Der Politikberater Martin Fuchs glaubt, dass der Tiktok-Algorithmus bei politischen Inhalten anders funktioniert. Und er hat einen Tipp für die Parteien der Mitte.
Martin Fuchs ist Experte für Politik in sozialen Medien
Von Simon Koenigsdorff und Jan Georg Plavec
Martin Fuchs ist ein langjähriger und anerkannter Beobachter und Berater für Politik in sozialen Medien. Im Interview ordnet er die Zahlen von 750 Tiktok-Usern zu Filterblasen auf der Videoplattform ein.
Herr Fuchs, was lesen Sie aus unserer Analyse der Daten von 750 Tiktok-Nutzern?
Sie bestätigen, was Tiktok von sich behauptet: dass sie keine politische Plattform sind oder sein wollen. Ich saß oft auf Podien, wo Tiktok-Vertreter von einem Anteil von zwei bis drei Prozent politischer Inhalte berichtet haben. Die Recherche bestätigt solche Angaben erstmals unabhängig. Allein das ist eine wichtige Erkenntnis.
Heißt das, dass TIktok gar keinen so großen Einfluss auf Politik hat?
Wie groß der Einfluss am Ende ist, ist schwer zu messen. Selbstverständlich hat Tiktok aber einen Einfluss darauf, über welche Themen und wie in bestimmten Zielgruppen diskutiert wird, wer wahrgenommen wird und welche Diskurse es auch in die klassischen Medien schaffen. Auch wenn ich als Nutzerin wenig politische Inhalte wahrnehme, sind es ggf. die einzigen die mich erreichen und die beeinflussen natürlich dann auch mittel- bis langfristig meine Meinungsbildung.
Linke- und Grünenwähler kriegen so gut wie keine konservativen Inhalte angezeigt. Umgekehrt dürfte es ähnlich sein. Ist das ein Problem?
Mittlerweile wissen wir: Man radikalisiert sich nicht innerhalb einer komplett geschlossenen Filterblase, sondern wenn man die Extreme sieht und radikal in der eigenen Meinung herausgefordert wird – etwa wenn Linke extremen AfD-Content sehen. Das entspricht der Funktionsweise des Algorithmus, aber dabei will Tiktok nicht erwischt werden. Deshalb vermute ich, dass es beispielsweise links-grünen Usern gezielt eher wenig AfD-Content ausspielt.
Das heißt, weltanschauliche Grenzen sind auf Tiktok kaum zu überwinden?
Doch, ich glaube schon. Eine Studie der Uni Potsdam aus dem vergangenen Jahr und auch Ihre Erhebung zeigen die Kraft des digitalen Vorfelds, also von nicht offiziellen Kanälen oder politischen Influencern. Die muss man einbinden. Und: Die AfD hat gezeigt, dass Draufhauen funktioniert – AfD gegen Grüne, Demokraten gegen AfD. Wer Gräben überwinden will, muss Unterstützung für die eigene Idee mobilisieren.
Wir hatten für einen anderen Beitrag zu unserer Recherche mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Zoe Mayer gesprochen. Sie beklagt, dass der Tiktok-Algorithmus Videos mit harscher Donald-Trump-Kritik viel öfter ausspielt als solche zu ihrem eigenen Thema Tierwohl.
Statt nur eigene Videos zu produzieren, könnte Zoe Mayer gezielt Tiktok-User ansprechen, denen Tierwohl wichtig ist und sie mit Material für eigene Videos versorgen. Ich bin überzeugt, dass es auch Menschen gibt, die nicht die Grünen wählen, denen aber das Wohlergehen von Tieren am Herzen liegt. Es gibt genügend Themen, die nicht polarisieren.
Haben die Parteien dazu die Kraft?
Derzeit fehlen die Kapazitäten. Die Parteien haben viele neue Öffentlichkeitsarbeiter eingestellt. Und jetzt sollen sie noch Experten fürs digitale Vorfeld auf Tiktok engagieren?
Zumal ohne Erfolgsgarantie.
Kommunikation im Internet ist wenig steuerbar. Von zehn Ansätzen funktionieren vielleicht einer oder zwei. Andererseits: Informelle Gruppen wie die Tiktok-Guerilla der AfD oder die Einhornfabrik der Linken können Inhalte oder Politiker durchaus pushen. Alle Parteien haben Jugendorganisationen, die müssten sie eben einspannen. Oft reicht es, wenn zwanzig oder dreißig profilierte User gleichzeitig Videos zu einem Thema veröffentlichen. Eines davon geht dann vielleicht schon viral
Und was ist mit den in anderen Themenbereichen so wichtigen Influencern?
Es gibt derzeit wirklich wenige politische Influencer und ganz viel schlecht produzierten Content von nicht offiziellen Kanälen. Deshalb geht da vieles nicht viral. Tiktok bevorzugt guten Content und Unterhaltung. Insofern erstaunt es mich nicht, dass sich Politik auf der Plattform schwertut.