Maas will politische „Frischzellenkur“ für die Nato

dpa Berlin/Brüssel. Frankreichs Präsident Macron hat die Nato mit seiner „Hirntod“-Kritik zutiefst verunsichert. Außenminister Maas reagiert mit einem Vorschlag zur Therapie des kränkelnden Bündnisses. Erfolgschancen: ungewiss.

Maas will politische „Frischzellenkur“ für die Nato

Fordert eine konzeptionelle und politische Weiterentwicklung der Nato: Außenminister Heiko Maas. Foto: Pavlo Gonchar/SOPA Images via ZUMA Wire/dpa

Als Reaktion auf die scharfe Kritik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron an der Nato startet Außenminister Heiko Maas eine Initiative zur Stärkung der politischen Zusammenarbeit in dem Bündnis.

Beim Nato-Außenministertreffen will er dazu in Brüssel die Einsetzung einer Expertenkommission vorschlagen, die Reformvorschläge erarbeiten soll. Die Nato müsse konzeptionell und politisch weiterentwickelt werden, sagte Maas. „Dazu brauchen wir politische Frischzellen - in einem Prozess, der zentrale transatlantische Fragen in den Blick nimmt.“

Die Nato-Außenminister wollen in Brüssel den Gipfel zum 70. Jubiläum der Nato vorbereiten, der am 3. und 4. September in London tagt. Dort stehen der Umgang mit China sowie die Verteidigungsausgaben der Mitgliedstaaten auf der Tagesordnung. Die Staats- und Regierungschefs müssen sich aber auch auf eine Grundsatzdebatte einstellen, ob das Bündnis in seiner jetzigen Form noch zeitgemäß ist.

Hauptverantwortlich dafür ist Macron, der die Nato für „hirntot“ erklärt hat. Es gebe bei strategischen Entscheidungen keine Koordinierung zwischen den USA und anderen Nato-Partnern, sagte er kürzlich dem „Economist“ und forderte mehr europäische Eigenständigkeit.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies Macrons Äußerungen als überzogen zurück. Trotzdem reagiert Außenminister Maas jetzt mit der Initiative für eine Wiederbelebung der Nato. Nach Macrons Fundamentalkritik und der dadurch ausgelösten Unsicherheit bei vielen Verbündeten könne es kein schlichtes „Weiter so!“ geben, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. „Sonst laufen wir Gefahr, die Unsicherheit im Bündnis nur weiter zu vertiefen und einer Spaltung Vorschub zu leisten, über die sich Dritte womöglich freuen.“ Die Expertenkommission solle den Auftrag erhalten, die „Leerstelle der politischen Diskussion im Bündnis“ zu schließen.

Neben Macrons Kritik sind die in der Nato nicht abgestimmten Alleingänge der USA und Türkei in Syrien Auslöser für den Vorstoß. Die USA hatten sich aus Nordsyrien zurückgezogen und damit den Weg für eine türkische Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG freigemacht, die bei fast allen anderen Bündnispartnern auf Kritik stieß.

Nach den Vorstellungen Maas' könnte die Einsetzung der Expertengruppe schon beim Gipfel beschlossen werden. Sie würde dann den Auftrag bekommen, bis zum nächsten Gipfel Ergebnisse vorzulegen. Der soll irgendwann nach der US-Präsidentenwahl am 3. November 2020 zusammenkommen. Die Kommission soll von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg eingesetzt werden. Ihr sollen hochrangige Persönlichkeiten angehören, zum Beispiel ehemalige Außen- und Verteidigungsminister oder Spitzenbeamte.

Kernziel ist es, die voranschreitende Verengung der Nato auf ihre Verteidigungsaufgaben zu stoppen und die politische Funktion wieder zu stärken. Sie soll wieder zu einer zentralen Plattform enger politischer Abstimmung in strategischen Fragen werden.

In Koalition und Opposition stößt der Vorstoß auf Kritik. „Ich bin skeptisch, ob diese Initiative den Kern der Probleme der Nato berührt“, sagte der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef Johann Wadephul der Deutschen Presse-Agentur. Er sehe keine zu starke Konzentration der Nato auf Verteidigungsaufgaben sondern deren Vernachlässigung - auch durch Deutschland. „Der Außenminister würde dem Bündnis einen großen Dienst erweisen, wenn er die de-facto-Blockade der SPD Richtung zwei Prozent beseitigen würde.“ Gemeint ist das Nato-Ziel, dass alle Mitgliedstaaten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben. Deutschland ist trotz eines Aufwärtstrends immer noch weit davon entfernt.

Dem stellvertretenden FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff geht der Maas-Vorschlag nicht weit genug. Er wirke wie „Aktionismus nach dem Motto: Wenn Du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis“, sagte er der dpa. Der Nato-Gipfel müsse Stoltenberg stattdessen mit der Ausarbeitung einer neuer Strategie beauftragen. „Die letzte stammt aus dem Jahr 2010 und ist längst überholt.“

Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour hat an der Maas-Initiative dagegen grundsätzlich nichts auszusetzen. Aber die Verantwortlichen müssten dann auch bereit sein, sich den Ratschlägen der Experten zu stellen. „Zu oft waren Expertengremien bisher Verschiebebahnhöfe für Verantwortung.“

Das Nato-Außenministertreffen wird vielleicht schon zeigen, ob der Vorstoß Aussicht auf Erfolg hat. Auch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte im Oktober vor einem Treffen mit ihren Nato-Kollegen eine Initiative gestartet. Damals ging es um eine UN-Schutztruppe für Nordsyrien. Schon nach wenigen Tagen war der Vorstoß verpufft, sorgte in der Bundesregierung aber für erheblichen Ärger, weil er nicht abgesprochen war. Das ist nach Angaben des Auswärtigen Amts diesmal anders: Es handele sich um einen „in der Bundesregierung abgestimmten Vorschlag“.