Medizinische Hilfe nach einer Vergewaltigung

Landkreis richtet ab 2019 ein neues Modellprojekt ein – Opfer sollen leichten Zugang zu guter ärztlicher Versorgung haben

Von Armin Fechter

WAIBLINGEN. Immer wieder sind Mädchen und Frauen, aber auch Jungen von sexuellen Übergriffen betroffen. Doch viele Vergewaltigungen werden nicht angezeigt – weil die Opfer direkt nach der Tat oft nicht in der Lage oder willens sind, eine Entscheidung für oder gegen eine Anzeige zu treffen. So bleiben sie medizinisch oft unversorgt und erhalten auch keine weitere Hilfe. Und entschließen sie sich später doch dazu, Anzeige zu erstatten, sind die Beweise nicht mehr vorhanden, die eine sofortige ärztliche Untersuchung hätte sichern können.

Hier soll ein neues vertrauliches Angebot ansetzen, das der Landkreis als Modellprojekt einrichten will: medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung.

Die Initiative dazu ging von der Anlaufstelle gegen sexualisierte Gewalt, den Rems-Murr-Kliniken, der Polizei und der Beauftragten für Chancengleichheit im Landratsamt, Vanessa Koslowski, aus. Vorbild ist das Modell der Beratungsstelle Frauennotruf Frankfurt, das in Baden-Württemberg bislang nur im Enzkreis zur Verfügung steht. Wie Koslowski gestern im Sozialausschuss des Kreistags erklärte, soll das Projekt Vergewaltigungsopfern den Zugang zu einer guten medizinischen Versorgung ermöglichen und auf Wunsch auch den Weg zur Befundsicherung erleichtern. Gleichzeitig geht es darum, Hemmschwellen abzubauen. Unklar ist nämlich häufig, wer die Kosten für die Spurensicherung und Dokumentation vor Ort übernimmt. Opfer fürchten mögliche Folgen, somit entstehen Situationen, die sich nachteilig für die Betroffenen auswirken können.

Nach dem Frankfurter Modell können sich die Betroffenen entscheiden, ob sie eine medizinische Versorgung mit oder ohne die Sicherung möglicher Spuren wünschen. Proben und Befunde werden in den Instituten für Rechtsmedizin – der Landkreis will mit der betreffenden Fakultät in Heidelberg zusammenarbeiten – ein Jahr lang aufbewahrt und dann automatisch vernichtet. So lange haben die Opfer Zeit, um sich zu entscheiden, ob sie Anzeige erstatten wollen oder nicht.

Stefanie Grüneklee, Oberärztin in der Gynäkologie des Rems-Murr-Klinikums Winnenden, unterstrich die Bedeutung des Modellvorhabens, das auch auf die Erfahrungen in der Krankenhauspraxis zurückgeht. Es sei oft schwierig, Frauen konkret zu helfen. Das Modell biete den Betroffenen daher den leichten Zugang zu medizinischer Hilfe. Es gehe ferner darum, Spuren zu sichern, die vor Gericht Bestand haben. Und im Zusammenwirken mit der Anlaufstelle gegen sexualisierte Gewalt könne Opfern auch psychosoziale Hilfe vermittelt werden.

Nach den Erfahrungen in Frankfurt ist mit bis zu zehn Betroffenen pro Jahr zu rechnen, die sich nach einer Vergewaltigung im Krankenhaus melden. Die Zahlen könnten jedoch steigen, wenn das Modell erst einmal im Bewusstsein der Bevölkerung verankert ist. Für eine entsprechende Sensibilisierung will der Landkreis mit Flyern für Arztpraxen und Beratungsstellen sowie mit Plakaten für Kommunen und Ämter sorgen. Zudem soll die Homepage des Landratsamts dafür aufbereitet werden.

Landrat Richard Sigel betonte, das Thema werde sehr ernst genommen, es gelte, eine Lücke im System zu schließen. Bei den Kreisräten stieß das Vorhaben auf allseitige Zustimmung. Klaus Auer (FDP/FW), selbst Polizist, verwies darauf, dass die Polizei bei sexueller Gewalt von einem hohen Dunkelfeld ausgeht, das mit diesem Projekt sicherlich ein Stück weit erhellt werden könne. Verwunderung löste die Aufbewahrungsfrist von nur einem Jahr aus. Nach Auffassung von Harald Rienth (CDU) dürften es auch zehn oder 15 Jahre sein. Ein Kapazitätsproblem, wie Auer vermutete? Jedenfalls sei ein Jahr besser als gar nichts. Auch der Landrat konnte diesen Punkt nicht definitiv aufklären, möglicherweise seien es eben die gesetzlichen Bestimmungen im Hinblick auf Datenschutz.

Geld kostet das Projekt im Übrigen auch: 10500 Euro im Startjahr 2019, davon 3000 Euro einmalig als Lizenzgebühr für die Modellübernahme. Die Stelle in Frankfurt betreut das Ganze und bietet Schulungen an. In den Folgejahren ist mit 7000 Euro im Jahr zu rechnen.