Krötenretten ist ein berührendes Erlebnis

Die Wanderung der Amphibien vom Backnanger Plattenwald ins Biotop Pfaffenrinne ist in vollem Gange. Rund 5000 Tiere finden sich dort jedes Jahr zur Reproduktion ein. Dass sie ihren gefahrenreichen Hin- und Rückweg unbeschadet überstehen, verdanken sie vielen tierlieben Helfern.

Krötenretten ist ein berührendes Erlebnis

Marion Schieber-Stitz behandelt die Kröten sorgsam. Tausenden von ihnen hilft sie bei ihrer Wanderung zum Biotop. Fotos : Tobias Sellmaier

Von Nicola Scharpf

Backnang. Es leuchtet, funkelt, glitzert mannigfach, als würden Edelsteine im seichten Wasser der Pfaffenrinne liegen. Dabei sind es die Augen von tausenden Erdkröten, die hell erstrahlen, sobald in der Dunkelheit der Nacht das Licht von Stirn- oder Taschenlampen auf sie trifft. Tausende Erdkröten tummeln sich bereits im Biotop und scheinen erwartungsvoll im Tümpel auf artgenössische Neuankömmlinge zu warten. Und die kommen. Eimerweise.

Bei Einbruch der Dunkelheit versammelt sich am Samstagabend ein etwa zehnköpfiger Helfertrupp am Parkplatz, der wenige Hundert Meter nach dem Backnanger Ortsausgang an der Landstraße nach Steinbach am Plattenwald liegt. Kinder sind mit dabei, ihre Mütter, die Oma, ein paar Einzelpersonen. Und Eimer. Jeder bekommt davon drei: einen kleinen Eimer mit Deckel für Teichmolche, einen großen mit Deckel für Grasfrösche, einen noch größeren ohne Deckel für Erdkröten. Reflektierende Schutzweste anziehen, Stirnlampe aufsetzen und anknipsen, Taschenlampe einstecken und los kanns gehen zum Amphibiensammeln – wie jeden Abend während der Wandersaison der Tiere im Frühjahr. Die Gruppe teilt sich: Manche laufen am Radweg neben der Straße am dort aufgestellten Amphibienschutzzaun entlang, manche schlagen einen Bogen durch den Wald. Fündig werden alle. Es raschelt im Laub und es bewegt sich was – hier und dort und überall. „Mit der Zeit sieht man in jedem Blatt eine Kröte“, sagt Marion Schieber-Stitz von der Backnanger Nabu-Ortsgruppe, die das Projekt des Naturschutzbundes betreut. Sie geht in die Hocke und nimmt sanft eine Kröte, die auf dem Radweg sitzt, auf die Hand. Sie fühlt sich trocken an und kühl, wenn sie aus dem Laub kommt, nicht glitschig. Liebevoll schwärmt Schieber-Stitz von den bernsteinfarbenen Augen des Tieres und weist auf die dunklen Flecken an den winzigen Fingern hin. „Das sind Brunftschwielen“, erklärt die Amphibienfreundin. „Die haben nur die Männchen. Sie haben immense Kraft, sich auf den Weibchen festzuklammern.“ Doppeldecker nennen es Krötensammler, wenn das Weibchen das Männchen wie einen Rucksack mit sich herumträgt.

Ein paar Meter weiter ruft der neunjährige Lars: „Ein Weibchen hat mich angepinkelt“, und zeigt seine nasse Hand. „Willkommen im Team“, antwortet seine große Schwester Ronja und staunt ob der Pipimenge. „Da kommt richtig viel raus.“ Die Geschwister sind mit ihrer Mutter zum ersten Mal beim Krötenretten dabei und begleiten ihre Oma Gabriele Blaschke aus Backnang, die seit Februar zirka zweimal pro Woche beim Sammeln mithilft. „Ich hätte nicht gedacht, dass das Krötensammeln so emotional ist“, sagt die ehemalige Biologielehrerin. „Es ist total berührend. Mich begeistert die Körperhaltung der Männchen. Wie sie sich auf die Vorderbeine aufrichten. Und ich war überrascht, wie sensibel die Kröten auf Temperaturunterschiede reagieren.“ Blaschke und die anderen Sammler tasten Böschungen und Wege mit den Augen ab. Sorgsam und vorsichtig machen sie Schritt um Schritt – insbesondere nahe am Biotop. Schließlich sind die Kröten im grau-braunen Gras nur schwer zu entdecken. Blaschke, ihre Tochter und die beiden Enkel stellen am Rand der Pfaffenrinne die gefüllten Eimer auf die Wiese. Aus den Eimern sind quietschende Laute der Amphibien zu hören. Abwehrlaute, die Tiere wollen raus aus den Eimern. „Die sind schon kalt“, staunt eines der Kinder, als es eine Kröte auf der Hand hat. „Die sind so kalt wie die Umgebungstemperatur“, erklärt Oma Blaschke. „Ja, ich weiß, die sind wechselwarm“, antwortet die Enkelin. Einzeln nehmen sie die Kröten heraus und zählen sie, um die Anzahl an die Organisatorin vom Nabu zu melden: 24 männliche Erdkröten, eine weibliche Erdkröte, sieben Doppeldecker, ein männlicher Teichmolch. Insgesamt kommen an diesem Abend auf diese Art und Weise 264 Tiere zusammen.

Andächtig steht die Familie auf dem Steg an der Pfaffenrinne und schaut auf die tausendfach funkelnden Punkte im Wasser. Blaschke: „Da könnte man die ganze Nacht weitersammeln.“ So geht es nicht nur ihr. Marion Schieber-Stitz erzählt so quirlig und lebendig und ausgiebig von ihrem Amphibienprojekt und den damit verbundenen wunderschönen Naturerlebnissen, dass ihre Begeisterung richtiggehend ansteckend wirkt. Vier Jahre nachdem das Biotop Pfaffenrinne 2013 gebaut worden war, gab es erste Meldungen von überfahrenen wandernden Kröten. 2018 nahm das Schutzprojekt entlang der Straße Backnang-Steinbach an Fahrt auf und Marion Schieber-Stitz nahm die Projektbetreuung zusammen mit ihrem Partner in die Hand.

Der Nabu investiert eine beachtliche Manpower in die Krötenwanderung.

Die Pfaffenrinne sorgt für einen beachtlichen Bestand an Amphibien im Plattenwald. „Wir können sehen, dass sich Bestände durch eine ordentliche Gewässerpflege und konsequentes Sammeln der Tiere bei der Hin- und Rückwanderung sowie bei der Betreuung der abwandernden Jungtiere erholen können“, sagt Schieber-Stitz. Das erfordere neben entsprechenden finanziellen Mitteln und Unterstützung durch die Kommune eine beachtliche Manpower. Allein Schieber-Stitz ist zur Wandersaison im Frühjahr etwa 25 Stunden pro Woche mit dem Amphibiensammeln und -transportieren beschäftigt. „Ich nehme da immer drei bis fünf Kilo ab“, schildert sie. „Da braucht man kein Fitnessstudio mehr.“ Allein am Montagabend vor einer Woche, als sie mit zehn weiteren Helfern im strömend-warmen Frühlingsregen innerhalb von fünf Stunden 1600 Tiere zum Biotop brachte, zeigte der Schrittzähler am Ende 20000 an.

Die Nacht auf den gestrigen Sonntag „war eine gute Wandernacht“, informiert Schieber-Stitz im Nachgang. „Viele Tiere, keine Opfer und kein Stress durch die vielen fleißigen Helfer.“ Die Backnanger Nabu-Gruppe sei in den vergangenen Jahren gut gewachsen und aufgrund der rund 30 fleißigen Helfer seien bislang nur wenige tote Amphibien auf der Straße zu beklagen gewesen. „Ich habe aber auch schon oft geweint“, gesteht Schieber-Stitz wie nahe es gehen kann, wenn nicht jede Kröte und Co. gerettet werden kann.

Krötenretten ist ein berührendes Erlebnis

Doppeldecker nennen es Krötensammler, wenn sich das Männchen am Rücken des Weibchens festklammert.

Das Biotop Pfaffenrinne

Gesunde Population Die Amphibienpopulation in der Pfaffenrinne ist laut Nabu Backnang über den Landkreis hinaus die stabilste und gesündeste weit und breit. Dies soll durch entsprechende Pflege des Biotops sichergestellt bleiben.

Maßnahmen Gegen eine zu schnelle Verlandung gab es 2022 eine Aktion, bei der die Pfaffenrinne durch Aushub und Rückschnitt von Röhricht vertieft wurde. Wie bereits im Frühjahr 2021 soll es laut Stadtplanungsamt und Nabu auch in diesem Frühjahr in Kooperation mit dem THW erneut eine Pumpaktion zur Wasserzufuhr geben. Notwendig ist dies aufgrund mangelnder Niederschläge. Für das Pumpen ist ein Termin Ende März vorgesehen.

Keine Insellösungen Laut Nabu bedarf es einer Vernetzung von Biotopen untereinander mit funktionierenden Wanderkorridoren – beispielsweise für den Genaustausch. Zur Entlastung der Pfaffenrinne ist das Anlegen eines weiteren Biotops im Bereich des Plattenwalds geplant. Auch dabei ist das rückläufige Wasserangebot eine Kernherausforderung, so das Stadtplanungsamt. Außerdem gibt es weitere, ebenfalls wichtige naturschutzfachliche Belange zu berücksichtigen wie etwa bestehende Buchenbestände, die sich in gutem Zustand befinden. In den kommenden Monaten soll die Standortanalyse in die politischen Gremien eingebracht werden. Der Nabu stellt sich darauf ein, dass die Suche nach einem neuen Biotop mehrere Jahre dauern wird.

Helfer Der Nabu freut sich über jeden Helfer. Vorkenntnisse sind nicht erforderlich. Helfermeldungen an amphibien@nabu-backnang.de.

Ökosystem Amphibien haben darin eine wichtige Rolle. Sie vertilgen Schädlinge und sind Nahrungsgrundlage für andere Arten wie Vögel und Schlangen.