Macron greift Kramp-Karrenbauer wegen Sicherheitspolitik an

dpa Paris. Zwischen Berlin und Paris lief es zuletzt weitgehend harmonisch: Staatschef Macron und Kanzlerin Merkel zogen in der EU an einem Strang. Nun schlägt der mächtigste Franzose härtere Töne an - gegen die deutsche Verteidigungsministerin.

Macron greift Kramp-Karrenbauer wegen Sicherheitspolitik an

Der französische Staatschef Emmanuel Macron kritisiert Aussagen Kramp-Karrenbauers. Foto: Ludovic Marin/POOL AFP/AP/dpa

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert mehr Eigenständigkeit der Europäer bei Sicherheit und Verteidigung - und geht auf Konfrontation zu Deutschland.

In ungewöhnlicher Offenheit kritisierte der Staatschef des wichtigsten EU-Partners am Montag Äußerungen von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), wonach „Illusionen einer europäischen strategischen Unabhängigkeit“ enden müssten.

Die Meinung der CDU-Vorsitzenden teile er „ganz und gar nicht“, sagte Macron der Zeitschrift „Grand Continent“. „Ich halte das für eine Fehlinterpretation der Geschichte.“ Mit Blick auf Angela Merkel fügte er hinzu: „Zum Glück verfolgt die deutsche Kanzlerin nicht diese Linie, wenn ich es richtig verstanden habe.“ Frankreich hat in der europäischen Sicherheitspolitik eine herausgehobene Stellung. Nach dem Austritt der Briten ist es in der EU das einzige Land mit eigenen Atomwaffen.

Kramp-Karrenbauer hatte unmittelbar vor der US-Wahl beim Internetportal Politico einen Beitrag mit dem Titel „Europe still needs America“ („Europa braucht Amerika noch immer“) veröffentlicht. Die CDU-Vorsitzende schrieb: „Illusionen einer europäischen strategischen Unabhängigkeit müssen enden: Die Europäer werden nicht in der Lage sein, die entscheidende Rolle Amerikas als ein Sicherheitsanbieter zu ersetzen.“

Die Außenminister Deutschlands und Frankreichs, Heiko Maas und Jean-Yves Le Drian, boten dem gewählten US-Präsidenten Joe Biden unterdessen eine umfassende Wiederbelebung der Beziehungen an. „Europa und Amerika brauchen einen transatlantischen New Deal“, schreiben sie in einem Betrag für „Zeit Online“, „Le Monde“ und „Washington Post“. „Es gibt viel zu reparieren.“ Der Amtswechsel vom abgewählten Präsidenten Donald Trump zu Biden soll am 20. Januar über die Bühne gehen.

Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, sagte in Berlin, man teile mit Frankreich das Streben nach mehr eigenständigem Handeln Europas. Gleichzeitig sprach er davon, wie wichtig das Verhältnis zu den USA sei. Man sei überzeugt, dass Deutschland und Europa „die großen Herausforderungen unserer Zeit mit den USA gemeinsam angehen müssen, wenn wir ihnen wirksam begegnen wollen“.

Macron und Le Drian empfingen am Montag US-Außenminister Mike Pompeo im Élyséepalast. Kreise des französischen Präsidialamts sprachen von einem „Höflichkeitsbesuch“. Dabei ging es laut US-Angaben unter anderem um die Krisen in Libyen und im Libanon. Pompeo begann in Paris eine Reise durch Europa und den Nahen Osten. Der Trump-Vertraute hatte die Wahl-Niederlage gegen Biden bislang nicht eingestanden.

Macron sagte in dem Interview, die USA würden die Europäer nur als Verbündete akzeptieren, „wenn wir uns selber ernst nehmen, und wenn wir in unserer eigenen Verteidigung souverän sind“. In Europa würden sehr viele Themen ausgeblendet. „Um es klar zu sagen: Im geostrategischen Bereich haben wir uns das Nachdenken abgewöhnt, da wir unsere geopolitischen Beziehungen stets nur mittels der Nato definiert haben - Frankreich historisch bedingt weniger als andere.“

Macron knöpfte sich auch den UN-Sicherheitsrat vor: „Ich muss feststellen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zurzeit keine brauchbaren Entscheidungen mehr produziert (...)“. Ende vergangenen Jahres hatte der französische Präsident bereits der Nato den „Hirntod“ bescheinigt. Frankreich gehört mit den USA, China, Russland und Großbritannien zu den ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat. Sie können mit einem Veto jeden Beschluss verhindern.

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