Die Koalition will neu Einreisenden kein Bürgergeld mehr gewähren. Dem bayerischen Ministerpräsidenten reicht das nicht.
Die Ministerpräsidenten Markus Söder (Bayern) will weitere Bürgergeld-Reformen.
Von Norbert Wallet
Und wieder wird über das Bürgergeld gestritten. Der jüngste Vorstoß kommt von CSU-Chef Markus Söder, und der hat es in sich. Söder will, dass alle ukrainischen Geflüchteten in Deutschland künftig statt Bürgergeld die geringeren Asylbewerberleistungen erhalten. Das ist keine ganz neue Diskussion. Tatsächlich hatte sich die Koalition aus Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag bereits darauf verständigt, dass neu eingereiste Ukrainer und Ukrainerinnen nur noch die niedrigeren Leistungen erhalten sollen.
Der bayerische Ministerpräsident möchte über diese Vereinbarungen hinausgehen und allen Ukrainern das Bürgergeld streichen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu diesem Thema. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert Reformen, weil die Erwerbsquote unter den ukrainischen Flüchtlingen zu niedrig sei. Wie sieht es in der Praxis aus?
Wie viele ukrainische Flüchtlinge gibt es in Deutschland?
Die Zahlen des Ausländerzentralregisters weisen aus, dass zum Stand Ende April 2025 in Deutschland 1 257 048 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine leben, davon haben 1 090 207 einen Aufenthaltstitel. 41 8447 Personen, die zwischen Februar 2022 und Ende März 2025 aus der Ukraine nach Deutschland geflohen waren, halten sich laut dem Zentralregister nicht mehr in Deutschland auf. Etwa zwei Drittel der ukrainischen Schutzsuchenden im erwerbsfähigen Alter sind Frauen.
Ende 2024 lag die Beschäftigungsquote bei 31,7 Prozent. Derzeit liegt sie bei 32,4 Prozent. Sie steigt kontinuierlich an. Im Vergleich zum Vorjahr sind knapp 40 Prozent mehr Ukrainer in Arbeit. Die Bürgergeldzahlungen sind im vergangenen Jahr auf 46,9 Milliarden Euro gestiegen. Das entspricht einem Anstieg von etwa vier Milliarden Euro im Vergleich zu 2023.
Welche Kosten verursacht das Bürgergeld, das ukrainischen Flüchtlingen bezahlt wird?
24,7 Milliarden Euro, das sind 52,6 Prozent der Gesamtsumme, ging an Deutsche und 22,2 Milliarden Euro an Menschen ohne deutschen Pass (47,4 Prozent). An ukrainische Flüchtlinge und deren Kinder wurden rund 6,3 Milliarden Euro ausgezahlt.
Warum beziehen die Ukrainer Bürgergeld?
Die Entscheidung für diesen sogenannten Rechtskreiswechsel wurde im April 2022 von der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten der Länder gemeinsam getroffen. Dafür sprachen mehrere Erwägungen. Zum einen war die Einordnung ins Bürgergeldsystem eine bewusste Geste der Solidarität mit den Menschen, die Opfer des russischen Angriffskrieges geworden waren. Die Basisleistungen liegen im Bürgergeld rund 100 Euro höher als bei Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Es sprachen aber auch praktische Erwägungen für diesen Weg. Der Andrang aus der Ukraine hätte die Asylbehörden überfordert, wenn jeder ukrainische Flüchtling erst das übliche Anerkennungsverfahren zu durchlaufen gehabt hätte. Zudem bietet die Einordnung ins Bürgergeldsystem die Möglichkeit, die Menschen schneller in den Arbeitsmarkt zu bringen. Die Verwaltung in Jobcentern ermöglicht rascher Eingliederungsmaßnahmen. Eine Rolle spielt auch der Aspekt der finanziellen Entlastung der Kommunen, da der Bund die Bürgergeldkosten trägt.
Was würde eine erneute Umstellung des Systems bedeuten?
Die Ukrainer würden als Asylbewerber behandelt werden und in behördlich zugeteilten Unterkünften wohnen. Während sie das Verfahren durchlaufen, haben sie Anspruch auf Leistungen, die rund 100 Euro unter dem Bürgergeld liegen. Der Zugang zum Arbeitsmarkt würde erst später möglich werden.
Wirkt das Bürgergeld als Magnet für ukrainische Flüchtlinge?
Eher nicht. Nach Zahlen des Mediendienstes Integration ist Deutschland gemessen an der Einwohnerzahl nicht unter den Top Ten der Aufnahmeländer. In Tschechien kommen 38 ukrainische Flüchtlinge auf 1000 Einwohner – fast dreimal mehr als in Deutschland (13,92). Polen hat im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr als doppelt so viele Flüchtlinge wie Deutschland aufgenommen. Auch Irland und Norwegen weisen höhere Zahlen aus.
Haben andere Länder ihre Leistungen für Ukrainer gekürzt?
Ja. Zum Beispiel in Irland und Norwegen wurden jüngst Leistungen gekürzt. Andererseits führten Tschechien und Polen Regelungen ein, die den Ukrainern ein längerfristiges Bleiberecht ermöglicht.