Landes- und Bundespolitiker trommeln für Investitionen in die Rüstung. Dahinter verbirgt sich auch Hoffnung für den Standort.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein früherer Vize, der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Nils Schmid (SPD), plädieren für Vernetzung im Verteidigungsbereich.
Von Annika Grah
Es passiert nicht oft, dass eine Regierungserklärung im Landtag bundesweit Beachtung findet. Im Falle von Winfried Kretschmanns Rede zur Landesverteidigung sei das der Fall gewesen, sagte Nils Schmid (SPD) – früherer Koalitionspartner von Kretschmann und heute Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium am Donnerstag in Stuttgart.
Kretschmann lädt Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft
Das Staatsministerium hatte zum sicherheitspolitischen Dialog geladen. Vier Stunden lang trafen sich rund 200 Vertreter von Wirtschaft und Wissenschaft um Sicherheitsthemen zu diskutieren. „Wir müssen im militärischen Bereich dieselbe Technologieführerschaft anstreben wie wir sie im zivilen Bereich anstreben“, sagte der Ministerpräsident. Und Schmid sekundierte: „Wer jetzt nicht investiert, droht technologisch abgehängt zu werden.“ Deutschland müsse angesichts der neuen geopolitischen Lage seine technologische Souveränität sichern. Entwicklungen müssten aber auch auf der europäischen Ebene gedacht werden. Es brauche Tempo, um die Bundeswehr besser auszustatten. „Wir wissen dass wir das ohne Industrie nicht hinbekommen“, sagte Schmid
Verteidigung ist das Mantra der Landesregierung seit einigen Monaten. Sie versucht Aktivitäten im Verteidigungsbereich über Gesprächsformate und regierungsintern über eine Lenkungsgruppe anzustoßen. Um Forschung und Wirtschaft zusammenzubringen, hob das Land im Sommer einen weiteren Innovationscampus aus der Taufe, der von der Uni Stuttgart aus gesteuert werden soll. Die Federführung soll an der Uni Stuttgart liegen, wo unter anderem ein Hyperschallkanal gebaut werden soll. Darin kann die Atmosphäre auf dem Mars simuliert, aber auch Antriebskonzepte für Großraketen getestet werden.
Unipräsident sieht viele Chancen in Grundlagenforschung
Unipräsident Präsident Peter Middendorf betonte, es gebe bereits eine Zusammenarbeit mit Industrie- oder Verteidigungsunternehmen. Er sieht keinen großen Veränderungsdruck für die Forschung. Vor allem in der Grundlagenforschung gebe es nicht das eine Thema, das nur Nutzen für den zivilen oder militärischen Bereich eine Rolle spiele.
In Baden-Württemberg war in der Branche in den vergangenen Monaten einiges in Bewegung. Der Waffenhersteller Heckler & Koch beispielsweise hat dieses Jahr angekündigt, eine Drohnenabwehr zu entwickeln. Auch der Laserspezialist Trumpf in Ditzingen beispielsweise kündigte im Oktober an, in die Drohnenabwehr einzusteigen.
Hierzulande keimt die Hoffnung, dass die Rüstungsindustrie zumindest Teile der Arbeitsplätze in der Auto- und Zuliefererbranche wett machen könnte, die dort wegfallen. Der Markt wächst, gestützt von den in Aussicht gestellten Staatsmilliarden in dem Bereich. Schmid schätzt, dass allein für die Drohnenabwehr für die nächsten zehn Jahre zehn Milliarden Euro im Haushalt reserviert sind, für neue Weltraumtechnik sogar 35 Milliarden Euro. Die Beratungsgesellschaft EY-Parthenon schätzt, dass der Rüstungsboom in Deutschland bis 2029 das Bruttoinlandsprodukt um insgesamt 0,7 Prozent steigern könnte.
Doch allein bei der Zahl der Arbeitsplätze reicht die Rüstungsindustrie in Baden-Württemberg nicht annähernd an die Autoindustrie heran. Das Staatsministerium zählt „entlang der Wertschöpfungskette“ inklusive Hard- und Software in Baden-Württemberg 42 000 Arbeitsplätze. In der Fahrzeugfertigung arbeiteten zuletzt rund fünf Mal soviel. Verteidigungsstaatssekretär Schmid, bis 2016 auch Wirtschaftsminister in Baden-Württemberg, stellte klar: „Wir werden die Autoindustrie nicht durch die Rüstungsindustrie ersetzen können!“
Der Präsident des Unternehmerverbands Baden-Württemberg, Thomas Bürkle, sieht neue Chancen. Es gebe eine Reihe von guten Zulieferern in Baden-Württemberg. „Wir müssen ein neues Matching zusammenbekommen.“
Rüstungsindustrie
BeschäftigteDas Staatsministerium zählt der Branche 42 000 Beschäftigte „entlang der Wertschöpfungskette“ zu. Zum Vergleich: Allein im Fahrzeugbau sind es mehr als 200 000. Rund ein Viertel aller Beschäftigten der Branche in Deutschland arbeiten in Baden-Württemberg und rund 20 Prozent des Umsatzes der Branche werden in Baden-Württemberg erwirtschaftet. Der Anteil dürfte sich aber verschieben, wenn immer mehr traditionelle Firmen in dem Geschäftsfeld Fuß fassen.
FirmenZu den bekannte Namen im Verteidigungsbereich gehören Heckler & Koch, Diehl oder Airbus Defence & Space. Aber es gibt auch zahlreiche andere Firmen, die in Baden-Württemberg Standorte aufbauen. Der bayerische Spezialist für Sensoren und Radarsysteme Hensoldt baut seine Produktion in Ulm aus. Der israelische Konzern Elbit Systems hat ebenfalls Standorte in Ulm. Der Drohnen-Antriebsspezialisten Sobek mit Sitz in Hirschberg im Rhein-Neckar-Kreis wurde jüngst vom Motorenbauer Deutz übernommen.