Lügde-Prozess: Sicherungsverwahrung gefordert

dpa Detmold. Der Lügde-Prozess um hundertfachen Kindesmissbrauch geht in die Schlussphase. Die Staatsanwaltschaft plädiert für lange Haftstrafen. Und fordert, dass die Angeklagten auch danach im Gefängnis bleiben.

Lügde-Prozess: Sicherungsverwahrung gefordert

Aktenordner zum Missbrauchsfall Lügde auf dem Tisch eines Anwaltes. Foto: Bernd Thissen

Narzisstisch, antisozial, manipulativ, mit pädophiler Neigung und unfähig zu einer Partnerschaft mit einer Gleichaltrigen. Der Dauercamper Andreas V. aus Lügde, dem in fast 300 Fällen schwerer sexueller Kindesmissbrauch vorgeworfen wird, habe die Mädchen wohl „als Ersatz gewählt“, sagte eine psychiatrische Gutachterin am Freitag vor dem Landgericht Detmold.

Die Staatsanwaltschaft forderte anschließend für den 56-Jährigen 14 Jahre Haft und für den zweiten Angeklagten Mario S. (34) zwölf Jahre und sechs Monate. Danach sollen die beiden Männer in Sicherungsverwahrung, so die Staatsanwaltschaft. Das Urteil wird im September erwartet.

Die Plädoyers wurden aus Opferschutz-Gründen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verlesen. Die Staatsanwältinnen Helena Werpup und Jacqueline Kleine-Flaßbeck sagten später vor Journalisten, sie hätten die Geständnisse strafmildernd berücksichtigt. Und ebenso die Tatsache, dass die beiden Angeklagten nicht vorbestraft sind.

Johannes Salmen, der Verteidiger von Andreas V., meinte zum geforderten Strafmaß mitsamt Sicherungsverwahrung für seinen Mandanten: „Wenn ich Staatsanwalt in diesem Verfahren gewesen wäre, hätte ich das auch beantragt.“ Andreas V. werde viel Zeit haben, über sich und seine Taten nachzudenken. Was für ein Mensch sein Mandant sei, wisse er nicht.

Zu dieser Frage hatte die Psychiaterin Martina Miller aufschlussreiche Details mitgebracht. Sie stufte Andreas V. aus Lügde und Mario S. aus Steinheim als voll schuldfähig ein. Andreas V. habe bei seiner pädophilen Neigung eine Präferenz für Mädchen im Grundschulalter bis in die Pubertät hinein. In Gesprächen habe er eine Abneigung gegenüber „altersadäquaten Partnerschaften“ gezeigt, berichtete Miller.

Er habe über zwei Beziehungen sehr abwertend gesprochen und sei danach nach eigener Darstellung als Platzwart auf dem Campingplatz nur noch kurze sexuelle Episoden mit Frauen eingegangen. Und das begründete der 56-Jährige laut Miller so: „Warum die ganze Kuh kaufen, wenn ich ein Glas Milch haben will.“

Der 56 Jahre alte Andreas V. wurde am Freitag mit einem Rollstuhl in den Saal geschoben, wirkte teilnahmslos und geschwächt. Zuletzt war er an Gürtelrose erkrankt. Er habe den Ausführungen aber folgen können, sagte sein Verteidiger Salmen. 

Andreas V. kommt der Psychiaterin zufolge aus einem intakten Elternhaus in Duisburg, habe als Jugendlicher selbst nie Gewalt erlebt, eine Schreinerlehre abgebrochen und wechselnde Jobs als Waren-Auslieferer in der Stahlindustrie oder als Lkw-Fahrer angenommen. Zwischendurch sei er arbeitslos gewesen. Die Familie zog wegen der angeschlagenen Gesundheit des Vaters nach Lügde auf den Campingplatz, der an einem Waldrand liegt. Dort wurde Andreas V. dann Platzwart - und seine Parzelle später laut Anklage zum Tatort für hundertfachen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Und hier, an der Grenze zu Niedersachsen, sollen die Männer ihre Taten auch gefilmt haben.

Andreas V. - mit einem „gut durchschnittlichen“ IQ von 110 ausgestattet - zeige eine „tief verwurzelte Neigung“ für Kindesmissbrauch. Dafür spreche auch der „sehr, sehr lange Tatzeitraum“, betonte Miller. Mit dem Missbrauch habe er auch Machtbedürfnisse befriedigt.

Am Donnerstag hatte die Expertin Mario S. ebenfalls eine pädophile Störung bescheinigt. Da der 34-Jährige bereits seit seiner eigenen Pubertät und damit seit vielen Jahren Kinder sexuell missbraucht haben soll, sei auch bei ihm von einer „tiefverwurzelten Neigung und damit einer hohen Rückfallgefahr“ auszugehen.

Zudem plädierten erste Nebenkläger-Vertreter - insgesamt sind 18 Anwälte für 28 Nebenkläger beteiligt - am Freitag. Das sei zum Teil sehr emotional verlaufen, sagte Verteidiger Salmen. Aus Sicht der Opfer meinte Nebenklägeranwalt Roman von Alvensleben zum Plädoyer der Staatsanwaltschaft: „Wenn das Gericht in diese Richtung geht, dann ist das ein deutliches Zeichen gegen Missbrauch, gegen jegliche Art von Beeinträchtigung von Kinderrechten.“