Mehr Chance als Schaden? Sharing in der Corona-Krise

Von Von Göran Gehlen und Isabell Scheuplein, dpa

dpa Frankfurt/Main/Berlin. Die Corona-Krise hat die Anbieter von Leihsystemen für Fahrräder, E-Tretroller und Autos hart getroffen. Doch trotz Virusangst glauben Fachleute nicht an dauerhaften Nutzerschwund. Allerdings werde nicht jedes Verkehrsmittel gleichermaßen gut durch die Krise kommen.

Mehr Chance als Schaden? Sharing in der Corona-Krise

Hinweisschild eines Carsharing-Anbieters. Foto: Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Fahrräder, Autos und E-Tretroller mit anderen Menschen teilen - in der Corona-Pandemie scheint das eine schlechte Idee zu sein. Wer steigt schon auf oder in ein Fahrzeug, von dem man nicht weiß, wie gesund der Vornutzer war?

Oder wann es zuletzt desinfiziert wurde? Tatsächlich hat die Corona-Krise dem Geschäft mit der „Shared Mobility“ zugesetzt. Forscher halten es jedoch für möglich, dass sie am Ende sogar Profiteur der Pandemie sein könnte.

E-Tretroller, die im Weg stehen - seit einem Jahr gehört das vielerorts zum Stadtbild. Monatelang wuchs die Zahl der Fahrzeuge, dann war plötzlich Schluss: In der Corona-Krise reduzierten Anbieter die Zahl ihrer Roller oder zogen sie wie der Scooter-Verleiher Lime zunächst komplett aus dem Verkehr. Inzwischen sind die Lime-Roller in sieben Städten bundesweit wieder auf den Straßen. Vor der Krise waren es rund 25 000 Roller in 15 Städten. Nun sei sukzessive eine Rückkehr geplant, sagt Alexander Pfeil, General Manager bei Lime in Deutschland. Die Nachfrage steige wieder.

Ob Lockdown, Virusangst oder beides zusammen die Nachfrage sinken ließen, bleibt unklar. Sicher ist: Andere Leihsysteme wurden ebenso getroffen. So gingen laut einer Umfrage des Bundesverbands Carsharing die Buchungszahlen bei den Mitgliedsunternehmen von Mitte März bis Mitte April um 50 Prozent, teilweise um bis zu 80 Prozent zurück.

Von einer „zeitweise geringeren Nachfrage als üblich“ spricht die Deutsche Bahn. Sie ist Anbieter des Carsharing-Netzwerks „Flinkster“ mit 4500 Fahrzeugen und des Leihradsystems „Call a Bike“ mit 16.000 Rädern. Doch das Tief sei vorbei: „Mittlerweile nähert sich die Nachfrage wieder dem Vorjahresniveau“, sagte ein Sprecher. Im Fahrrad-Bereich würden die Neuregistrierungen erheblich zunehmen.

Laut Martina Hertel vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin kommen nicht alle Mobilitätsangebote gleichermaßen durch die Krise: „Je nach Verkehrsmittel ist das Bild sehr unterschiedlich.“ So gehen Fachleute und Anbieter schon länger von einer Marktbereinigung bei den E-Rollern aus. Doch dieser Konzentrationsprozess wäre auch ohne Corona-Pandemie gekommen, sagt Hertel: „Die Krise wirkt nun wie ein Brandbeschleuniger.“

Nicht nur innerhalb, sondern auch zwischen den Mobilitätsangeboten gibt es Verschiebungen. So registriert Roller-Anbieter Lime derzeit längere Fahrten als vor der Pandemie - vermutlich, weil sich die Nutzer scheuen, den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen. „Der vorgeschriebene Abstand lässt sich in vielen Fahrzeugen nicht einhalten, und nicht jeder hat ein Auto“, sagt Lime-Manager Pfeil.

Auch Hertel hält eine Verlagerung zulasten von Bus und Bahn für möglich - zugunsten des Leihrads: „Soweit wir das verfolgen können, ist in den Städten, in denen es zu Lockerungen kommt, ein Umstieg vom ÖPNV auf Leihräder zu verzeichnen.“ Das Fahrrad sei besser für Fahrten mit Gepäck aufgestellt als der E-Tretroller.

Das Alter der „Shared Mobility“-Nutzer könnte ebenfalls eine Rolle spielen: So schätzen laut dem Bundesamt für Risikobewertung gerade Menschen ab 60 Jahre die Auswirkungen des Coronavirus auf die eigene Gesundheit als groß ein. Die Nutzer der Leihsysteme sind aber oft jung. Bei den E-Tretrollern nimmt mit zunehmendem Alter die Nutzerzahl schnell ab, hat die Unternehmensberatung „The Nunatak Group“ in einer Umfrage ermittelt.

Der Frankfurter Mobilitätsforscher Martin Lanzendorf sieht in der Krise eine Chance für die Verkehrswende und auch manche Sharing-Angebote. So machten viele Menschen derzeit die Erfahrung, dass sie auch mit dem Fahrrad oder E-Scootern gut vorankämen. Nun sei es an den Städten, dies zu nutzen. Weltweit gebe es Beispiele, auch in Berlin, in denen jetzt für Fahrräder und Fußgänger mehr Platz geschaffen und dafür dem zurückgegangenen Autoverkehr Raum entzogen werde, damit das Abstandsgebot auf Bürgersteigen und Radwegen eingehalten werden könne. „Corona ist auch ein großer Verkehrsversuch“, sagt der Professor.

Für das Carsharing bedeute die Pandemie aber Probleme, erklärt Lanzendorf. Denn hier müsse man ein Auto benutzen, ohne zu wissen, wer vorher darin gesessen habe. Der Carsharing-Bundesverband betont, dass nach Meinung von Virologen die Ansteckungsgefahr in den Autos „eher gering“ sei. Infektionen durch Berührung kontaminierter Oberflächen seien zwar möglich, die Anbieter legten aber ein besonderes Augenmerk auf Reinigung und Desinfizierung. Trotzdem befürchtet der Verband „langfristige wirtschaftliche Auswirkungen“.

Die Professorin Stefanie Bremer warnt davor, die Bedeutung der Pandemie in solchen Fragen zu überschätzen: „Ob wirklich Corona der Grund oder Hauptgrund ist, wenn sich Sharing-Dienste nicht durchsetzen, bezweifle ich stark“, sagte die Leiterin des Fachgebietes Integrierte Verkehrsplanung/Mobilitätsentwicklung der Universität Kassel. Schon vor Corona sei klar gewesen, dass sich die neuen Angebote nur in manchen Städten als dauerhaft rentables Angebot etablieren lassen. Die derzeit laufende Angebotsbereinigung und gleichzeitige Ausweitung hänge von mehreren Faktoren ab wie Siedlungsstruktur, Siedlungsdichte, dem ÖPNV-Netz und der Sozialstruktur.