Auf Frankreich rollen massive Sozialproteste zu. Linke und Rechte wollen vereint die Regierung stürzen – und mit ihr am liebsten den Präsidenten.
Stürzt Präsident Emmanuel Macron (re.) gleich mit, wenn sein umstrittener Premierminister François Bayrou stürzt?
Von Stefan Brändle
Es ist nicht nur ein Aufruf, es ist eine Lawine. „Bloquons tout“, zu Deutsch: „Blockieren wir alles!“. So lautet der Appell, der seit einigen Tagen durch das Netz hallt. Am 10. September sollen die Franzosen ihre Arme verschränken – die Arbeit niederlegen, den Fernseher ausschalten, auf Einkäufe verzichten, die Verkehrsmittel boykottieren. Kurz: Ganz Frankreich soll einen Tag lang stillstehen.
Hinter dem Appell steckt eine auf dem ehemals russischen Messenger-Dienst Telegram präsente Gruppe namens „Les Essentiels“ (die Wesentlichen). Geleitet wird sie von einem bisher unbekannt gebliebenen Kommunikations-Unternehmer namens Julien Marissiaux aus Nordfrankreich. Marissiaux ist gegen die Europäische Union und die Nato, gegen Parteien und Gewerkschaften, gegen Steuern und Bürokratie. Viele seiner Follower sympathisierten vor einigen Jahren mit den Impfgegnern oder auch mit den Gelbwesten. Diese teils rabiaten Vertreter der arbeitenden unteren Mittelklasse hatten 2019 ganze Teile von Paris in Schutt und Asche gelegt.
Gewaltwelle droht
Auch der neue Blockade-Appell könnte in einer Gewaltorgie enden. Der Protest richtet sich konkret gegen den Sparhaushalt von Premierminister François Bayrou. Der 74-jährige Christdemokrat will in dem Ende September bereinigten Haushalt 2025 rund 44 Milliarden Euro einsparen. Gesundheitsausgaben und Renten würden gemäß seinen Plänen auf dem Vorjahresstand eingefroren, 3000 Stellen im öffentlichen Dienst abgebaut. Großfirmen und -verdiener sollen mehr Steuern zahlen. Viel Stoff für Diskussionen liefert die geplante Streichung von zwei Feiertagen, dem Ostermontag und dem 8. Mai zum Ende des Zweiten Weltkrieges.
Diese Idee wird laut einer Umfrage von 84 Prozent der Befragten abgelehnt. Sie hat die ohnehin sehr gespannte sozialpolitische Stimmung im Land vollends umkippen lassen – gegen die Staatsführung. Präsident Emmanuel Macron kommt im Volk nur noch auf 21 Prozent Zustimmung, Bayrou sackt gar auf 12 Prozent ab.
Anti-Macron-Opposition ist dabei
Der Blockade-Tag wirkt deshalb jetzt schon wie ein breiter Volksaufstand gegen die unpopuläre Staatsführung. Die gesamte Anti-Macron-Opposition ist dabei – auf der rechten Seite Marine Le Pen, auf der linken das „Unbeugsame Frankreich“. Dessen Anführer Jean-Luc Mélenchon versucht, dem 10. September sogar ausdrücklich einen Generalstreik aufzupfropfen und die Führung des Proteste zu übernehmen.
Der Präsident und der Premier versuchen, der Bewegung zuvorzukommen. Bayrou hat am Montag bei einer Pressekonferenz bekannt gegeben, er wolle nach Absprache mit Macron am 8. September, also zwei Tage vor der nationalen Blockade, eine außerordentliche Parlamentssitzung einzuberufen. Dort werde er selber die Vertrauensfrage stellen. Das Kalkül hinter dieser Flucht nach vorn: Bayrou und Macron hoffen, dass die Rechte aus Angst vor einer neuen Gewaltorgie am Blockadetag die Regierung stützen wird.
Le Pen verlangt Neuwahlen
Diese Rechnung dürfte aber nicht aufgehen. Das „Rassemblement National“ (RN) von Marine Le Pen wird laut der Parteigründerin gegen die Regierung stimmen. Auch die Sozialisten werden Bayrou das Vertrauen entziehen, wie Parteichef Olivier Faure erklärte. Gleich tönt es von Seiten der Grünen, Kommunisten und Unbeugsamen. Stimmen die Lepenisten aber mit der Linken, kommt die Regierung unweigerlich zu Fall.
Und diesmal bliebe es wohl nicht bei einem Regierungswechsel. Le Pen verlangte am Montag bereits kategorisch Neuwahlen. Macron wird dazu freiwillig nicht die Hand anbieten: Neue Parlamentswahlen würden die Stellung des inzwischen unpopulären Präsidenten zweifellos weiter schwächen – bis er selber nicht mehr handlungsfähig wäre. Stürzt Bayrou, dürften auch Macrons Tage gezählt sein.