange die Ernüchterung: Der Wikileaks-Gründer muss vorerst im Gefängnis bleiben.

Ein Londoner Gericht lehnte den Antrag der Verteidigung ab, den 49-Jährigen gegen Kaution oder unter Hausarrest aus dem Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh zu entlassen. Am Montag hatte dieselbe Richterin einen Auslieferungsantrag der USA gegen Assange abgelehnt.

Anhänger des gebürtigen Australiers reagierten entsetzt auf das neue Urteil. „Schande“, riefen sie vor dem Gerichtsgebäude. Assanges Partnerin Stella Moris zeigte sich tief enttäuscht. „Julian sollte überhaupt nicht in Belmarsh sein“, sagte sie Journalisten und forderte den künftigen US-Präsidenten Joe Biden auf, Assange zu begnadigen. Die Polizei versuchte, Menschentrauben vor dem Gericht aufzulösen. Sieben Menschen wurden wegen Verstößen gegen Corona-Regeln vorübergehend festgenommen, wie Scotland Yard mitteilte.

Richterin Vanessa Baraitser hatte die Ablehnung der Auslieferung mit dem psychischen Gesundheitszustand Assanges und den Haftbedingungen begründet, die ihn in den USA erwarten würden. Es sei damit zu rechnen, dass er sich in Isolationshaft das Leben nehmen werde. Nun sagte sie, Assange könne im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh gut behandelt werden. Außerdem bestehe die Gefahr, dass Assange wie in der Vergangenheit versuche, zu fliehen. Gegen beide Urteile kann noch Berufung eingelegt werden.

Assange sitzt seit 15 Monaten in Belmarsh im Südosten Londons in Haft, weil er 2012 mit seiner Flucht in die ecuadorianische Botschaft gegen Kautionsauflagen verstoßen hatte. Kritiker bemängeln die Zustände in dem Hochsicherheitsgefängnis stark. Anwalt Edward Fitzgerald wies vor Gericht darauf hin, dass es in Assanges Zellentrakt einen starken Corona-Ausbruch gegeben habe. Richterin Baraitser allerdings betonte unter Berufung auf aktuelle Zahlen der Gefängnisleitung, dass derzeit nur drei Gefangene infiziert seien.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) bezeichnete die Argumentation der Richterin als „völlig unverständlich“. „Offensichtlich ist man in London der Meinung, die britischen Gefängnisse seien nicht so schlimm wie die in den USA. Aber Isolationshaft ist überall furchtbar“, sagte der Vorsitzende Frank Überall.

Die US-Justiz wirft Assange vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning - damals Bradley Manning - geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Er habe damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht. Seinen Unterstützern gilt er hingegen als investigativer Journalist, der Kriegsverbrechen ans Licht gebracht hat.

Richterin Baraitser betonte mit Blick auf ihr erstes Urteil: „Aus Fairnessgründen muss es den USA gestattet sein, meine Entscheidung anzufechten, und wenn Herr Assange während dieses Prozesses flüchtet, verlieren sie die Gelegenheit dazu.“ Assange verfüge weiterhin über ein riesiges Netzwerk, auf das er sich stützen könne, falls er erneut untertauchen wolle, begründete sie ihre Entscheidung.

Die Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen kritisierte das Urteil scharf. Der Richterspruch sei „eine unnötig grausame Entscheidung“, twitterte die Londoner Vertreterin der Organisation, Rebecca Vincent, der nach eigenen Angaben der Zugang zum Gericht weitgehend verwehrt blieb. Bereits zuvor hatten Beobachter und Unterstützer immer wieder kritisiert, vom Prozess weitgehend ausgeschlossen zu bleiben. „Assange sollte nicht einen Moment länger ungerechtfertigterweise seiner Freiheit beraubt sein“, sagte Vincent.

Dennoch erwartet Reporter ohne Grenzen ein positives Ende des Verfahrens. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass eine Berufung der USA Erfolg haben wird“, sagte Vincent noch vor dem neuen Urteil der Deutschen Presse-Agentur. „Ich sehe nicht, welche neuen Argumente die Anwälte vor Gericht einbringen könnten.“ Auch sie hofft, dass der gewählte US-Präsident Biden nach seinem Amtsantritt die Strafverfolgung Assanges beilegen könnte. Biden soll am 20. Januar in den USA vereidigt werden und damit die Ära Donald Trumps beenden.

Anwalt Fitzgerald hatte auch aus familiären Gründen für eine Freilassung plädiert. „Es ist die erste Möglichkeit, mit seinen jungen Kindern zusammenzuleben“, hatte er gesagt. Assange hat mit seiner Partnerin zwei Kinder, die während seines fast siebenjährigen Aufenthalts in der ecuadorianischen Botschaft geboren wurden. Damals lag gegen ihn ein europäischer Haftbefehl wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden vor. Die Ermittlungen wurden jedoch später eingestellt.

Ein Erfolg ist das Urteil für die USA. Deren Gerichtsvertreterin Clair Dobbin hatte vor einer Haftentlassung gewarnt. „Er hat gezeigt, dass er sehr viel auf sich nehmen kann, um einer Auslieferung zu entgehen“, sagte sie und verwies auch auf Hilfs- und Asylangebote wie zuletzt Mexiko. Dobbin sagte, Assange habe das Vertrauen derjenigen ausgenutzt, die sich auf ihn verlassen hätten. Er betrachte sich als über dem Gesetz stehend.

Die stellvertretende Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, Heike Hänsel, forderte die deutsche Regierung auf, sich für den Wikileaks-Gründer einzusetzen: „Die Entscheidung der britischen Justiz ist ein Anschlag auf das Leben und die Gesundheit von Julian Assange“, sagte Hänsel. „Die Bundesregierung muss sich mit allen Mitteln dafür starkmachen, dass Julian Assange im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh nicht zu Tode kommt.“

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WikiLeaks-Gründer Julian Assange hält die hände vor das Gesicht während einer Pressekonferenz. Foto: Lefteris Pitarakis/AP/dpa