Maas sieht Recherchen zu Nawalny als Bestätigung

Von Von Michael Fischer und Ulf Mauder, dpa

dpa Berlin/Moskau. Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny erlitt nach einem neuen Ärztebericht eine schwere Vergiftung. Wollten Moskauer Agenten ihn töten? Mehrere Medien sehen das durch eigene Recherchen als erwiesen an. Außenminister Maas widerspricht da nicht. Im Gegenteil.

Maas sieht Recherchen zu Nawalny als Bestätigung

„Es geht im Fall Nawalny ja nicht um einen bilateralen Streit. Es geht um einen schweren Verstoß gegen das internationale Verbot von Chemiewaffen in Russland“, sagt Außenminister Heiko Maas. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Außenminister Heiko Maas sieht die Vorwürfe der Bundesregierung gegen Russland durch die neuen Enthüllungen zum Giftanschlag auf den Kremlgegner Alexej Nawalny bestätigt.

Die Berichte mehrerer Medien, nach denen der 44-Jährige von russischen Geheimdienstagenten vergiftet wurde, seien „weder neu noch überraschend“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Die EU habe deswegen bereits Strafmaßnahmen gegen die politisch Verantwortlichen verhängt. Russland hatte dafür im Gegenzug auch Vertreter des deutschen Regierungsapparats mit Sanktionen belegt.

Russland bestreitet weiter, dass es eine Vergiftung gegeben habe, und verlangt Beweise. Dagegen legten Ärzte der Berliner Charité-Universitätsmedizin nun einen ausführlichen Bericht zu den Vergiftungserscheinungen vor. Mehrere Medien, darunter das Recherchenetzwerk Bellingcat, hatten zudem in der vergangenen Woche nachgezeichnet, wie Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Nawalny verfolgt und am 20. August in Sibirien vergiftet haben sollen.

„Dass das durch Recherchen jetzt noch einmal journalistisch aufgearbeitet und erhärtet worden ist, empfinden wir als Bestätigung“, sagte Maas. Neue Sanktionen schloss Maas aber zum jetzigen Zeitpunkt aus. „Auf dieser Basis wird es keine neuen Konsequenzen geben.“ Wegen der bisherigen Schritte wirft Moskau dem deutschen Minister eine „antirussische Politik“ vor.

Auf seiner großen Jahrespressekonferenz in der vergangenen Woche sprach Präsident Wladimir Putin zwar von einer Beobachtung Nawalnys durch russische Geheimdienstler - eine Vergiftung wies er aber zurück. „Wenn das jemand gewollt hätte, dann hätte er das auch zu Ende geführt“, sagte Putin mit Blick auf die Mordvorwürfe.

Am Montag telefonierte Nawalny nach eigener Darstellung selbst mit einem der mutmaßlichen Täter. Er veröffentlichte auf Youtube den Mitschnitt eines Gesprächs mit einem angeblichen FSB-Agenten, der darin den Anschlag einräumte. Nawalny gab sich in dem Telefonat als Assistent des Chefs des russischen Sicherheitsrats aus, um das Vertrauen des FSB-Mitarbeiters zu gewinnen. Der FSB stellte das Telefonat als Fälschung dar.

Nachdem Nawalny auf einem Inlandsflug von Sibirien nach Moskau zusammengebrochen war, landete der Pilot in Omsk, um den Passagier rasch versorgen zu lassen. Nach zwei Tagen wurde Nawalny mit einem Rettungsflug zur Behandlung nach Berlin gebracht. „In der Charité wurde eine schwere Vergiftung mit einem Cholinesterase-Hemmstoff diagnostiziert“, teilte die Klinik am Mittwoch mit. Zu der von Russland bestrittenen Vergiftung veröffentlichten Ärzte der Charité in der Fachzeitschrift „The Lancet“ nun einen medizinischen Bericht.

Die Mediziner zeichnen in dem Artikel auf vier Seiten erstmals nach, welche Symptome das von Moskau in den 1980er Jahren entwickelte Nervengift der Nowitschok-Gruppe auslöst. Demnach fiel Nawalny in ein Koma, der Herzschlag verlangsamte sich massiv, die Körpertemperatur sank auf 34,4 und zeitweise auf 33,5 Grad Celsius, hieß es in dem Artikel, der mit Einverständnis des Patienten erschien.

Ärzte in der Klinik in Omsk hatten dem 44-Jährigen zum Entsetzen anderer Kollegen lediglich eine Stoffwechselstörung bescheinigt. Die Ärzte der Charité verwiesen darauf, dass sie Nawalny nach seiner Ankunft am 22. August Blut- und Urinproben abgenommen hätten. Ein Bundeswehr-Labor fand später heraus, dass es sich bei dem Gift um einen verbotenen Kampfstoff der Nowitschok-Gruppe handelte. Das wurde von drei weiteren Labors in Frankreich, in Schweden und bei der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) bestätigt. Russland tut die Vorwürfe als politische Kampagne ab.

Die Ärzte verglichen die Wirkungsweise des Nervengifts Nowitschok mit denen von Organophosphaten, die zur chemischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden. Sie vermuten, dass Nawalny überlebte, weil er nach Einsetzen der Symptome sehr schnell in Omsk behandelt wurde - unter anderem mit dem als Gegengift genutzten Atropin und mit künstlicher Beatmung.

Nawalny hatte dem Bericht zufolge großes Glück, dass der Anschlag nicht schlimmer ausgegangen ist. „Sein guter Gesundheitsstatus vor der Vergiftung hat wahrscheinlich seine Erholung begünstigt“, stellten die Ärzte fest.

Der Oppositionelle macht ein unter dem Befehl Putins agierendes „Killerkommando“ des FSB verantwortlich für den Giftanschlag. Der Kreml weist das zurück und wirft Nawalny „Verfolgungswahn“ vor. Als Vergeltung für die bereits im Oktober erlassenen Sanktionen verhängte Russland am Dienstag gegen Regierungsvertreter Deutschlands, Frankreichs und Schwedens Einreisesperren.

„Diese russische Reaktion folgt einem bekannten Muster, aber sie ist kein Beitrag zur Lösung“, kritisierte Maas. „Es geht im Fall Nawalny ja nicht um einen bilateralen Streit. Es geht um einen schweren Verstoß gegen das internationale Verbot von Chemiewaffen in Russland.“ Deutschland, Frankreich und Schweden seien dabei lediglich die Überbringer der gleichen, schlechten Nachricht, mit der Russland sich weiterhin nicht auseinandersetzen wolle.

Maas betonte aber auch, dass die Bundesregierung weiterhin an einer Zusammenarbeit mit Russland etwa zur Lösung von Konflikten interessiert sei. „Es ist auch weiter in unserem Interesse, mit Russland konstruktiv zu reden, gerade bei Themen wie dem Konflikt in der Ostukraine und dem Atomabkommen mit Iran. Und ich gehe davon aus, dass auch Russland daran ein Interesse hat“, sagte der SPD-Politiker.

Die EU hatte im Oktober Sanktionen unter anderem gegen den ersten Vizechef der Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, sowie gegen FSB-Chef Alexander Bortnikow und zwei Vizeverteidigungsminister erlassen. Sie umfassen Einreiseverbote und Vermögenssperren. Zudem dürfen Europäer mit den Betroffenen keine Geschäfte mehr machen. Aufgelistet ist auch das staatliche russische Forschungsinstitut für organische Chemie und Technologie, das den Kampfstoff entwickelt haben soll.

© dpa-infocom, dpa:201223-99-792014/3