Lokführer-Neulinge erhalten 2100 Euro

In einem ersten Schritt sollen auch 45 Flüchtlinge im Land ausgebildet werden – Umbruch im Regionalzugverkehr steht bevor

Von Thomas Durchdenwald

Integration - Die Schienenverkehrsunternehmen finden keine Lokführer mehr. Das Land will nun ein wenig Abhilfe schaffen mit einem Modellprojekt. Die Arbeitsagentur ist mit im Boot.

Stuttgart In einem Modellprojekt, in dem Flüchtlinge innerhalb von 15 Monaten zu Lokführern ausgebildet werden, will Landesverkehrsminister Winfried Hermann zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen soll der Personalengpass bei den Schienenverkehrsunternehmen bekämpft werden, der immer öfter zu Zugausfällen führt. Zum anderen „tun wir etwas Gutes für die Menschen und die Gesellschaft, indem wir helfen, Flüchtlinge zu integrieren“, so der Grüne. Dies entspreche auch dem Koalitionsvertrag seiner Partei mit der CDU. Ausgangslage Die Personalgewinnung gilt als eine der größten Herausforderungen im ÖPNV – bei Bus- und bei Schienenverkehrsunternehmen. Dabei spielen die im Vergleich zur Industrie oft geringere Entlohnung und die Arbeitszeiten ein Rolle, aber auch der Umstand, dass in der Region quasi Vollbeschäftigung herrscht. Schon die Bahntochter DB Regio tut sich schwer, genügend Lokführer bereitzustellen. In den vergangenen Monaten fielen daher immer wieder Regionalzüge aus. Wegen vieler Krankmeldungen beim fahrenden Personal stellte die S-Bahn Stuttgart Anfang Oktober an einigen Tagen zwei Nebenbahnen ein. „Wir als Ministerium sind zwar nicht zuständig für Personalfragen“, sagt Hermann, „aber wir handeln aus Verantwortung für einen funktionierenden Nahverkehr.“ Stuttgarter Besonderheit Der Vorstoß des Landes ist auch dem Umstand geschuldet, dass Mitte 2019 ein gewaltiger Umbruch im Regionalzugverkehr bevorsteht. Neue Anbieter übernehmen die bisher von der DB Regio im Auftrag des Landes gefahrenen Linien von und nach Stuttgart. Das Tochterunternehmen der niederländischen Abellio-Gruppe wird für den Verkehr von und nach Pforzheim, Heilbronn und Tübingen zuständig, der Ableger der britischen Go-Ahead-Gruppe fährt die Züge von und nach Crailsheim, Ulm, Aalen, Karlsruhe und Würzburg. Zwar beteuern die Unternehmen, dass sie genügend Lokführer haben, doch die Personalgewinnung gilt als schwierig. Modell Gemeinsam mit der Arbeitsagentur, großen Schienenverkehrsunternehmen im Land, den Gewerkschaften und anderen Ministerien abgestimmt, startet Minister Hermann nun ein Projekt. Es sollen anerkannte Asylbewerber und Flüchtlinge mit einem geklärten Aufenthaltsstatus in den Betrieben zu Lokführern ausgebildet werden. Dazu werden sie von den Unternehmen als Helfer für ein Bruttogehalt von etwa 2100 Euro an- und für die Ausbildung freigestellt. Die Arbeitsagentur übernimmt den Teil, der über der normalen Ausbildungsvergütung des Verkehrsunternehmens von rund 700 Euro liegt, und finanziert die Weiterbildungskosten. Das Bundesamt für Migration kommt für die allgemeine Sprachförderung auf, der spezielle „Eisenbahnsprech“ muss in den Unternehmen vermittelt werden. Das Land koordiniert und finanziert neun ­Coaches, die die Lokführer in spe rundum unterstützen. Geplant sind zunächst drei Gruppen mit je 15 Aspiranten: in Stuttgart, Mannheim/Karlsruhe und in Hechingen/Zollernalb. Beteiligt an dem Projekt sind die DB Regio, Abellio, Go Ahead, die landeseigene SWEG, die Albtalverkehrsgesellschaft der Stadt Karlsruhe, die in Konstanz ansässige Tochter der Schweizerischen Bundesbahnen, die Trandev, deren Tochter WEG die Täles-, Strohgäu-, Schönbuch- und Wieslauftalbahn betreibt. Dazu kommen die Personaldienstleister MEV und Netinera.Expertenmeinung „Das ist ein rundes Paket“, sagt der Chef der Regionaldirektion Baden-Württemberg, Christian Rauch, der Agentur für Arbeit. Er sieht vor allem zwei Vorteile: Die Flüchtlinge bekämen sofort ein Gehalt und würden qualifiziert; und durch die Coaches steige die Erfolgswahrscheinlichkeit. Bei der „normalen“ Zusatzausbildung zu Lokführern, beispielsweise von Arbeitslosen, sprängen viele Bewerber wieder ab, zudem „haben wir dieses Potenzial weitgehend ausgeschöpft“, sagt der Experte. Dagegen gebe es rund 44 000 arbeitssuchende Flüchtlinge im Land. Sollte das Projekt zur Qualifizierung von Flüchtlingen zu Lokführern erfolgreich sein, will es Rauch auf andere Branchen ausweiten.