Droht Staatskrise in Thüringen? - Parteien suchen Ausweg

dpa Berlin/Erfurt. Rücktritt nach drei Tagen: FDP-Ministerpräsident Kemmerich ist nur noch geschäftsführend im Amt. Es soll eine neue Thüringer Regierung her. Vor einem Neustart verlangt die Linke Garantien für ihren Kandidaten Ramelow - aus Sorge vor AfD-Scharmützeln.

Droht Staatskrise in Thüringen? - Parteien suchen Ausweg

Die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen beschäftigt die ganze Republik. Foto: Gregor Fischer/dpa

Die Krise in Thüringen soll nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) durch die Bildung einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung mit Bodo Ramelow (Linke) an der Spitze beendet werden.

„Wir brauchen erst einmal eine Regierung, bevor wir geordnet in Neuwahlen gehen“, sagte Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. Auch die Spitzen von Union und SPD in Berlin hatten sich beim Koalitionsausschuss am Samstag für diesen Weg ausgesprochen.

Die Landes-CDU und die Grünen sind ebenfalls für diesen Weg - sie sehen keinen Ausweg in überstürzten Neuwahlen. Die AfD ist grundsätzlich gegen Neuwahlen, für die sich hingegen erneut die Thüringer SPD aussprach. Am Montag wollten Rot-Rot-Grün in Erfurt und CDU-Gremien in Berlin das weitere Vorgehen beraten.

Allerdings versucht die AfD, Verunsicherung bei einer möglichen Ramelow-Wahl zu schüren. Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland sagte der dpa: „Die kopflose Reaktion von CDU und FDP bringt mich zu der Empfehlung an die thüringischen Freunde, das nächste Mal Herrn Ramelow zu wählen, um ihn sicher zu verhindern - denn er dürfte das Amt dann auch nicht annehmen.“

Die Linke drängt deshalb die CDU, sich bei einer neuen Abstimmung nicht nur zu enthalten, sondern zumindest teilweise für Ramelow zu stimmen, um eine Mehrheit ohne AfD zu sichern.

Ex-Ministerpräsident Ramelow warb bei einem Neubeginn mit ihm um Unterstützung von FDP und CDU. „Ich bin willens, meine Hand auszustrecken. Ich werde auch in Abstimmung mit CDU und FDP das Land bis zu Neuwahlen regieren“, sagte Ramelow zu „Bild“ (Montag). Thüringen drohe sonst eine Staatskrise mit einem amtierenden Ministerpräsidenten Kemmerich, der keine Minister berufen und keine Vertrauensfrage im Landtag stellen könne.

Eine Neuwahl des Landtages könnte es nach Ansicht von Ramelow nach den Sommerferien geben. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Rot-Rot-Grün verfügt im Landtag nur über 42 der 90 Sitze.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonierte am Samstag mit Ramelow. Es sei dabei sehr klar darauf hingewiesen worden, dass die CDU keine Linken unterstütze, erfuhr die dpa aus Koalitionskreisen. Ramelow habe sich im Telefonat besorgt gezeigt, dass er im ersten Wahlgang plötzlich durch die AfD zu einer Mehrheit kommen könne. Zuvor hatte die „Bild am Sonntag“ darüber berichtet. Nach Angaben aus anderen Koalitionskreisen wurden in dem Telefonat auch Szenarien durchgespielt, wie es zur vorgezogenen Neuwahl kommen könnte.

FDP-Chef Christian Lindner schlug vor, einen unabhängigen Übergangs-Ministerpräsidenten bis zu einer Neuwahl zu wählen. „Ich persönlich halte in dieser extrem empfindlichen Situation Herrn Ramelow aber nicht für einen geeigneten Kandidaten um das Land zu beruhigen“, sagte Lindner vor einer Klausur der FDP-Bundestagsfraktion in Berlin.

An diesem Montag will in Erfurt die Landtagsfraktion der Linken über das weitere Vorgehen beraten, danach die Vertreter von Rot-Rot-Grün, wie Henning-Wellsow sagte. In Berlin tagen die Gremien der Bundes-CDU. Hennig-Wellsow kündigte an, dass ihre Partei in dieser Woche auch das Gespräch mit CDU und FDP suche. Es dürfe bei einer erneuten Ministerpräsidentenwahl nicht auf die Stimmen der AfD ankommen. „Wir werden Ramelow nur in die Wahl schicken, wenn wir eine demokratische Mehrheit für ihn haben.“ Auch SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hält eine Ministerpräsidenten-Wahl nur mit einem klar vorhersehbaren Ausgang - ohne AfD-Stimmen - für möglich.

Bislang hat die CDU-Fraktion erklärt, einen von den Linken aufgestellten Ministerpräsidenten nicht aktiv ins Amt zu wählen. „Wir sind offen für Gespräche, die für stabile Verhältnisse im Thüringer Landtag sorgen“, sagte CDU-Generalsekretär Raymond Walk nach dem Kemmerich-Rücktritt. In der Landes-CDU hieß es, durch die AfD-Drohung, Ramelow zu wählen, gebe es eine neue Situation, die zunächst zu bewerten sei. Als wenig hilfreich bezeichnete Walk Forderungen, die CDU müsse für Ramelow stimmen. „Wir haben unsere Grundsätze und klare Beschlusslagen und bitten, diese zu respektieren.“

Die CDU-Landtagsfraktion und das CDU-Präsidium hatten erst am Freitag ausgeschlossen, Ramelow aktiv mitzuwählen. Ein Parteitagsbeschluss verbietet jede koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit AfD wie Linken.

Ramelow attackierte Gauland wegen seiner Wahlempfehlung für ihn. „So agieren Demokratieverächter“, schrieb er auf Twitter. Der Thüringer AfD-Fraktionsgeschäftsführer Torben Braga rechnet nach eigenen Worten nicht mit AfD-Stimmen für Ramelow. „Ich gehe nicht davon aus, dass auch nur ein Abgeordneter der AfD für eine weitere Amtszeit von Bodo Ramelow stimmen würde“, sagte Braga auf Anfrage in Erfurt. Zuerst hatte MDR Thüringen darüber berichtet. Die Gauland-Äußerung sei in Thüringen nicht als Wahlaufforderung für Ramelow, sondern als Kritik verstanden worden, „wie grotesk die Reaktionen auf die Wahl von Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen waren“, sagte Braga.

Kemmerich hatte am Samstag fast zeitgleich zur Tagung des Koalitionsausschusses in Berlin seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung erklärt. Der Ausschuss sprach sich dafür aus, dass umgehend ein neuer Ministerpräsident im Landtag gewählt wird. Unabhängig davon müsse es baldig eine Neuwahl geben. CSU-Chef Markus Söder bezeichnete die Forderung nach rascher Neuwahl als „klares Signal“.

Nicht nur Kemmerichs Rücktritt dürfte der großen Koalition eine Verschnaufpause verschaffen, sondern auch der Rücktritt des umstrittenen Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), auf Betreiben von Merkel. Hirte, der Thüringer CDU-Vize ist, hatte zur Wahl Kemmerichs gratuliert.

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„Still my MP“: Blumen und ein Porträt des ehemaligen Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow vor der Staatskanzlei in Erfurt. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa