Schuldsprüche wegen Sexual- und Drogendelikten steigen

dpa/lsw Stuttgart. Jahrelang sank die die Zahl der Schuldsprüche im Land. Nun etabliert sich ein kräftiger Gegentrend. Die Ursachen sind vielschichtig.

Immer mehr Menschen in Baden-Württemberg werden vor Gericht schuldig gesprochen. Die Zahl der rechtskräftig Verurteilten stieg 2019 im Vergleich zum Vorjahr um 4,8 Prozent auf 109 847 Menschen, wie das Justizministerium am Freitag in Stuttgart mitteilte. Nach Angaben von Minister Guido Wolf (CDU) handelt es sich um den stärksten Anstieg seit fast drei Jahrzehnten. Bereits im Vorjahr war die Zahl der Verurteilten um 4,1 Prozent gestiegen. Zwischen 2008 und 2017 war der Trend dagegen rückläufig gewesen. Auffällig ist besonders die Zunahme an Schuldsprüchen wegen Sexual-, Verkehrs- und Drogendelikten.

DIE URSACHEN - Es gibt nicht die eine Ursache. Die Präsidentin des Statistischen Landesamts, Carmina Brenner, spricht etwa von einer Änderung des Anzeigeverhaltens der Bevölkerung, von Erfolgen der Ermittler oder geänderten Gesetzen, die sich auf die Zahl der Schuldsprüche auswirken könnten. Wolf führt den Anstieg der Verurteilungen auch auf eine massive personelle Verstärkung bei Gerichten und Staatsanwaltschaften zurück. Zusätzliche Richter und Staatsanwälte können mehr Verfahren erledigen. In dieser Legislaturperiode habe man dort 150 neue Stellen geschaffen, sagte Wolf.

Aber auch Demografie spielt eine Rolle: Die strafmündige Bevölkerung (älter als 14 Jahre) ist in den vergangenen Jahren gewachsen - mehr Menschen, mehr Straftaten, mehr Urteile. Bei den Staatsanwaltschaften sind rund 534 000 Verfahren im Jahr 2019 eingegangen - mehr als in den Jahren zuvor.

DIE ART DER DELIKTE - Bei knapp jedem vierten Urteil geht es um ein Delikt im Straßenverkehr. Den Anstieg in diesem Bereich um 6,9 Prozent erklärt sich Wolf mit verstärkten Polizeikontrollen. 2019 nahmen die Schuldsprüche wegen Drogendelikten im Vergleich zum Vorjahr um 11,9 Prozent zu - der höchste Stand seit 25 Jahren, sagte Wolf. Die Zahl der Verurteilungen wegen Sexualstraftaten stieg um 9,3 Prozent. Das geht laut Wolf aber auch auf Änderungen im Strafrecht zurück. Im November 2016 wurden neue Straftatbestände aufgenommen, um die Rechte der Opfer sexueller Gewalt zu stärken. Die Zahl der Schuldsprüche wegen Gewaltdelikten stieg 2019 um 3,8 Prozent.

DAS ALTER DER VERURTEILTEN - In allen Altersgruppen stieg die Zahl der Verurteilungen. Die Entwicklung bei den Schuldsprüchen für Jugendliche (+4,9 Prozent) und Heranwachsende (+3,7 Prozent) bereitet Wolf besondere Sorge. Kriminelle Karrieren begännen häufig mit kleineren Delikten und entwickelten sich dann zu dramatischen Lebensläufen, sagte er. Heranwachsende werden dabei immer häufiger nach Jugendstrafrecht verurteilt (Quote 2019: 47 Prozent). Der Justizminister hält diese Entwicklung für gefährlich. Damit sende man an die Gruppe der 18- bis 21-Jährigen ein falsches Signal. Die Anwendung des Jugendstrafrechts bei Heranwachsenden müsse eine Ausnahme bleiben. Er wolle sich im Bund für eine Rechtsänderung des Jugendgerichtsgesetzes einsetzen.

HERKUNFT UND GESCHLECHT - Die Zahl der verurteilten Ausländer stieg 2019 um 6,7 Prozent, die Zahl der deutschen Verurteilten im gleichen Zeitraum um 3,5 Prozent. Der Anteil der Nichtdeutschen an den Verurteilungen liegt jetzt bei 41,9 Prozent - und damit laut Justizministerium auf dem höchsten Stand seit 1990. Die Zahl der verurteilten Frauen ist - entgegen der Tendenz der vergangenen Jahre - gegenüber dem Vorjahr um 5,4 Prozent gestiegen. Trotzdem richtet sich nicht einmal jeder fünfte Schuldspruch gegen eine Frau - ihr Anteil an den Verurteilten insgesamt blieb mit 18,2 Prozent nahezu konstant.

GELDSTRAFE ODER GEFÄNGNIS? In knapp 80 Prozent der Schuldsprüche wurde eine Geldstrafe verhängt. Nur 4800 Menschen oder 4,3 Prozent aller Verurteilten mussten nach dem Schuldspruch wirklich eine Gefängnisstrafe antreten.