Ministerpräsidenten-Wahl: Spitzenkandidaten auf Tuchfühlung

dpa/lsw Stuttgart. Grün, grün, grün sind alle meine Farben - Winfried Kretschmann wird von den politischen Wettbewerbern umgarnt. In einer Talkrunde der Spitzenkandidaten wird der Ministerpräsident auch persönlich bezirzt.

Ministerpräsidenten-Wahl: Spitzenkandidaten auf Tuchfühlung

Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Am Ende wird es dann noch mal ganz persönlich. Den Spitzenkandidaten werden reihum Fragen zu ihren Kontrahenten gestellt. Die Antworten fallen mitunter bissig aus: FDP-Chef Michael Theurer würde gern mal mit SPD-Chef Andreas Stoch in eine schöne Weinstube gehen, um ihm die soziale Marktwirtschaft zu erklären. Stoch wiederum will CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann nach der Wahl ein dickes Buch schenken, weil sie dann ja ganz viel Zeit zum lesen habe. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) soll sagen, was er AfD-Spitzenkandidat Bernd Gögel zur Wahl wünscht („Ein niedriges Wahlergebnis“). Und Gögel steht zwar direkt neben Sahra Mirow, kann aber rein gar nichts über die Linken-Politikerin sagen („Ich kenne Frau Mirow nicht.“) Mirow wiederum soll die Vorzüge von Theurer nennen („Er redet viel.“)

Ausgerechnet die wärmsten Worte dieser Runde betreffen den Hauptkontrahenten in diesem Wahlkampf. CDU-Spitzenkandidatin Eisenmann wird gefragt, wann Kretschmann sie denn mal im politischen Alltag überrascht habe. „Ach, das gelingt ihm eigentlich täglich, mit schönen philosophischen Ansätzen und mit einem großen Weitblick“. Kretschmann lacht. Dann strahlen sich die beiden an, als wären sie Kandidaten der Flirtfernsehshow „Herzblatt“.

Endspurt im Wohlfühlwahlkampf?

Kretschmann ist seit 2011 Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Er ist der erste von den Grünen gestellte Regierungschef eines deutschen Bundeslandes. Seit fünf Jahren regiert der beliebte Regierungschef mit der Union als Juniorpartner. In jüngsten Umfragen führen die Grünen vor der CDU. Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind der erste Stimmungstest im Superwahljahr 2021, in dem auch der Bundestag neu gewählt wird.

Stellenweise geht es auch mal ruppiger zu in der Talkrunde der „Stuttgarter Nachrichten“ zur Landtagswahl, die aus dem Stuttgarter Haus der Wirtschaft gestreamt wird. Stoch und Eisenmann streiten, wer der bessere Kultusminister war. Kretschmann klopft sich auf die Schulter, was sein Krisenmanagement in der Corona-Pandemie angeht. Eisenmann lobt Errungenschaften bei der inneren Sicherheit, den Glasfaser-Ausbau, die Erhöhung des Bildungsetats. „Wir fühlen uns in der Koalition nicht kleiner gemacht als wir uns fühlen sollten“, sagt sie. FDP-Chef Theurer wirbt für den Verbrenner und den Wasserstoff. Die Koalition habe die entscheidenden Themen in den fünf Jahren nicht in Hand genommen, kritisiert SPD-Spitzenkandidat Stoch, weil man dem Streit aus dem Weg gegangen sei. „Wir können uns noch mal fünf Jahre Grün-Schwarz nicht leisten.“

Koalitionen seien einfach eine Verbindung verschiedener Parteien, sagt Kretschmann. „Das ist nicht immer eine fröhliche Veranstaltung.“ Das solle aber auch gar nicht anders sein. Die Parteien dürften nicht verschmelzen, sonst könnten die Leute nicht mehr zwischen ihnen unterscheiden. „Streit ist was Unabdingbares.“ Aber: Die Koalition aus Grünen und CDU habe das Land vorangebracht.

Und so geht es am Freitagabend auch um die Frage, wer mit wem warum möchte und kann. AfD-Chef Gögel sieht sich meilenweit davon entfernt, mit der FDP-Koalitionsgespräche zu führen. Theuer bedankt sich dafür. Für die Liberalen sei die CDU als Partner vorzugswürdig. „Aber wir würden auch Gespräche mit den Grünen nicht ausschließen“, sagt Theurer. „Ich würd's wagen.“ Auch der SPD-Chef flirtet mit Kretschmann. Er sehe mit den Grünen die inhaltlich größere Schnittmenge. Eisenmann blockt ab, sie wolle jetzt noch nicht über Dienstwägen und Ministerienzuschnitte reden. Nur bei „Grün-Doppelrot“ wie in Berlin, da werde ihr „himmelangst“, sagt sie.

Und Kretschmann? Hält sich alles offen - bis auf die AfD. Sondierungsverhandlungen müssten ergeben, ob man den Eindruck hat, dass man verlässlich miteinander regieren könne. Die Menschen müssten darauf vertrauen können, dass man eine Koalition schmiede, die auch belastbar sei, „wo es nicht jedes halbe Jahr eine Koalitionskrise gibt“. Erstmal würden die Wähler entscheiden. „Wir müssen uns mit dem Ergebnis dann rumschlagen gegebenenfalls.“

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