Kreisbau: „Wir bauen keine Edelwohnungen“

Der Rems-Murr-Kreistag hat die vom Landrat vorgeschlagene Erweiterung der Wohnungsbaustrategie beschlossen. Die Kreisbaugesellschaft wird nun finanziell so ertüchtigt, dass sie Wohnraum in Eigenregie schaffen und vermarkten kann. Ohne Kritik bleibt das indessen nicht.

Kreisbau: „Wir bauen keine Edelwohnungen“

So beschaulich sieht das an der Hangweide in Kernen vorgesehene Projekt der Rems-Murr-Kreisbaugesellschaft in einer Visualisierung der Bauplaner aus. Grafik: Landratsamt

Von Bernhard Romanowski

Rems-Murr. Der Ruf als HB-Männchen, das vor Wut qualmend an die Decke geht, eilt Richard Sigel nicht gerade voraus. Von einer Zornesröte im Gesicht des Landrats war in der jüngsten Kreistagssitzung auf Anhieb, zumindest von den hinteren Reihen aus, auch nichts zu erkennen. Doch in seiner Wortwahl signalisierte der Chef der Landkreisverwaltung deutlich, dass sein Geduldsfaden keine weitere Materialprobe verträgt. „Mir ist kürzlich im Ausschuss schon fast der Kragen geplatzt. Das passiert mir selten. Aber ich sage es Ihnen noch einmal: Wir bauen keine Edelwohnungen“, sagte Sigel und verschaffte so seinem Ärger über eine Äußerung von Kreisrat Ronald Borkowski Luft.

Namens Linke und ÖDP hatte Borkowski die Wohnungsbaupläne des Kreises, die gerade zur Debatte standen, als zu wenig sozial und zu sehr auf besser betuchte künftige Mieter ausgerichtet beschrieben – wobei eben auch der Begriff „Edelwohnungen“ fiel. Dem Denkansatz Borkowskis konnten die anderen Fraktionen offenkundig wenig abgewinnen. Bei drei Enthaltungen seitens Linke und ÖPD wurde die sogenannte „strategische Erweiterung der Wohnbaustrategie“ einstimmig beschlossen. Abgesehen vielleicht von der doppelt gemoppelten Namensgebung ist der Gedanke hinter der Strategieerweiterung durchaus nachvollziehbar. Die Region Stuttgart wächst weiterhin zusehends. Es werden jede Menge Wohnungen gebraucht. Nicht zuletzt mit Blick auf die Meinung von Landesvater Winfried Kretschmann, der sich für mehr Schaffung von bezahlbarem Wohnraum unter Regie und in Besitz der Städte und Gemeinden aussprach, will Landrat Sigel die Sache nun anders als bislang angehen.

Wenn die Kreisbaugruppe auf attraktiven Grundstücken mehr selbst baut – wie sie es auch gerade in Backnang tut – und weniger an private Investoren veräußert, kann noch mehr dringend benötigter Wohnraum in öffentlicher Hand geschaffen werden, so der Denkansatz. Sigel spricht hier von „Sahnestücken“, die man nicht mehr ohne Weiteres aus der öffentlichen Hand geben sollte. So will der Kreis selbst einen klimaneutralen Wohnungsbestand schaffen und damit einen effektiven Beitrag auch zum Klimaschutz leisten. Wie bereits mehrfach berichtet, werden im Rems-Murr-Kreis insgesamt rund 500 neue geförderte Mietwohnungen für bezahlbaren Wohnraum geschaffen, und zwar durch die Kreisbaugesellschaft. Dafür hat der Kreistag bereits 2017 ein Investitionsprogramm für bezahlbaren Wohnraum aufgelegt. Voraussichtlich 2024 soll das Ziel erreicht werden. „Und damit mehrere Jahre früher als ursprünglich vorgesehen“, wie Landrat Sigel stets gerne betont. Konkret geht es derzeit um zwei Projekte. Da ist zum einen das Klinikareal II in Waiblingen, wo auf einer zusätzlichen Entwicklungsfläche rund 70 Wohnungen im Eigentum der Kreisbaugesellschaft entstehen. Zum anderen geht es um die sogenannte Quartierentwicklung auf der Hangweide in Kernen im Remstal, wo bislang geplant war, einen Teil der entwickelten Flächen zu verkaufen und rund 75 Wohnungen selbst zu vermarkten. Im Zuge der nun beschlossenen Strategieerweiterung sollen dort nun 220 Wohnungen als Eigeninvest der Kreisbaugesellschaft entstehen. Als Leitbild ist hier vom „urbanen Dorf“ die Rede. „Eine urbane Stadtgesellschaft trifft auf ein ländlich geprägtes Umfeld in einer attraktiven Lage im Speckgürtel der Region Stuttgart“, so formuliert es die Kreisverwaltung in einer Präsentation dazu und spricht auch von „nachhaltigen Energiekonzepten“, die dort umgesetzt werden sollen.

Insgesamt sollen also rund 290 Wohnungen in Waiblingen und Kernen unter Federführung der Kreisbaugesellschaft geschaffen und später vermietet werden. Dazu muss ein ordentlicher Batzen Geld in die Hand genommen werden. Die Gesamtinvestitionen für beide Projekte werden mit rund 116 Millionen Euro beziffert. Zur Umsetzung der Wohnungsbaustrategie sind einige rechtliche und finanztechnische Bedingungen zu erfüllen, die von der Kreiskämmerei haushaltstechnisch bereits vorbereitet wurden und nun umgesetzt werden können, nachdem der Kreistag sein Placet gegeben hat. 23 Millionen Euro muss die Kreisbaugesellschaft als Eigenkapital aufbringen. 20 Millionen Euro bekommt sie dazu als Kommunaldarlehen vom Rems-Murr-Kreis. Den Hauptanteil in Höhe von rund 93 Millionen an den 116 Millionen Euro Gesamtinvestitionen muss die Kreisbaugesellschaft als Fremdkapital über Darlehen aufbringen. Der Kreis tritt hier als Bürge auf, damit die Banken mitmachen.

Stimmen aus der Kreistagssitzung

Fragezeichen Die CDU-Fraktion im Kreistag hatte in der Vergangenheit so ihre Bauchschmerzen mit der Strategieerweiterung und den daraus folgenden Belastungen und Risiken für den Kreis. Laut Fraktionschef Armin Mößner habe die Kreisverwaltung zwar viele Fragen beantwortet, doch blieben immer noch einige Fragezeichen, wie sich die Rolle des Kreises als Kreditgeber und Bürge für die Kreisbau entwickeln werde. Angesichts des Zustroms von Menschen aus der Ukraine und der zu erwartenden Steigerung der Baukostenpreise und Zinsen sei nun aber wohl der richtige Zeitpunkt, um die erweiterte Strategie im Wohnungsbau anzugehen.

Flüchtlinge Christine Besa (Grünen-Fraktion) teilt Mößners Sicht auf die Entwicklungen im Zuge des Kriegs in Osteuropa: „Mit Blick auf die Flüchtenden aus der Ukraine brauchen wir jetzt Wohnungen wie nie.“

Niedrigzins Wilfried Jasper (Fraktion Freie Wähler) beschrieb die beschlossene Strategie als sinnvoll und nachhaltig und verwies auf das noch niedrige Zinsniveau im Kreditgeschäft.

Flächenmangel Klaus Riedel signalisierte die Zustimmung der SDP-Fraktion und verwies darauf, dass es leider zu wenige Flächen gebe, auf denen sich öffentlich geförderter Wohnraum realisieren lässt.

Sozialquote Der Antrag von Linke und ÖDP lautete, der Kreisbaugesellschaft erst einmal nur eine Eigenkapitaleinlage von etwa zehn Millionen Euro für 100 weitere eigene Mietwohnungen mit einem Sozialwohnungsanteil von mindestens 35 Prozent in Kernen oder in Waiblingen zu gewähren.

Klientel Landrat Sigel kommentierte den Antrag so: „Wir können nicht nur den geförderten Wohnungsbau machen und die anderen machen alles andere.“ Es gebe viele Familien, die sich kein Eigenheim in der Region leisten können, aber auch keinen Wohnberechtigungsschein haben. Sigel: „Die Zahl dieser Fälle wird auch immer mehr.“